Donnerstag, 28. Februar 2008

Pakistan tanzt doch...

...wenn man den Stimmen der wenigen glauben darf, die plitisch angagiert sind. Da haben nun alle große Hoffnungen für das Land, welches - laut ihnen - wegen Musharraf seit sieben Jahren den Bach runter geht. Daran liegt es auch, dass nicht alle Pakistanis gute Menschen sind und manche ihre Frau mit Kindern sitzenlassen um auszuwandern, erklärt mir unser Bäcker, dessen Familie ich gestern besuchen durfte. Islamabad 2. Teil: Diesmal sehr viel erfahrungsreicher, da ohne Hotel und M2 (Motorway), sondern bei einer eher armen pakistanischen Familie zu Gast und auf dem Rückweg durch die Berge mit dem Local Van. Den Dubatta geschickt gewickelt, dass man nur die Augenpartie sieht und auf den ersten Blick nicht, dass ich Ausländer bin. Der Fahrer hat gemeint, ich sei aus Afgahnistan. Zum Glück konnten hier alle kein Englisch, so habe ich auch erfahren, wie schnell man eine Sprache lernen kann, wenn man keine andere Möglichkeit hat, mit den Menschen zu kommunizieren. Nur hats nicht gereicht, um auszudrücken, wie ergriffen ich war von der Herzlichkeit und Freude, mit der ich überall begrüßt wurde, wo mich A. B., "mera barra bhai jaan" (mein großer Bruder) und seine Schwägerin Schakila mit ihrer Lebensgeschichte hingebracht haben. Ich glaube am Ende haben sie mir geglaubt, dass ich das einfache Leben mag und dass es mir nichts ausmacht, dass sie mir kein Bett bieten können und kein großes Auto. Wenn mich doch die kleine Klapperkiste an Orte bringen kann, die von Mercedesfahrern noch nie gesehen wurden... Islamabad von oben, Verwandtschaft in der "rural area", ein Chae nach dem anderen und bei den Nachbarn nochmal Rotis essen, dann das Hospital, in dem sie 12 Stunden am Tag 7 Tage die Woche arbeitet, jedem Mitarbeiter vorgestellt, ein Gebet aufgesagt (ja, mein Gast ist dabei Moslem zu werden), Hände geschüttelt und manchmal auch nicht, Segen bekommen und wenig Zeit, dem gerecht zu werden. Ich muss doch vor Sonnenuntergang in Lahore sein! da hab ich mich schlecht gefühlt - nicht, weil ichs nicht mehr geschafft hab, die rote Moschee anzuschauen, sondern weil ich zu hektisch war im Kopf, mir die Menschen richtig anzuschauen und das ham sie gemerkt. Dabei war ich lange nach der Sonne dann endlich in Lahore - was gar nicht so lustig war, weil hier gerade ein Festival ist und die Leute dementsprechend verrückt auf der Straße rumtanzen, trommeln, an Rickschas rütteln und durchnanderrufen, dass man nicht mehr weiß, was sie meinen. Frauen sieht man um diese Zeit auch keine mehr. Vor allem in der Altstadt nicht.

Und dann war ich plötzlich wieder in Roshni. Es lief alles so, wie der Plan, den ich nach Deutscher Manier in meinem Kopf gemacht hatte und sogar die Botschafter haben mitgespielt. Erst etwas wiederwillig, aber als ich dann sagte, ich bin nur heute hier und in meinem Blick die ganze Schwierigkeit lag, die damit verbunden war, noch einmal selbst nach Islamabad zu kommen, wurden mir die Pässe schließlich ausgehändigt. Und jetzt stehen Indiens Türen offen. Über die Wagah Border werde ich am Sonntag nach Amritsar gehen um von dort mit einigen Medizinstudenten einen "Marsch" nach Delhi zu machen, wasimmer das heißen mag. Sobald ich dort das Botschaftsspiel wieder gewonnen habe, gehe ich in die Berge zu den Menschen, die keine großen Autos haben.

A. B.s Familie wollte mich am Ende gar nicht gehen lassen. Meine Schüler lassen mich nicht und in Roshni ist es jetzt auch am allerschönsten. Das ist gemein, aber das gehört dazu. So viele Orte und Menschen hier, mit denen man am liebsten mal eine unbeschränkte Zeit verbringen würde. Aber wahrscheinlich ist das genau richtig so!

Samstag, 23. Februar 2008

Jumerat rathko (Donnerstagabend)

„Now You have fullfilled your task in Lahore!“, sagt Sahid und hat recht: was Lahore betrifft kann ich heute ein Häckchen machen. Jeden Donnerstag versammeln sich hier die Menschen, will sagen Männer an den „Sufi Shreins“ und tormmeln und rauchen und schütteln die Köpfe bis zum Morgengrauen (es heißt zu dieser Zeit tanzen sogar einige). Dann ziehen sie mit bunt geschmückten Eselskarren wieder raus aus der Stadt hin zu ihren Feldern, wo sie Orangen und Grüne Sachen aufladen, was vielleicht manchmal Spinat ist oder so, um diese am Tag mit lauten Stimmen wieder zu verkaufen. Und dann sind die Karren so überladen, dass mir die Esel leid tun, wenn sie auf meinem Weg zur Schule vorbeischlurfen, immer wieder geschlagen von kleinen Jungs mit Stöcken und rauhen Rufen.

Nein, aber für seine wöchentlichen Drumfestivals ist Lahore berühmt. Und ich machte mir schon Sorgen, dass ich hier war und doch nicht dort sein konnte in meiner ganzen Zeit. Dann sind wir also alle ins Auto gestiegen und hin zur Sher Janan Mosqe, was eigentlich einige Gräber sind, aber davon war nichts mehr zu sehen, so eng standen und saßen sie. Immerhin muss man noch die Schuhe ausziehen, wenn man auf einem Grab sitzt (und Gulzar der Fahrer weist mich gleich zurecht). Zwischen den ganzen Männern sind wir nicht nur die einzigen Weißen (Gora Gora), sondern auch die einzigen Frauen. Nach einer Weile Trommenlmusik sehe ich erst die Einheimischen Frauen, die zusammen hinter einem Gitter sitzen. Aber wir sind angreze, wir können hier bleiben - zum Preis von etlichen Blicken, Köpfedrehen bis hin zum Handykamera zücken und schließlich wieder das alte Lied „Where are you from?“. Mae eek pattan (die etwas helleren Pakistanis aus den Bergen) hun. Nei, ham pardese (Ausländer) nei hae! Auf Urdu irgendeinen Quatsch erzählen ist am lustigsten. Mit Gärtnern und Fahrern reden wir nur lachenden Unsinn. Aber das sollen wir eigentlich nicht, weil diese Leute ja kein guter Umgang sind. Ich hab schon lang kein Fußball mehr gespielt. Aber jetzt kommt ein Altsaxophon zu den beiden Trommlern und fängt ganz melancholisch an zu spielen. Die Leute rufen und singen immer wieder und nach dem traurigen Sax stellt sich einer hin und singt. Die meisten kennen seine Lieder und summen mit. Schade, ich nicht. Wenn ich nur ein bisschen grins oder so mit dem Kopf hin und her geh, gehen die Blicke wieder zu uns und wundern sich. Guck mal, sie kann lachen. Sie sagt Acca und Thike. Where are you from? Aber wir haben ja unseren Fahrer und Sahid und Jabba mit und so sind wir auch vor sämtlichen Ansprechungen sicher – bis auf einen Belgier, der froh ist Ausländer zu treffen (guck mal, die Frauen geben ihm die Hand! Ja, das macht man glaub so in Europa…). Und überall riecht es nach Gras. In der Menge tauchen immer wieder Hände auf, die fünf Tütchen auf einmal halten. Wahrscheinlich liegt die Tanzerei im Morgegrauen dann auch eher daran. Aber wir bleiben nicht so lang und wir bleiben bei Zigaretten. Morgen ist Schule, ich hab erlebt, was ich sehen musste und Lahore ist für mich mehr als erfüllt.

Das schöne daran, wenn man sich nicht so viel frei (nicht so viel frei?) bewegen kann in einem Gebiet ist, dass alles was man dort tut, ganz wertvoll wird. Oder zumindest seht besonders Jetzt müsste ich eigentlich vom Dienstag erzählen, als ich mit Matze in die Moschee gegangen bin und wir den das Mittagsgebet sehen konnten (mitmachen ging natürlich nicht). Wenn Du erlebst, wie viele Menschen so gemeinsam beten (jeden Tag und manche fünf mal) und dir denkst, was sie dabei verbindet und für was jeder einzelne beten mag (es ist bestimmt etwas gutes), dann verändert sich sich auch gleich das trockene Bild von Religion, das du dir zuvor aus Gesprächen und Schlagzeilen und „Islam verstehen“-Büchern gemacht hast.
Noch einmal können wir die Gastfreundschaft, das Interesse und die Herzlichkeit einer pakistanischen Familie erleben, als uns der Moscheeaufseher zum Essen bei sich einläd. Ich rede zunächst mit Tochter und Frau und sie will mir gleich zeigen, wie man Dal (Linsen, die es immer zu den Rotis gibt) kocht, während Matze sich mit den Jungs über Politik und Kultur unterhält. Da hab will ich dann doch zuhören und weil ich denke, sie sind eine modernere Familie, sag ich sogar was zu dem Männergespräch. Da sind sie aber doch zu sehr verwundert und so wende ich mich wieder dem Dal zu, gesellschaftskonform sozusagen (das hab ich hier erst gelernt).

Pakistan tanzt, heißt es in Deutschland, wegen der Wahlergebnisse. Ich hab jedenfalls noch keinen tanzen gesehen (heute sind wir ja auch zu früh nachhause), es ist ähnlich wie am 27 Dez oder bei dem Attentat am Anarkali Bazar. Die (in diesem Fall positive) Nachricht kommt an und das Leben geht weiter. Keine Euphorie. Aber froh sind sie doch, dass die Wahlen so verlaufen sind und dass es nicht noch mehr „Trouble“ geben muss.

Montag, 18. Februar 2008

wieder die Altstadt

Freitags sind wir wie üblich beim Filmabend des Punjabclub mit anschließender Übernachtung bei Lukas (dem österreichischen Volu beim Kulturveranstalter Dankar). Das war nun zwar erst das 3. Mal, aber dafür auch in Folge und so darf ich schon von einer Regelmäßigkeit sprechen – vor allem wenn man bedenkt, dass wir in Pakistan sind. Das geht dann so, dass wir uns zu viert in Assalams klappriges Auto drücken, in Defence aussteigen um uns eine Rickscha anzuhalten, die erstmal auf 120 Rupies (etwa 1,3 euro) runtergehandelt wird (Do sao! Eek sao, bas! Eek sao paccas Usw usf) und dann wird losgerattert. Am Burkatmarket wird ausgestiegen, Samir hat die Tür in der Hand und gibt sie dem Fahrer. Ein anderer zahlt. 100 Rupies sind inzwischen richtig viel Geld! Wir holen uns eben noch ein viel zu süßes Fruitshake und einige geröstete Kichererbsen oder Maiskörner, um diese während dem Film zu knuspern. Mit dem Aschegeschmack vom Warmmachen und den Pakistanischen Gewürzen ist das mehr als eine Alternative zum Popcorn der Kinos daheim. Die Filme sind gut, das merke ich daran, dass ich richtig drinn bin und würde nicht draußen die Moschee beten oder vor dem Fenster eine Ansammlung von Menschen sein, die für die Fahrradpartei (Musharraf) demonstrieren und unter „Insh Allah“ Rufen ein Feuerwerk veranstalten als gäbe es eine Hochzeit, dann hätte ich fast vergessen, dass ich in Pakistan bin. Es folgt ein Gespräch mit dem Filmvorführer (der das ehrenamtlich macht) über Kultur in Pakistan, über den Lehrberuf und schließlich wieder über Politik, was mir ganz gelegen kommt. Ein paar Dinge habe ich nun schon verstanden: Trotzdem kaum einer wählen geht, bleibt es spannend. Wenn nämlich die Fahrradanhänger die Wahlen gewinnen, so müsste es Aufstände im ganzen Land geben, weil hinter Musharraf nicht mehr als 20 % der Leute steht. Benazirs Partei (mit dem Tieger) hat dafür 60 oder manche sagen auch 80% hinter sich und so wäre alles andere Manipulation der Wahlen, was zu erwarten ist. Am ärgsten ist aber noch die Propaganda: riesige ernste Männergesichter mittleren Alters schauen von den vielen grünen Plakaten zu einem her, dass man den Blicken gar nicht mehr ausweichen und sich höchstens noch an den lustigen weißen Zeichen der Parteien freuen kann. Wenn das Geld mal in die Bildung fließen würde… Da bin ich schon wieder beim Lehrersein und erzähle dem Filmzeiger von denen, die während dem Unterricht ihr Motorrad putzen. Yeah, thats pretty often the case, meint er und Anum sagt später noch: being a teacher is for most of them only a matter of killing time in Pakistan and für some women it’s the only possibility to be outside the house. Das erklärt mir einiges.

Der Besuch beim Chan-bhai wird heute ausgelassen, da es schon spat ist und wir morgen früh in die Altstadt wollen. Im Motorrad-Rickscha Corso geht es quer durchs nächtliche Lahore. Ich wunder mich, wie Lukas sich hier zurrecht findet und wickel den Schal enger, sodass ich nur an roten Ampeln von einzelnen als Ausländer registriert werden kann. Den Dumatta (Kopftuch) mag ich inzwischen wirklich – wie so viele Dinge, die ich Anfangs für nichts als unpraktisch hielt.
Um halb sieben machen Helen und ich Cae um die Jungs zum Aufstehen zu bewegen. Die Sonne ist schon aufgeganngen, sagt mir eine Frau vor unserem Haus, zeigt dabei aber irgendwie nach Westen. Die Straßen füllen sich schon von Eselskarren mit Krotten und Limonen und viel zu vollgeladenen Trucks, die Zement oder Steine bringen. Vereinzelt sieht man einen Achsenbruch und die Ladung verteilt sich schön auf der Straße, dass das Rickscha-Fußgänger Chaos sich steigern kann. Da musst Du eben früher aufstehen, Maria, denk ich mir auf dem Weg in die Altstadt – immerhin ist es noch etwas neblig und die Sonnenstrahlen fallen ganz lang auf die staubige Straße. In der großen Moschee ist der Morgen am schönsten zu spüren. Hier finden wir völlige Ruhe zwischen den riesig wirkenden Kuppeln und dem kalten Steinboden (Die Schuhe werden natürlich vorher ausgezogen). Außerdem sind die Gebetsteppiche leer, sodass ich mich hinknien und 2 rakaat beten kann, wie ich es in Roshni gelernt habe. Sub han Allah, Ala hu akbar, Alham dulila. Und fühle mich fast religiös, weil ich nur gute Gedanken dabei habe. Aber was man Religös nennt ist eine andere Geschichte. Außerdem haben wir Hunger. Vor der Moschee treffen wir den Touristenführer Assif, einer von Lukas zahlreichen Freunden in der Stadt. Er bringt uns zu dem leckersten Naan ever eaten mit knochenlosem Fleisch und würzigem Dal. Dann kommt Frittiertes mit süßem Halva. Den zweiten Cae haben wir auch schon hinter uns. Pappsatt und mit vielen neuen Geschichten von Assif, der etwa 22 Sprachen kann (gelernt von Touristen, die es hier vor 9/11 noch gegeben haben soll), wie er sagt, gehen Matze, Helen, Samir und ich nun auf eigene Faust in die Altstadt.

Wiedereinmal bin ich von den Sinneseindrücken völlig weg (will eigentlich sagen geflasht). Außerdem muss ich fast nicht mehr unsicher sein, wo und wie ich gehen kann. Ich verstehe nun, was die Leute hinter mir sagen und wunder mich nicht mehr über ihre Reaktionen. Ich erschrecke nicht, wenn die Vorbeigeher von „welcome in Pakistan“ bis „I love u“ alles rüberwerfen, was sie an Englisch gelernt haben. Vorbei an den vielen How are you’s geht es in die Papierstraße, wo ich hinter den Eisentüren kleine Kinder sitzen sehe, die unsere Schulhefte falten und nähen. Ich habe noch den Maschienenölgeschmack vom Zuckerrohrsaft im Hals, den ich voher so unvorsichtig genossen habe. Kinderarbeit, oder? Die einen stellen sie her, die andern benutzen sie. Matze und ich gucken uns an. In der nächsten Stoffstraße geht unser Einkauf los. Was ich Euch alles gerne mitbringen würde! Dann sind wir auch schon wieder in einer der breiteren Essenstraßen (breit heißt, dass zwei Rickschen aneinander vorbeikönnen), in der es wieder überall nach runterhängendem Fleisch riecht. Wir fragen uns durch zum Anarkali Bazar (einer der ältesten Märkte Lahores) und ich bin schon wieder stolz auf mein Urdu (und gleichzeitig unstolz, weil ich denken muss, wie ich sprechen könnte, wenn ich mich mal regelmäßig drangesetzt hätte). Hier finde ich ein echtes Schreibwahrengeschäft, mit Dingen, die man auch im Alltag verwenden kann. Aber eigentlich habe ich den ganzen Kitsch, die Armreifen (Bangels), die gllitterstickereien und Plastikkörbe inzwischen richtig lieb gewonnen. Das ist eben auch Teil der Kultur.
Dann ein schönes Umtauscherlebnis: Ich finde denselben Schal wie eben gekauft, nur an den Enden versorgt. Samir nimmt mich zum alten Geschäft zurück, spricht mit ihnen und ich habe meine 200 Rupies wieder in der Hand. Als ich mit I’m sorry und so anfangen will, winken sie ab und sagen, ist doch selbstverständlich. Samir und ich spielen einen Rücktausch in Deutschland durch (Nein, Frau Tacker, da muss ich erstmal meinen Abteilungsleiter suchen – wieso wollen sie diesen Artickel denn zurückgeben?). Das ist lustig. Wieviel Zeit vergangen sein mag, seit wir in das Altstadtmärchen mit seinen vielen Händlern und Farben, Gewürzen und Rufen, Gerüchen und fremden Blicken eingetaucht sind? Als wir mit Assalam-bhai, einem Auto voller Sachen und einer Maria voller Bilder wieder nach Roshni kommen, denk ich mir schon extrem lange nicht mehr hier gewesen zu sein.

Außerdem wird es hier schon Sommer und ich gehe wieder Barfuß!

Freitag, 15. Februar 2008

Das lustige Botschaftsspiel

Wieviele Tage sind schon wieder vergangen? Wochen? Entschuldige, dass ich so wenig schreibe – das bedeutet nur, dass die Zeit intensiver wird, dass ich nun alles auf einmal wahrnehmen will und nichts davon runterschreiben kann in klaren Sätzen. Ich weiß, dass ich schon dabei bin, mich zu verabschieden von diesem Ort – obwohl es noch zwei Wochen sind (aber wir wissen nun ja auch, was zwei Wochen sind!). Das merke ich daran, dass mir auf einmal alles unheimlich wertvoll wird, dass ich Ideen hab, was ich noch alles in den Unterricht bringen könnte, dass ich mir denke „wieso eigentlich gehen?“. Aber ich erinner mich auch gut an meine Zweiflerzeiten und wie ich mich für Indien entschieden habe. Außerdem habe ich mal gehört, wenn man einen Entschluss gefasst macht man das auch so (hä?).
Das letzte Mal, als ich wieder dachte, das geht doch alles gar nicht, war am Dienstag, als ich in Islamabad vor der Indischen Botschaft stand mit der Botschaft, dass mein Pass nicht mehr reicht (Haltbarkeitsdatumstechnisch) für das Visum. Aber das schöne am Leben ist ja, dass die Wege, die zu gehen sind, meist ganz offensichtlich da liegen und man sich nur noch dafür entscheiden muss. Ich verstaute also meinen gesunkenen Mut in der guten Chwarcamistasche und machte einen langen Spaziergang bei Vogelgezwitscher und Sonnenschein (übrigens mein erster echter Spaziergang seit über vier Monaten, wie meine Beine später meldeten) durch das Botschaftsviertel zu den Deutschen. Mit meinem Urdu hatte ich es relativ leicht bei den Beamten, weil sie gleich begeistert waren, dass ich sie in ihrer Sprache anspreche (später merkte ich, dass sie froh waren, dass ich sie überhaupt anspreche und hatte es gar nicht mehr so leicht, weil sie dann - um länger mit mir zu schwätzen - meinten, ich könne hier nicht durch) und so war eigentlich jede Sicherheitskontrolle eine lustige Begegnung. Als ich die Tür zur Visaabteilung der Deutschen Botschaft öffnete, wurde aller Sinkemut von einer enormen Heimatswelle überspült. Ich wusste ja gar nicht, wie Deutsch ich im Grunde bin. Oder um es anders zu nennen, Wie sehr das Land, in dem ich aufgewachsen, eigentlich auch meine Familie ist. Natürlich hatte ich die Botschafterinnen und Botschafter zuvor noch nie gesehen, doch ich kannte ihre Sprache, ihre Gestik, ihre Reaktion, ihre Denkweise. Und weil mir das alles so sehr vertraut vorkam, und die Frage groß war, was ich denn hier ganz alleine täte, wurde ich richtig fröhlich. Am Abend ging ich mit einer Tasche voller Pässe aus dem Botschaftsviertel um einen davon, der bis nächstes Jahr noch hält, am nächsten Morgen den Indern zu geben. Ich kam mir vor, wie in einem dieser Spiele, wo es immer bestimmte Dinge erledigen muss, um vor der nächsten Aufgabe zu stehen. Auf diese Weise bekam ich nicht viel von Islamabad zu sehen, aber ich denke mir, es ist eben auch eine Stadt. Im Unterschied zu Lahore ist die Luft sehr viel besser, man sieht um sich herum die Vorläufer des Himalayagebirge (ist das richtig?), ein wenig mehr Ausländer (das mag an den Botschaften liegen) und etwas weniger Frauen auf den Straßen. Das Essen ist scharf und fett wie immer und die Gastfreundschaft nimmt gegen Norden sogar noch zu, sagt man sich.

Am ärgsten ist für mich wahrschienlich der Abschied von der Schule. Es ist so merkwürdig, weil ich das Gefühl habe, dass meine Umgebung, die Lehrer, die Sprache, die Mentalität, sogar die Religion, die von der Gesellschaft zum Moralrohrtstock geflochten wurde (geht das?), das „thike“ sagen und das Willenzurückschrauben, die Fröhlichkeit („why do you worry, Maria, there is nothing to worry about!“) und Herzlichkeit Teil von mir geworden sind. Inzwischen bin ich jedes meiner Kinder, bin Muqqadaz, die immer nur grinst und Sajid, der weint damit man nach ihm schaut, bin Shehbaz, der schon auf Englisch fluchen kann und Ehsan, der alles versteht aber lieber Blödsinn macht als mit. Vielleicht sollte ich eher sagen, ich find mich in jedem von ihnen wieder. Und schließlich denke ich sogar, ich möchte doch Lehrer werden, weil es so schön ist. Dann habe ich aber die Momente vergessen, als ich vor der Klasse stand und merken musste, dass niemand aufgepasst hat in den letzten fünf Minuten. Als ich innerlich die Wände hochging, weil man es ja doch persönlich nimmt, wenn einem nicht zugehört wird. Und dann von “Teacher Pencil!” zu “Teacher raise” (Eraser!! There is no raise, only the Sun raises) zu „Teacher likliah” (I have finished) bis der Kopf wehtut. Schließlich muss ich mir dann sagen, dass die Kinder ja nicht aus bösem Willen ständing durchnanderrufen und rumblödeln, sich hauen und Aufmerksamkeit wollen. Und dann hatte ich es auch schwer, zwischen Unterricht und chuti (off) zu trennen und die Kleinen liefen in manchen Stunden genauso zu mir um mich zu knuddeln, wie heute morgen vor der Schule. Da hatten sie irgendwie erfahren, dass ich nach Indien gehen werde, hingen an meinen Kleidern (dazu eignet sich Chewarcamis übrigens prima, sehr zu empfehlen!) und jammerten „nei jane, nei jane“ (geh nicht, geh nicht!). Und nun fragen sie mich jeden Tag, wann ich denn gehe und warum ich denn gehe. Was soll man denn da sagen? Noch besser ist es bei den Erwachsenen, die mit vorwurfsvoller Miene fragen, ob ich ihr Land denn nicht mag und wenn ich ihnen dann mit tiefer Verbeugung sage Pakistan sei wunderbar, dann sagen sie gut, wieso bleibst Du nicht hier, heiratest, kaufst Dir ein paar Büffel und lebst mit uns? Und das meinen sie auch so. Ich sage, ich muss erst noch studieren und viel lernen. Aber dann kommst Du doch wieder, oder? Ja, vielleicht, es ist halt auch ein bisschen weit von Deutschland nach hier! Ja? Wie weit denn? So weit eben, dass man nicht wissen kann, ob man diese Reise noch einmal macht. Dass ich auch gerne noch andere Länder dieser Erde sehen würde, wenn es mir möglich ist zu reisen, sage ich in dieser Unterhaltung besser nicht, denn mir geht es ja gut in Pakistan, wieso sollte ich woanders leben wollen?

Ich habe gehört, dass eure Schlagzeilen sich gerade ausgeschlagen haben, über dieses Land. Ich weiß auch nicht, ob es in der Politik oder bei den Leuten zur Zeit viel Veränderung gibt. Am Montag und Dienstag ist chuti wegen Wahlen aber ich habe noch niemanden getroffen, der hingeht - und ich frage beinahe jeden!

Samstag, 2. Februar 2008

Nur zu Besuch

Vielleicht etwas spaet zum Schreiben, aber was soll man machen um die Zeit in Lahore? Und dann ist es ja auch so, dass es sich am besten schreibt, wenn einem danach ist. Steht da unten eigentlich, dass ich net mehr schreiben koennte? Na gut. Es was also so, dass ich letztes We bei Simi der Viertklasslehrerin zu Besuch und von der Gastfreundschaft dieser Familie wieder so verwirrt war, dass ich schon saemtliche Saetze fuer den Blog ausformuliert hatte in meinem Kopf - dann aber unter der Woche wieder so sehr beschaeftigt war mit dem was man Alltag nennt dass nichts davon in die Tastatur gelangen konnte. Das mit den Photos muss auch noch nachgeholt werden! Da ich aber kein allzugrosser Fan von Nachholen in diesem Sinne bin, kommt was ich gestern und heute erlebe zuerst.

Wir sind Mit Lukas, einem Volu aus Oesterreich (Mentalitaet ganz dementsprechend*) in Lahore unterwegs. Matze, Samir und ich, auf dem Motorrad sind das also vier. Oder zwei und die zwei andern in der Rikscha. So gehen wir seit Freitag von a nach b, schauen einen guten Film aus dem Iran, hoeren ein Sitar-Taba Konzert (traditionelle Musik) und im Anschluss ganz untraditionelle Musik an einem wiederanderen Ort, bis wir bei Hotel California sind und ich mit einem Cappuccino in der Hand (wer hat mir den eigentlich bestellt?) schon denke, das koennte auch Europa sein - oder Amerika oder woimmer.
Woran ich dann merke, dass ich doch in Pakistan bin ist, dass ich beinahe die einzige Frau im Raum bin und entsprechend ueberraschte Blicke ernte. Das ist aber auch alles. Angesprochen werde ich kaum und das ist vielleicht ganz gut so - ich habe mein Bekanntschaftsinteresse hier etwas runtergeschraubt, weil es meistens doch nur darin endet, dass man erzaehlt, wies der Familie (die der andre ja gar net kennt) geht, dass ich nicht zu Wort komme, weil der/die Gegenueber so sicher im Reden ist, oder dass ich eh ich mich verseh irgendjemandes bester Freund bin, und dass ich mir ueberlegen muss, ob ich diese Unterhaltung ueberhaupt fuehren sollte oder lieber mich umdrehn zu meinen Jungs um deren Reden folgen und meine eigenen Gedanken zu machen... So geschieht es also, dass nicht nur jeder Deutsche, den ich hier treffe irgendwie familiaer wirkt, sondern auch jeder andere Auslaender. Mit dem Australier habe ich nur ein paar Worte wechseln muessen und schon gemerkt, wie anders sich das anfuehlt, weil er es gewohnt ist, mit Frauen, mit Reisenden, mit jedem eben zu reden. Zuhoeren. Aber darin kann ich mich ja nun ueben. Und dann (wenn man das kann) werden auch die Gespraeche mit den Einheimischen superinteressant. So waren wir gestern beim Chan-bhai (Talat Bilal Achmet Khan oder so mit ganzem Namen, aber jeder kennt ihn als den Mondbruder) zuhause und haben lange Saetze ueber Das Pakistanische Volk, seine Geschichte, die Gruende fuer den Hass auf bestimmte Gruppen usw usf gehoert, was ich hier nicht ausfuehren moechte, weil das spannende wieder nicht blogtauglich ist (wir koennen ja mal telephonieren). Aber das war wirklich jemand, der hier leibt und lebt. Chan-Bhai hat um die Ecke einen Laden und ist also einer der vielen Shopkeeper, die ich sonst im Vorbeifahren an der Strasse sitzen sehe und mich frage, was fuer ein Leben dahinter ist. Jetzt habe ich immerhin eine kleine Idee davon. Auch, weil ich lange mit seinen Frauen gequatscht habe. Nicht, dass er mehrere Frauen haette - das weiss ich nicht, aber wegen der Bharda (Abstand von den Maennern) waren Frau und Mutter und Oma und Tochter und Hausmaedchen und und und im hinteren Teil des Hauses versammelt, welchen unsre drei Jungs nun nicht betreten durften. Aber ich darf doch, oder? Ja, endlichmal was, was ich darf eben weil ich Frau bin! Und obwohl es wieder die anderen waren, die mich unterhalten haben (dabei bin ich glaube ich gar nicht redefaul oder so) und sich die Frauen ironischerweise noch bedankt haben, dass ich ihnen von meiner Kultur und meinem Leben so viel ins Haus gebracht habe (wo ich doch gar net dazu kam), war ich wirklich geruehrt und habe mich nach laengerhierbleiben gefuehlt - zumal die 18 Monate alte Tochter mich ganz strickt dazu angehalten hat (deutet auf den Stuhl, und sagt ich solle mich bitteschoen wieder setzen). Und dann das Hausmaedchen Muqqadaz vom Dorf, die den guten Tee gemacht hat und mit mir Tiddeli hun mae Tiddeli hun gesagt hat, was ein wirklich suesses Gedicht aus der Schule ist. Schliesslich hat sie mich umarmt (in der Kueche, wo es die anderen nicht gesehen haben), die alten Frauen haben mir ihren Segen gegeben Und die Jungs im Vorderzimmer mein Abendessen, Naan und Kabab was scharf aber echt gut ist.

Und nun sind die Konzerte vorbei, wir sind bei einem eher reichen und gut englischsprechenden weilinUSAundAfrikaaufgewachsenen Freund von Lukas gelandet, haben heute wieder eine Menge verschiedener Caes getrunken und sind dementsprechend muede. Dabei glaube ich, es sind eher die Erlebnisse, dei Muede machen. Muede und wach. Und schreibfreudig.

*bist Du hier eigentlich reise- oder krankenversichert oder so? - ja, ich hab da was, weiss aber nicht so genau wofuer, ist irgendwie Berufsrisiko!