Samstag, 25. Juni 2016

Mini-Erleuchtung in Leh

Wenn ich morgens aufwache, glitzert die Sonne in den Baeumen von Leh. Ueberhaupt glitzert alles, das Wasser, die Berge, die Shawls und manchal auch die Augen der Leute, obwohl (oder gerade weil?) sie so viel arbeiten hier oben in den Bergen. Je naeher man an der Stadt wohnt, desto reicher ist man, desto leichter ist auch die Arbeit – auch wenn sie immer noch nicht leicht ist. Ich versuche unsere Gehaelter in Deutschland damit zu rechtfertigen, dass auch die Mieten hoeher sind, aber allein die Tatsache, dass ich Zeit habe und reisen gehe, sagt schon alles.

Ich bin ein paar Tage in der Stadt geblieben, weil mein Koerper nicht ganz in Ordnung war. Die Erleuchtung kam nicht, als ich einsam auf einem Stein sass und die Berge anschaute - was auch schoen war. Sie kam, als ich durch die Strassen ging, Staub in der Nase, Geraeusche im Ohr von Autos und Menschen die an mir vorbei wollten - oder ich an ihnen. Sie kam, so wie Gedanken kommen, die etwas wichtiger sind, als die anderen. Ich war auf dem Weg zum Krankenhaus, nichts wissend, was ich genau habe. Ich hatte verschiedenste Apotheken besucht, wo der Arzt mal um zwei, mal um drei und mal um vier kommen sollte, meistens aber doch nicht kam. Die wenigen Aerzte, die ich sprach, konnten kaum Englisch. Also ging ich ins Krankenhaus. Auf dem Weg ueberlegte ich mir, dass es wirklich schoen ist, zu leben, dass der Koerper ein wundersames Objekt ist und so fragil zugleich. Es verunsicherte mich, nicht zu wissen, was war. Alles verunsicherte mich ploetzlich. Die Sprache, das Warten, das Laecheln und Kopfwiegen der Leute. An den Waenden des Spitals stand: "Smile and Silence is the way". Und: "There are two kinds of pain: one that hurts you and one that changes you". Nur in diesem Moment gerade wollte ich nichts philosophisches hoeren, sondern wissen, was die Reaktion meines Koerpers war auf die drei Spritzen, die ich so ploetzlich in Dharamkot bekommen hatte. Ich kam auf sonderbare Weise schneller durch die Reihen, als sonst, was mir jetzt auch nichts machte. Der Arzt sah mich kurz an, bog meine Knie, nickte zufrieden und verschrieb mir ein Antibiotikum - und noch eines gegen die Schmerzen… "Ich habe keine Schmerzen", protestierte ich und er strich laechelnd das zweite Antibiotikum von der Liste. Ich fragte ihn, ob es gefaehrlich sei, was ich habe. Nein, sagte er, mit demselben freundlich-belustigten Laecheln und nahm den naechsten Patienten dran.

Etwas beruhigt und etwas beunruhigt ging ich fort. Ich schrieb Bena, die Aerztin ist, eine Mail mit dem Ergebnis, dass ich evtl. nochmal ins Krankenhaus musste. Immerhin kostete die Fahrt hier 20 Rupies und nicht 1000, wie in Dharamkot. Ich googlte 'Abszess' und entschied nach einigen Minuten merkwuerdiger Verlaufsbeschreibungen, dass es keine gute Idee ist, Krankheiten zu googlen, die man nicht kennt. Es verunsicherte mich alles und gleichzeitig merkte ich, wie gluecklich ich mit dem Leben und den mir so lieben Menschen bin. Dass jedes Wort, das wir austauschen, mehr wert ist, als alle Projekte, die wir machen koennen. Dass alle CDs und Lieder und Fotos, die ich je gemacht habe nichts sind, im Vergleich zu einem guten Wort, dass ich zu jemandem sage.

Freitag, 17. Juni 2016

Paradiesvoegel

Die Lichter der Stadt gehen an. Dharamkot ist ein kleines Doerfchen am Fusse des Himalayas, das zwischen zwei hohen Bergen liegt, nicht im Tal sondern eher am Hang. Unter uns ist Dharamsala, wo der Dalai Lama wohnt und wo viele Tibeter zuhause sind. Morgens hoert man die Voegel zwitschern und abends singen die Leute in den Strassen, entweder Mantras oder Bollywoodlieder. Ich musste sofort an Philipp denken, als ich hier herkam, der mir vor acht Jahren begeistert gesagt hat, wenn du in der Gegend bist musst du nach Himrachal Pradesh gehen, das ist das schoenste auf der Welt!!!

Ich bin kein Fan von Superlativen, aber als ich gestern am Wasserfall war, kam mir genau der Gedanke: Das ist das Schoenste, was ich je gesehen habe! Da war nichts. Nur ein kleiner Teastall, riesige Steine, glasklares gruenes Wasser und eine weite neblige Landschaft in der Tiefe. Ich hab gebetet und war dankbar, das ich so weit gekommen bin. Hier kann man alles machen - es ist auch ein bisschen komisch. Von Vipassana ueber Shamanic Sessions, Rebirthing, all kinds of Yoga bis zu Ayuwaska nehmen oder alles zusammen. Viele Israelis sind hier, natuerlich, aber auch einige Deutsche, Franzosen, Inder und Englaender. Es ist lustig, sich zu treffen und die ganzen Reisegeschichten zu hoeren. Ich verliere langsam meine Vorurteile gegenueber Touristen - alle sind anders, ich bin eine davon. Mein Handy wurde fuer einen Tag geklaut und kam dann wieder zu mir zurueck. Ich war zwei Tage krank, habe drei Spritzen bekommen und wurde von Hannes quer durchs Dorf getragen. Langsam kann ich wieder Chae trinken und ich merke, dass es Zeit wird, aufzubrechen. Die zehn Tage Einfuehrung in den Buddhismus habe ich gecancelt, weil ich weiter moechte nach Leh (das ist noch mehr in den Bergen). Einer sagte zu mir beim Teetrinken: Why should we sit inside and breathe if we can see this amazing Nature, und deutete auf die Berge vor uns.

Am schoensten - nach der Natur - sind die vielen verschiedenen Kleider. Die Frauen tragen Shalwarkameez, die Touristinnen wilde Seidenroecke und Traegertops. Mit ihren Federn in den Haaren, Armbaendern, Tatoos aus diversen Stationen ihres Lebens und meistens einem bunten Punkt in der Mitte ihrer Stirn sehen sie manchmal aus wie etwas verlorene Paradiesvoegel. Ich trage jeweils abwechselnd eines meiner fuenf Shalwarkameez und kriege viele Komplimente und Fragen, woher ich das habe, warum ich Hindi spreche und warum ich in Pakistan war. Es ist schoen, die Geschichten zu verbinden. Und es is schoen, Geschichten zu erzaehlen.

Samstag, 11. Juni 2016

Milchkaffee

Heute bin ich ueber die Wagah Border gegangen - zurueck nach Indien, nach 3 Wochen Pakistan. Ich wollte nicht gehen, aber ich wusste auch nicht genau, was ich noch machen sollte in diesem mir so lieben, mir so widerspruechlichen Land. Zo war unterrichten in Gilgit und ich habe versprochen, nicht in die Berge zu fahren. So ging ich nochmal nach Islamabad, Freunde besuchen die bei der GIZ arbeiten.

Deutsche in Islamabad. Das war ziemlich lustig. Ein anderes Islamabad, als wie ich es kannte von Zoheb, aber auch ein bisschen aehnlich. Ich wurde von unserem Fahrer bei Daewoo abgeholt und als ich ankam und Kaffee bekam, Deutsch sprach und Buecher in Schrank sah, die ich lesen wollte, hatte ich fast wieder das Gefuehl, zuhause zu sein. Es ist ein komischer Kontrast, all das zu haben, wenn genau dieser Kaffe ein Tageslohn fuer meinen Fahrer sein koennte. Begehbare Duschen und Gespraeche ueber Politik. "Halb Zwoelf", sagte die Stimme im Fritzradio und ich wunderte mich einmal mehr, dass es nur 3 Stunden Unterschied sind, bis nach Pakistan. Der Radiosprecher fragt Fussballfans, ob sie Angst haben jetzt in Frankreich. Ich sitze in Islamabad und moechte auch gern die Nummer waeheln. "Wir wollen eure Meinung wissen", sagt der Sprecher - ich weiss meine Meinung nicht. Ich weiss nur, dass es hilft zu denken, dass die Gefahr bei eine Attentat um zu kommen statistisch gesehen viel niedriger ist, als z.b. beim Autofahren. Ich mache Milch in einer Pfanne warm, weil ich die Toepfe nicht finde und fuehle mich ploetzlich an so viele Situationen in Laendern erinnert, wo ich Milchkaffee machen wollte und irgendwas gefehlt hat. Gluecklich und zufrieden sitze ich schliesslich auf dem Sofa und lese 'How to get filthy rich in raising Asia'. Das Buch ist zum Glueck keine Anleitung zum Reichwerden, sondern die Lebensgeschichte eines Lahoris, der ein Wasserabfuellunternehmen gegruendet hat und vom Dorfjungen zum angesehenen Staedter wird. Mit meinem Hintergrund bei Roshni, den Besuchen zuhause und den vielen Familiengeschichten, die ich kennenlernen durfte, ist der Wiedererkennungswert hoch. Als ich Islamabad verlasse, bleibe ich noch eine Nacht in Lahore, bin dann aber auch froh, die Stadt zu verlassen und mit Indien ein Stueck Unabhaengigkeit zu gewinnen - sei es um einfach nur alleine den Zug zu nehmen oder irgendwo zu uebernachten und keiner weiss wo.

Ich verlangsame meine Schritte, als ich zur Grenze gehe. Nichts ist wie frueher. Kein Bookshop, kein Latif, keine Bangels - es hat sich nicht gelohnt, hier einen Laden zu machen. Vergeblich versuche ich, meine Pakistanischen Rupees loszuwerden, die ich schliesslich umtauschen muss. Noch ein bisschen quatsche ich mit den Baemten, um Zeit zu schinden. Leicht wehmuetig sage ich zu ihnen: "Hier bin ich Gast, drueben werde ich Tourist sein." Sie laecheln. Jedes gute Wort ueber Pakistan scheint balsam zu sein in dem Land, das staendig etwas falsch macht. Manchmal wuenscht man sich, gar nichts zu sagen. Manchmal lacht man einfach ueber die Unterschiede. "I cannot go to your country, you can go to mine", sagte mein Fahrer in Islamabad und, ja, wir lachten. Ich fuegte ernster werdend hinzu: "I wish it would be equal", dann wechselten wir das Gespraech. Bei den Grenzbeamten ist es aehnlich. Was sollen wir auch tun? Ein letztes Mal sage ich "Shukriya" (danke) und "Alla Hafiz" (tschuess) und verschwinde. Drueben werde ich mit "Namaste" begruesst. "Welcome to India. Achcha - You speak Hindi??, "Hindi - Urdu, ...", sage ich verwirrt. "Wo hast du das gelernt?", "In Lahore", "Wo gehst du hin?", "Nach Amritsar", "Fuer wie lange?", "Einen Tag", "Phir?" (und dann?), "Phir Dharamsala, Mc Loyd Ganj, Delhi, bas, Germany wapis, ye hae", rolle ich herunter, wie ich es schon so oft getan habe. Ich bring die Namen durcheinander, Vergangenheit und Zukunft (Kal heisst sowohl "gestern" als auch "morgen") und wuensche mir, nichts mehr beantworten zu muessen. Es ist heiss. Nicht so heiss wie sonst, aber heiss genug. Noch glaube ich, das ich nichts essen und nichts trinken darf, wegen Ramadan, aber ich bin nicht mehr in Pakistan. zoegernd nehme ich meine Wasserflasche in die Hand.

Der Immigrationofficer nimmt meinen Pass in die Hand, mustert mich, mustert meinen Pass, dann wieder mich. Lange Pause. Ich warte und hoffe, dass er nicht nach der Polioimpfung fragt, ohne die ich nicht nach Indien darf. Nichts passiert. Dann schaut er wieder auf: "Jaecobi?", fragt er unglaeubig, mit einem langgedehntem "ae". Mit sicherer Stimme sage ich "Ji" (Ja) und atme durch. Endlich etwas, das ich einfach beantworten kann.

Sonntag, 5. Juni 2016

Riksha

Es ist, wie gesagt, nicht immer einfach in Pakistan von A nach B zu kommen. Schwierig ist es auch nicht. Schwierig ist nur, dass, je laenger man darueber spricht, immer mehr Leute involviert sind. Am Ende schreibe ich 3 Menschen eine sms, dass ich gut angekommen bin, und rufe eine vierte Person an. Auch wenn es sich nur um zehn Minuten Rikshafahrt handelt.

Man muss dazusagen, dass es nicht besonders angesehen ist, eine Riksha zu nehmen. Das machen nur Leute, die entweder keinen Fahrer haben oder keine Freunde, die sie abholen. Oder Reisende wie ich, die es aber kaum gibt. Gesagt getan. Ich rufe also den Rikshafahrer meines Vertrauens an (das ist schonmal besser, als ‘irgendjemand’ anzuquatschen), dass er mich abholen kommt. Meine Freundin malt mir eine Karte, damit ich auch weiss, wo ich bin – just in case. Der Fahrer kommt und wir brettern los. Wir quatschen ein bisschen auf Urdu, ich bin wieder Christ, weil er auch Christ ist und sich darueber freut und ich schweige wieder, um auch nicht zu nett zu sein. Er haelt seine Hand raus zum Abbiegen. Auf meiner Karte zeigen die Pfeile nach rechts. Wir biegen links ab. Ich warte. Versuche die Strassenschilder zu lesen, hoffe auf einen U-turn, warte. Vertrauen, Maria! ‘Also…’, denke ich und ueberlege, ob es sich lohnt, mit dem Rikshafahrer ueber den Weg zu diskutieren. Doch da biegt er auch schon wieder links ab - ein bisschen mehr in meine Richtung. ‘DHA’ Lese ich auf den Schildern und bin beruhigt. Kleine Muellfeuer brennen am Strassenrand, Kamele grasen zwischen Rikshas. Ich halte meinen Rucksack fest, dass er nicht rausfaellt und versuche gleichzeitig das Kopftuch (Dupatta) ueber den Haaren zu lassen waehrend der Wind es fortreisst. Heimlich mache ich Bilder von der Strassenszene. Heimlich, weil ich nicht auffallen will und weil ich, wenn ich schon auffalle, nicht die sein will, die einfach nur Fotos macht. Manchmal lohnt es sich nicht, an spaeter zu denken. Die Bilder verwackeln, wir sind fast da.  Wo genau das ‘Gloria Jeans Coffee’ ist, weiss ich nicht. Wir fragen bei einem Kino nach. ‘Frag nicht die Leute am Eingang, die wissen nichts’, sagt der Fahrer. Ich frage die Leute am Eingang: ‘Assalamu'aleikum, …” – Schulterzucken. Und die uebliche Verwunderung darueber, dass seine Frau alleine irgendetwas fragt. Schuechterne Blicke, Laecheln, Blicke zum Boden (auch meine). Mein Fahrer taucht hinter mir auf und wir fragen an der Kasse. ‘Gloria Jeans? Da lang, da lang, da lang und da lang’, sagt er mit einer fliessenden Handbewegung. Wir fahren wieder los. Er ist sehr freundlich und geduldig, wie ich finde. Am Ende rufen wir eine der vier Nummern an, um nochmal genau zu erkunden, wo es ist. Es klappt, wir kommen an. Wie konnte ich auch denken, dass es nicht so waere? Ich bezahle, schreibe 3 sms und freue mich auf den ersten Kaffee in zweieinhalb Wochen.

Ich liebe Rikshafahren! Man fuehlt sich so selbststaendig. Man sieht so viel Stadt, ohne gesehen zu werden. Man kann dem Fahrer sagen, er solle kurz anhalten, um Wasser zu holen oder etwas Handyguthaben. Alles Sachen, die ich alleine nicht so einfach kriegen kann. Ich bin immer ein bisschen stolz, wenn ich angekommen bin - es ist wie Erwachsenwerden an einem Tag.

Freitag, 3. Juni 2016

Lahore لاہور

Lahore war schon immer magisch für mich. "Jine Lahore nei dekhia o jumia nahin", sagt man auf Punjabi, was so viel heißt wie: wer Lahore noch nie gesehen hat, ist noch nicht geboren worden. Ich agreee. Die ganze Zeit habe ich an Lahore gedacht, wenn ich zuhause war. An die Altstadt, die Gerüche, die vielen Menschen, die bunten Kleider und alles, was da noch so ist.

Und jetzt? Jetzt trinke ich Chae mit Kardamom bei Mc Donalds. Stelle erstaunt fest, dass Frauen hier auch ohne Kopftuch rumlaufen können. Falle ich nicht mehr auf als Ausländerin, weil ich mich daran gewöhnt habe, wie alles funktioniert: entweder ich habe einen Mann dabei, der die Abläufe regelt, oder ich bin mit einer Frau (oder gar alleine) unterwegs, dann halten wir uns dezent zurück und kriegen meist trotzdem was wir wollen. "Our society is not made for women", sagt mir eine Freundin und ich denke sehnsüchtig an Deutschland.

Andererseits kommt mir auch viel Respekt entgegen. Werde ich nicht mehr einfach angesprochen wie in Indien. Wenn jemand das Gespraech eroeffnet, dann ich. Und vielleicht die Frauen im Bad, die neugierig sind, ob ich verheiratet bin, wieviele Brueder und Schwestern ich habe und ob mir Pakistan gefaellt. Ich sage immer ja. Ich bin hier gerne. So sehr ich damit kaempfe, so sehr geniesse ich meine merkwuerdige Rolle als alleinreisende Frau. Und die ungewohnten Eindruecke - Kulfi Eis, Geckos an der Wand, Froesche im Bad, Eselskarren und riesige mit Zuckerrohr beladene Wagen. Bald faengt der Ramadan an - was mache ich dann? Eine Option ist, nach Indien zu gehen, wo ich spaetestens am 12. Juni sein moechte. Eine andere, nochmal nach Islamabad zu gehen. Dieses Mal scheint sich mein Pakistan zwischen Lahore und Islamabad auszubreiten. Man muss auch nicht immer alles machen (auch wenn ich 1000 Ideen hab). Vor allem wegen der Gefaehrlichkeitssache. Ich schaeme mich, Fragen zu stellen, ueber was hier gefaehrlich ist und was nicht, wie sich das Leben anfuehlt, wenn man hier lebt usw usf. Alles ist ziemlich normal. Wie kann ich Leuten misstrauen, die mich zum Essen einladen und zu ihrer Familie? Wie koennen wir denken, ein ganzes Land (oder sogar: die Leute die dort leben) sei gefaehrlich, nur weil eine ganz bestimmte Randgruppe gefaehrlich ist? Das macht keinen Sinn. "Du musst dich nicht schaemen", sagt Zo, "Glaub mir, wir haben dieselben Gedanken, wenn wir in unser Land zurueckkommen." Diese Angst legt sich mit der Dauer des Aufenthaltes. Je mehr friedliche Tage man hier verbringt, desto mehr glaubt man auch wieder daran.

"Pakistan war noch nie so sicher", sagte ein Cafebesitzer, der mich in Berlin auf einen Chae einludt, kurz bevor ich gegangen bin. Ich sagte ihm, wo ich hingehe in Lahore und seine Augen leuchteten. "Jine Lahore nei dekhia o jumia nahin", sagte ich laechelnd und seine Augen leuchteten noch mehr. Ich solle in Lahore seine Frau besuchen, sagte er, und gab mir ihre Nummer. "Insha'Allah", sagte ich und fragte, was er an Pakistan vermissen wuerde, um das Gespraech weiterzufuehren. "Die Familie und natuerlich das Essen!". Ja, richtig, das Essen. Ich habe lang nicht mehr so viel gegessen wie hier. Irgendwann muss man aufhoeren, oder die Stadt verlassen. Lachend erinnern sich meine Freundinnen an gemeinsame Bekannte: "Kennst du den und den noch?" "Ja, aber der ist wirklich dick geworden, hihihi". Ich halte mich raus, es scheint ihnen ungesund, dass ich seit dem letztenmal nicht besonders zugenommen hab. Das kommt mit der Ehe, sagen sie und kichern. Ob die Ehe ueberhaupt kommt, frage ich mich. "Bei uns ist Hochzeit nicht das wichtigste", "bei uns schon". "Bei uns entscheidet jeder fuer sich", "bei uns entscheidet jeder fuer die Familie". Eine der Maedels soll gerade verheiratet werden und moechte noch nicht heiraten. "I can imagine", sage ich, "its tough". "No, you can actually not imagine. Its not tough, its impossible", sagt sie glucksend und ich weiss nicht, ob sie lachen oder weinen will. Manche Sachen kann man einfach nur ansehen. Ich entscheide mich dafuer, nicht zu emotional zu werden, wenn ich die Lebensgeschichten hoere, weil ich weiss, dass das Band breiter ist, dass mehr Faeden dazugehoeren und dass es eventuell genau richtig ist, dass das Maedchen jetzt heiratet, auch wenn es aus meiner Sicht anders ist. Wie wichtig der Segen der Familie hier ist, kann man sich gar nicht vorstellen.

Wir wissen so wenig und urteilen so viel. Wie froehlich und wie liebevoll die Menschen hier haeufig sind - wie isoliert und traurig manche an Berliner U-bahnhoefen. Wie koennen wir sagen, das eine oder das andere sei besser? Ich moechte nicht tauschen. Ich kann gar nicht tauschen, aber ich will verstehen, was eigentlich Glueck ist, woher es kommt und wie wir uns mit ihm arrangieren koennen, sodass es bleibt. Vielleicht kommt und geht es auch immer in Wellen - in allen Laendern, in allen Gesellschaften. No matter how and when we get married.

Dienstag, 24. Mai 2016

Islamabad اسلام آباد

Pakistan ist, wie sonst auch, friedlicher als gedacht. Als ich ueber die Grenze komme, von Amritsar nach Lahore, umgibt mich eine angenehme Ruhe, unglaubliche Hitze und die gewohnte respektvolle Begruesseung. Ich sage "Va aleikum assalam" und bin sehr gluecklich, meinen Fuss (wieder) auf dieses Stueck Erde zu setzen. It has been four years. Wenn ich alle vier Jahre nach Pakistan gehe, kann ich immerhin dieselben Saetze verwenden, die ich hier schon gelernt habe.

In Lahore wechsel ich Geld, zusammen mit Farhan aus Nepal, der mit mir ueber die Grenze gegangen ist. Den Bucheintraegen zufolge waren es nur eine Handvoll Leute an dem Tag, die die Grenze passiert haben. Ich glaube es immer wieder nicht: die einzige Grenze zwischen diesen beiden Laendern wird von den insgesamt 1400 mio Einwohnern beider Laender kaum genutzt. Nur nachmittag um fuenf, wenn die beruehmte Borderclosing Ceremony ist, wo die Soldaten auf und ab gehen in ihren Uniformen und zeigen, wer staerker ist. Von Indischer Seite her besteht grosse Skepsis (Its too dangerous!) und von Pakistanischer Seite kaum die Moeglichkeit, ein Visum zu bekommen - selbst wenn man wollte. Ich halte mich dezent zurueck bei solchen Gespraechen, weil ich nicht genau weiss, wie es sich anfuehlt, Teil dieser Geschichte zu sein. Aber wenn mir gesagt wird, dass es ist wie mit unserer Grenze damals in Deutschland, dann gebe ich die Hoffnung auch nicht auf, dass die Wagah Border irgendwann nicht mehr da sein muss. Und auch nicht der Zaun.

Ich wechsel also Geld und bin froh, einen Mann an meiner Seite zu haben, weil dann weniger Fragen, oder nur Fragen an ihn gestellt werden. Er regelt die Geschaefte, ich gehe. Meine Riksha bringt mich an den Stadtrand nach Roshni, wo ich empfangen werde, Tee bekomme und etwas zu essen. Es ist schoen, diesen Ort immer wieder zu sehen, wie er sich veraendert, wie die Leute sich veraendern und wie manches auch gleichbleibt. So wie ich. Vor allem mein Urdu ist besser geworden (glaube ich).

Jetzt bin ich in Islamabad, weil es meine einzige Moeglichkeit war, Zo zu sehen, mit dem ich hier viel Zeit verbringe. Er erklaert mir viel ueber die Gesellschaft, wo ich was machen und sagen kann und wo ich lieber mal still bin bzw. abwarte, was die anderen tun. Wie immer reg ich mich auf, wenn ich nicht frei sein kann, aber das ist ja genau, was ich auch liebe: Eine Kultur, die so anders ist als alles, was ich kenne, dass mir mein eigener Hintergrund erst richtig bewusst wird. Mit Zo kann ich viel ueber diese Dinge reden, das hilft. Die Welt waechst zusammen, wenn man so viele verschiedene Perspektiven auf einmal sieht. Ich freue mich auf die weitere Zeit mit Zo, auf ein paar Tage in Roshni und, ach, eigentlich will ich schon gar nicht mehr nach Indien zurueck. Pakistan ist so besonders geworden fuer mich.

Freitag, 20. Mai 2016

'Call any other Country'

"You can call any other country, not Pakistan", sagt der Shopkeeper zu mir, als ich versuchen will, in Roshni anzurufen. Warum nicht? Verbot vom ISRD oder so. Ich vermute das spricht nicht gerade fuer die Indisch-Pakistanischen Beziehungen. Alles andere schon. Die Leute sind aufgeschlossener als noch vor vier (oder vor acht) Jahren. "Oh, good you go to Pakistan!". Ich sage shukriya (danke) und dhuniavat (danke) und frage, mich was besser ist. "Shukriya is also a very good word", sagt der Taxifahrer lachend. Hach bin ich froh, wenn ich wieder Assalamu'aleikum sagen kann. Immernoch haengt mein Herz an Pakistan, reise ich nur durch Indien durch und freue mich daran, wieder ein bisschen Hindi zu reden. Aber auch ueber das Essen und darueber, einfach ueberall rumlaufen zu koennen. Ich erinner mich, wie ich zum erstenmal im April 2008 von Pakistan aus ueber die Grenze kam und mich gewundert habe, dass die Frauen hier Roller fahren. "We are an equal society", erklaerte mir ein Sikh heute Nachmittag, "60 % of our women work". Fein. Dennoch ist es ungewoehnlich, als Frau alleine zu reisen. Und mehr noch als in Europa wundert man sich hier darueber, dass ich nach Pakistan gehen moechte.

Ich schlafe in Amritsar im Golden Temple - nach Tipp eines uralten Lonely Planets, wo es andere Reisende, viele Schlafplaetze und Essen fuer alle gibt. Es ist eine riesige friedliche Angelegenheit. Tausende von Menschen essen hier jeden Tag und besuchen den Tempel, der mitten im Wasser steht. Keiner darf etwas bezahlen, viele arbeiten dafuer freiwillig. An der Strasse kaufe ich Litschis und freue mich darueber, dass ich das Essen so gut vertragen habe bisher. Meine Zimmernachbarin hatte 40 Grad Fieber und ich habe ihr plain rice gebracht. Mit einem anderen Zimmernachbar gehe ich Abendessen. Er ist Australier und sagt mir: Beim Reisen ist jeder Tag wie eine ganze Woche. Ich denke spaeter: wenn man reist merkt man erst die Bedeutung der Worte die man sagt, weil es vielleicht das Einzige ist, was zwischen dem Menschen und mir je gesagt sein wird. Und es stimmt: Es ist schon so viel passiert, dass es sich anfuehlt wie zwei Wochen - obwohl ich erst 2 Tage hier bin. Nachdem mir Delhi zu heiss und zu hektisch war, habe ich gleich den Zug nach Amritsar genommen. Vielleicht war es gut, den ersten Tag in einer 40 Grad Landschaft mit etwas Zugluft zu verbringen. Die etwas erfahreneren Leute haben Wasser in Thermosflaschen gekuehlt. Mit meinem Plastikflaschenwasser haeette man gut warm duschen koennen. Ich habe beschlossen, sobald es geht, in Indien in die Berge zu gehen, wo es kuehler ist. Aber erstmal will ich nach Lahore. "Don't you want to call any other country?" Fragt mich der Ladenbesitzer noch einmal etwas irritiert. Nein, sage ich bestimmt, ich will doch nach Pakistan gehen. Morgen.

Sonnenuntergang (Nachtrag)

18.5.1016 - So eine purpurrote Sonne wie ueber Istanbul habe ich noch nie gesehen! Eigentlich sollte sie untergehen, aber da wir aufgestiegen sind, ging sie immer wieder auf. Ein wunderbares Naturereignis: Meer, Wolken von oben, kleine Schiffe, Berge. Meer, Wolken von oben, kleine Schiffe, Berge.

Noch 30 Minuten bis zur Ankunft. Verschlafen schaue ich auf den Bildschirm vor mir, tippe auf "Deutsch" und auf "Mein Flug". Auf der Karte erscheinen die Namen Islamabad, Lahore, Amritsar und Delhi - alles Orte, wo ich sein werde. Unser Flugzeut befindet sich direkt ueber Lahore. Schnell schaue ich nach unten und erhasche noch einen Zipfel der grossen Stadt. Dann kommt ein komisch gezacktes Band - die Grenze. Lichter an der Wagah Border, Amritsar. Hier werde ich rueberlaufen (heute/ morgen/ uebermorgen?). Amritsar sieht wunderschoen aus von oben - wie ein grosser gezackter Stern.

Donnerstag, 21. April 2016

Café St. Oberholz, Berlin.

Irgendjemand riecht gut. Vor mir die große Kreuzung, Lichter in einer nassen Abendsonne, Autos, die warten. Das blaue Schild „U Rosenthalerpatz“, die untergehende Sonne, einige Blitze. Ich bin hier gerne. Mate Mate ist die neue Club Mate und ein Mann ist darauf abgebildet, der irgendwie sehr entschlossen aussieht. Hausarbeit über Hausarbeit. Ich lenke mich ab mit Flügebuchen und Tagebuchschreiben. Pakistan – schon wieder? „Ich muss nicht unbedingt gehen“, sage ich zu meiner Mutter. „Mir ist wichtiger, dass Du dir keine Sorgen machst!“. Ich muss unbedingt gehen. Allen meinen Freundinnen sage ich, sie sollen nicht wegen ihren Eltern irgendenwo bleiben und plötzlich mag ich das Gefühl, genau das zu tun. Es ist… Schon so lange her, dass ich dort war. Wieviele Jahre? Vier. Das war 2008, das ich zum erstenmal dort war, 2012 zum zweiten und es ist nur logisch, dass ich jetzt, 2016 wieder gehe. Auch wenn Regenzeit ist. Hier regnets auch manchmal. Jetzt zum Beispiel. Eine Musik spielt „Let it go“. Ich versuche alles gehenzulassen - auch mich. Aber es ist nicht so einfach. Ich liebe Berlin, Berlin im Frühling, Berlin, gerade Sommer werdend. Es ist langsam meine Stadt geworden – und ich ihre Studentin. Der oder das Berlin? Es gibt jetzt Gründe hier zu bleiben – und Gründe, zu gehen. Der beste ist, wiederzukommen und sich auf etwas zu freuen. Auf eine Sprache, auf einen Tee, darauf wieder hier zu sein. Auf Freundschaften, darauf, dass jemand gut riecht und dass es regnet, wenn gerade die Sonne untergeht.

Donnerstag, 21. Januar 2016

Alles gut.

Es ist 9:45h morgens, ich bin auf dem Weg zur Uni. Ein älterer Mann bahnt sich seinen Weg durch die M27 in Richtung Türe. Warum er jetzt schon aufsteht, frage ich mich – wir haben doch die letzte Station gerade erst passiert! Dann sehe ich: Er geht sehr (sehr) langsam. Zitternd sucht seine Hand nach einem Halt an den hängenden Halteschlaufen, die für ihn, wie auch für mich, etwas zu hoch sind. Ich überlege, ob ich ihm helfen sollte, entscheide mich dann aber dafür, dass jeder Mensch mit seinen Vor- und Nachteilen gelernt hat klarzukommen. So auch er. Wir halten an. Vor ihm noch ungefähr acht Leute, die nicht aussteigen wollen. Langsam, ganz langsam bewegt er sich zur Türe. Ich weiß was los ist: er muss raus, bevor der Bus losfährt. Plötzlich geht die Türe zu, der Bus schwankt von der schrägen Halteposition in die gerade Fahrtposition und brummt los. „Da will noch einer aussteigen“, ruft jemand dem Fahrer zu - aber zu spät. An der nächsten Station steigt der alte Mann aus. Er macht zehn- oder zwanzig-Zentimeterschritte in Richtung seiner alten Haltestelle. Es ist kalt in Berlin. Zu kalt, um so langsam zu laufen, auf einem Weg, auf dem man gar nicht sein wollte. Es tut mir leid, dass ich nicht rechtzeitig geholfen habe, es tut mir leid, dass er zurücklaufen muss, es tut mir leid, dass ich nichts gesagt habe.

Manchmal denkt man, es ist egal, wie man handelt in solchen Situationen, manchmal denkt man, es käme darauf an, was die anderen von einem denken. Keiner denkt: warum hat das Mädchen nichts gesagt? Jeder denkt: warum habe ich nichts gesagt? Keiner denkt: warum habe ich drüben im Senegal dem Busfahrer nicht gesagt, er solle anhalten, weil ein alter Mann aussteigen wollte. Das Nähe-Distanz-Dilemma und die ganze Ethik bricht sich in diesem Moment auf Entscheidungen runter, die ich getroffen habe. Ich muss niemandem was beweisen - aber mir selbst. Nämlich, dass ich das tun kann, was mir dringlich erscheint. Dass ich vor mir selbst verantworten kann, wie ich handle - auch, wenn ich nicht-handle.