Freitag, 30. November 2007

Zeit zum Schreiben

Wahrscheinlich war ich wieder ein bisschen übereifrig sentimental. Basheer kommt noch oft zu uns (und ich mach trotzdem zu wenig mit ihm). Andere Leute haben wirkliche Sorgen. Die gehen dann bei all denen umher, die hier von der Hand in den Mund leben, Windschutzscheiben waschen, Chips zu 10 rupien verkaufen, ein Kind auf dem Arm und selber erst 16, sich verstümmelt haben (wie man mir sagt) um betteln zu können, an den Ampeln auf dein Geld warten...

Aber Maria, wenns dir nich gut geht hier, dann geh! Sagt Matthias heute morgen in der Schule. Watt?? Gehen? Daran habe ich kaum gedacht zur Zeit. Ans Unglücklichsein schon. Oder unzufrieden zumindest – denn Unglück muss, wie gesagt, einen anderen Rahmen haben. Ich bin müde. Bewege mich kaum den ganzen Tag – weil das keiner hier tut. Ich lehne mich zurück, werde passiv und es ist, als läge ein Schleier über dem Land und dem Volk. Wie der Nebel am Morgen. So ziehe ich mich auch innerlich zurück, beobachte die Dinge, kommentiere und beurteile sie - in meinem Kopf - wie das mit den Gästen, stelle Fehler fest und fühle mich so klug dabei. Aber agiere nicht. Und mache damit selbst den Fehler. Andere wissen es vielleicht nicht besser, machen nicht alles richtig übergehen und übersehen so manches – aber sie machen es! Das ist es. Das ist vielleicht auch schon das ganze Wahre, was ich immer suche – einfach nur tun. Nicht glauben Missverständnisse zu verstehen und Fehler aufzudecken mit dem eigenen Denken. Und immer nur darin im Kreis gedreht.
Das nagt etwas an mir. Aber es ist ja auch Herbst und Zeit zum Traurigsein. Nur dass mir mein Traurigsein etwas aus dem Boden gestampft vorkommt. Die Sonne scheint hier auf mich und die Kinder rufen meinen Namen (und ich weiß doch schon viele von ihren). Die anderen Lehrerinnen kommen noch später als ich zum Unterricht. Und während ich mit mir unzufrieden bin, weil ich nur das Nötigste vorbereite sind andere mit sich im reinen wenn sie in ihrem Unterricht ihr Motorrad reparieren oder ihre zehn Kinder wickeln (das kommt in der anderen Dorfschule vor). Ich verstehe immer mehr Urdu. Mein Platz in Roshni hat sich nun gefunden und ich bin nicht mehr abgelenkt davon, alles kennenlernen oder verstehen zu wollen/müssen. Leben sollte ich hier und Fröhlichkeit verbreiten, nichts anderes!

Und wieder zu schnell ins Sentimentalsein gestürtzt. Man muss nicht alle Gedanken von sich so ernstnehmen, wenn sie nicht guttuen. Und doch hält man sich daran so gerne fest. Ich versuch sie von mir zu schieben, ganz im Hier und Jetzt zu sein, wie man so hübsch sagt. Anum wohnt jetzt mit mir im Zimmer. Gossa betet doch zu laut in der Nacht. Und Anums Familie zieht in die Stadt. Wenn sie weiter unterrichten will, muss sie hier wohnen. Sie ist mit besseren Gründen traurig: Ihre Familie redet zur Zeit nicht mit ihr, weil sie sich entschieden hat, hier zu sein (wasndasfürnquatsch?!). Und im Dezember hört sie mit Unterrichten auf, wegen ihrem Examen. Was passiert dann mit der 1. Klasse? Aufgabe für Matze und mich? Silke geht bald mit Klara nach Deutschland. Wir werden Weihnachtsferien haben. Ich sollte mehr mit dem neuen Mensch aus Deutschland reden – er ist so froh hier wieder Deutsche zu treffen, weil das doch am ehesten Heimat für ihn war (7 Jahre hat er dort gelebt nachdem er im Afghanistankrieg seine Eltern verloren hatte). Und tue es nicht. Wer weiß, wielange er bleibt. Aber zurück zu dem was ist und was ich tue! ich merke, wie wichtig mir Veränderung ist – im Unterricht, im Roshnileben, in meinem Denken. Vielleicht muss ich nur lernen, anzunehmen, was gerade dran ist und mich darüber zu freuen (könnte ich das auch, wenn es gleichbliebe?). Es ist nicht die Zeit für verflochtene Gedanken. Jetzt ist Zeit zum Schreiben!

Und zum Lycheesafttrinken

Freitag, 23. November 2007

im Blaubeerwald

Mein Unterricht geht in die sechste Woche. Mein Aufenthalt hier in die achte. Ein Tag vergeht nach dem andern ohne dass ich ihn daran hintern könnte (was ich auch nicht wollte). Morgens liegen die Winternebel jetzt so dicht, dass ich aus dem Fensterraus nichts mehr sehe (das Haus bekommt gerade ein Dach). Wenn wir dann in die Schule fahren und der Dunst sich lichtet, erkenne ich zumindest einige Kinder, die mit Blumen auf mich zulaufen. Teacher Maria, teacher Maaria! Du musst gar nichts tun und sie mögen dich einfach. Warum ist das so bei Kindern? Und weil ich jedes einzelne nach und nach so lieb gewinn (nach und nach, weil ich es nicht schaffe, 18 Kinder gleichzeitig zu beachten – und kenn nichtmal alle Namen), fehlt mir oft die notwendige Strenge. Dann fühl ich mich wie Hänschen im Blaubeerwald – mit meinem Korb voll Kreide die an die Tafel gemalt werden will und einem Stimmengewirr von mir unverständlichen Worten, die an meine Ohren wollen. Wenn ich aufhör zu lächeln, verheißungsvoll Stift und Papier nehme um einzelne Namen aufzuschreiben, wird es mucksmäuschenstill. Leider passiert mir das zu selten. Kann ich denn bösen sein, wenn ein Mädchen mich mitten im Unterricht umarmt und tanzen will? Staubtrocken „ber jao!“ sagen und weitermalen?

Einem Jungen hätt ich auch gern mal mehr Aufmerksamkeit gegeben und das ist Basheer (Photo rechts). Er wohnt inzwischen wieder bei seiner Familie, auf der Straße sozusagen. Weil er lange mit den Hannesens zusammengewohnt hat, spricht er Deutsch. Die Sprachbarriere zwischen uns existiert also nicht – welche dann? Es gab bisher erst einen Abend, an dem ich mich ihm widmen konnte (oder er sich mir), da saßen wir in seiner Höhle aus Tüchern und Decken und ich hab ihn Portraitiert. Das war wie eine Fraundschaft. Jetzt sagen wir uns nur in der Schule kurz hallo und er fragt mich immer, wann ich ihm Fotos von ihm in Roshni geben kann. Aber ich komme nicht dazu, sie zu drucken und komme nicht dazu, mit ihm auf Bäume zu klettern - oder es kommt nicht dazu. Und in seinem Grinsen ist immer auch was trauriges.

Die Tage sind also bis zum Rand gefüllt, es wird früh dunkel und nach dem Abendessen gehe ich in die Bäckerei um Server bei den Broten zu helfen (neue Bestellung von der Metro). Wenn ich da bis halb zwölf stehe und mich noch ärger, weil ich die letzte Nacht wieder um vier wachgebetet wurde, und mich ärger, dass ich kaum richtige Zeit für mich habe oder nehme und mich ärger, dass man seinen Ärger hier verbirgt, muss ich mich fragen, wann ich halt sagen würde. Einfach schlafengehen. Ohne die Brote. Aber Server steht dann da bis eins. Ist ja auch nur ein Angestellter. Fast so wie der Nachtwächter, der alle zehn Minuten in die Pfeife pfeifen muss, damit wir wissen, dass er nicht schläft. Und der immer wartende Fahrer (der zudem allerhöchstens mal 60 km/h fahren kann wegs der Straßenbeschaffenheit). Aber vielleicht ist es ganz falsch, Mitleid zu haben – für die ist das alles so normal und wenn man darin aufwächst fragt man sich wahrscheinlich nicht, weshalb der Gärtner das Haus nicht betreten darf. Und wieso wir eigentlich nicht mit ihm reden sollen. Der ewige Gärtner…

Sonntag, 18. November 2007

Wenn einer auf seinen Auftritt wartet

Mein Herz ist so voll. Wie wenn man einen Strauch Rosen vor sich hat und daran riechen kann. Wie eine Schulter zum anlehnen. Und dann ein Kopf, der sich dagegen lehnt. Zurücklehnt sozusagen. Das war mit Anum auf dem Rückweg vom Ladenopening. Heute war ein Abend ganz für mich. Es kam so, dass Roshni in der Stadt einen Laden für die Produkte aus den Werkstätten eröffnet hat. Das war auch schon sehr bewegend und gab mir wieder einen Haufen Denkstoff und geredet wurde viel und sich bedankt, dass die Deutschen hier sind als Gäste, trotz der vielen Warnungen und dass es doch friedlich sei hier – ja, ist es und die Menschen sind freundlich und froh, aber solltet ihr euch nicht lieber bei denen, die das Brot mit den Behinderten backen bedanken und bei denen, die sie täglich waschen? Dann kamen auch schon unsere Blumen vom Minister der Industrie-und Handelskammer. Schuckria. Viele Reden also, anschließend Chai und dann das, weshalb ich heute überhaupt schreibe: Neben dem Laden wohnt eine Zauberhafte Familie. Zauberhaft auch im Sinne von mysteriös, neblig und fast düster. Die Geschwister tragen schwarz, das eine Kapuzenpulli und Jeans, das dritte wiederum ganz konventionell bunt im Chewarcamis. Beim ersten Sehen des zweiten wusste ich nicht, ob es Mann oder Frau ist. Dafür ist das Verhalten von allen aber auch sehr offen und echt. Und es sind Künstler! An der Wand hängen Bilder, die mich an Margritte erinnern, weil sie von Schatten erzählen, die man nicht sehen kann (seit wann können Bilder eigentlich erzählen?). Sie sind von der ältesten Schwester. Die singt und tanzt (und möchte alles über Eurythmie wissen), die andern beiden filmen und lachen – während sie abwechselnd Kinder auf dem Arm haben, von denen ich nicht weiß wer wessen ist. Und der jüngere Bruder spielt Gitarre. Das kann ich aber erst hören, wenn ich wiederkomme, sagt er mir, weil er nicht gern unter so vielen Gästen ist. Versteh ich. Ich zähl die Leute im Raum und komm auf knapp dreißig. Die Mutter aller Kinder, eine Dame gehobenen Alters mit langen grauen Haaren, hat einen Kulturaustauschenen Abend vorgeschlagen. Ein Lied aus Pakistan, eins aus Deutschland. Ein Tanz, ein Film, ein Gespräch über den Inhalt all dieser Dinge und schließlich auch über den Inhalt unseres Lebens und dessen Nichtigkeit angesichts dessen, was danach kommt. Wie wenn einer auf den Bus wartet und denkt, das warten ist schon alles. Dass aber nach dem Tod die Reise erst losgehen soll wollt ich nicht denken und Du wärst ja auch nicht einverstanden gewesen! So hat also an diesem Abend jeder seins gesagt und aufgeführt und Matze und ich (mit guter Dreaghtnutgitarre) haben noch ein kräftiges „we schuv ne ze“ gesungen und alle zusammen haben wir ein Liebeslied in Urdu gesungen und und und. Und das ist, warum ich schreibe, dass es mein Abend war. Wenn jemand einfach nur mit seiner Stimme aus dem Herz raus singt. Oder redet oder wasauchimmer, dann kann es mich fast weinen machen. Wenn sich jemand so richtig mit dem verbinden kann, was er tut. Es hat z.B. auch einer Kalkatta oder wie das heißt getanzt und alles perfekt gekonnt, hat mich aber kaum berührt. Und heute kam eins nach dem andern direkt von den Menschen, die da saßen und sich angeguckt und angelächelt haben und intensivste Kulturtauscher waren. Ich will wieder zu dieser mysteriösen Familie – auch ohne Ladenopening und Gäste – ich will doch noch den Bruder mit der Gitarre hören.

Montag, 12. November 2007

Mosaiksteinchen

11.11.
Puh, heut hab ich die Hefte vergessen und musste mein ganzes Wochenmaterial verbraten um die Kinder bei Laune zu halten. I am a little teapott!! In der 3. Fachstunde kann ich den Unterricht nachbereiten, weil ich da chuti hab („Ferien“). Das ist dann, wie wenn man aus einem Traum aufwacht und versucht, die Bilder wieder hochzuholen: Was haben wir gerade gamacht, worum gings, was ging gut, was ging daneben…

2. mal Lahore. Diesmal mit Bruder und Mann. Die Frauen, mit denen ich im vorderen Teil des Busses sitze, hätten nicht verstanden, dass ich mit zwei Freunden unterwegs bin. Oder sie hätten denken müssen, dass deutsche Frauen immer einen ganzen Harem haben. Ich werde angeguckt, manchmal wird gelächelt. Ich fühl mich auch reingeguckt und mich allein. Lös mich auf und im Hitergrund ständig die Bolywood Filmmusik. Im Vordergrund schaukeln bunte Fähnchen und Plastikblumen. Im Rücken keine Fensterscheiben. Ich greif hinein, um mich zu vergewissern und ernte nur neugierige, offensichtlich verwunderte Blicke von den Frauen (wieso tut sie su?!).
Im nächsten Bus sitze ich auf dem Dach mit Philipp und Matze und vielen vielen Männern, denen ich die Hand nicht geben soll. Man sagt, ich sei die erste Frau, die auf dem Dach mitfährt. Keiner hindert mich daran, dafür sind sie zu höflich. Narrenfreiheit! Ich sehe von hier aus das ganze Leben in den Straßen. Dahinter heulen die Schakale. Es ist so gut, dass ich hier bin. Mal denk ich wieder, warum herkommen – es ist, wie man sich die dritte Welt vorstellt. Lehmhütten und zerrissene Kleider – Nur scheinen die Menschen nicht traurig oder verzweifelt zu sein. Manche vielleicht, denen ich noch nicht begegnet bin. Vielleicht gibt es sogar unfreundliche, die nicht sagen würden thank you for visiting us – darauf warte ich nun seit etwa sechs Wochen.

10.11.
Ich werde gefragt, wie die Leute hier Ausländern begegnen. Gute Frage, ich habe bisher nur einen Chinesen und einen Mensch aus Amerika getroffen. Wir sind Raritäten. Und als solche werden wir auch behandelt! Mit dem bisschen Englisch, das sie können, machen sie uns Komplimente und fragen, wie uns ihr Land gefällt, ob wir uns wohlfühlen. Kurz, ich begegne hier einem Volk, welches sogar die Gastfreundschaft der Esten, Tschechen und Rumänen weit übertrifft. Nur Organisieren kann man nichts. Ein Treffen, ein Ausflug in die Stadt, ein Spaziergang oder gemütliches Chaitrinken wird am besten gleich durchgezogen, ohne voher darüber zu reden.

09.11.
Die Nachbarn, bei denen wir so reich zu Ead gegessen haben, haben einen Sohn, Assad. Heut Nacht warn Matze (den er eingeladen hatte) und ich (die ich mich eingeladen hatte) mit ihm in Lahore essen. Es fing damit an, dass wir nicht wussten, wie wir durch das mannshohe Tor zu seinem Haus kommen sollten. Anklopfen, rufen (was rufen), drüberklettern? Nach einer Weile sind wir drinn – wie üblich ein Getränk und ein Gespräch über Hitler. „I really like Hitler!!“ „Mom, wait!“. Es gibt hier educated und uneducated people (wieder das mit der Hirarchie). Assad gehört zu ersteren. „Is it the case, that many pakistani people like Hitler?“ Und beiß mir während ich das frage auf die Lippe, weil er sich jetzt für seine Mutter rechtfertigen muss. „Well, there’s a lot of hate because of Palästina. But people here don’t know much about it and in any case, our religion forbidds killing! So whats the importance of talking ‘bout Hitler – they all ask you about it whithout knowing anything – it’s the same as when I’m asked about terrorism, whenever they hear that I’m a Pakistani. It’s just stupid!” Der Abend mit Assad war spannend. Es ging viel um Geschichte und Kultur, um Verhütung und Schicksal, aber es war auch eine Menge Spaß dabei (und die richtige Portion Humor ist manchmal sehr hilfreich!), den ich besser nicht aufschreib, denn wenn man nicht hier ist, kann man das alles auch sehr falsch verstehen. Später in der Bar mit H&M Jugendlichen und ich im Chewarcamis. Mit Shisha und sitzen wie man (Frau diesmal auch) will. „It’s fine! I mean, pakistani women would never sit like this (Füße aufm Sofa und so) but you are yourself, you are relaxed, just do as you whish!” Gut, mach ich. Und ich spiel weiter Fußball, auch wenn der Gärtner uns filmt. Ich mag nicht immer nur misstrauisch sein den Menschen gegenüber. Was solls?

Hier wird alles in der Schule gelernte wahr. Oder ich nehm mir zumindest einen Haufen raus davon (muss ja auch nicht alles glauben, was wahr ist). Die colonial encounters (shortstories): A pair of Jeans und good advice is rarer than rupies. Das gibts hier alles. L’Etranger, K&L, Effi Briest (für die es auch ne kleine Revolution war, mit den Männern auszureiten) – es ist doch näher am Leben als ich dachre, wenn ich über den Büchern saß. Sogar die schnulzigen Bollywood und Lollywood (Lahore) Filme werden mit Begeisterung geguckt...

Donnerstag, 8. November 2007

Schnee und Schokolade

Das ham wir hier nicht. Und Rundmails auch nicht. Wie ist es, soll ich was verschicken, wenns auf dem Bloq Neuigkeiten gibt? Und wenn es nur ein kleines Gejammer über die nichtexistene Schokifabrik ist und keine bewegenden tiefen, gehaltvollen Worte? Oder kann man einstellen, wer informiert wird? Wir machen so: wer mir eine mail schickt (leer oder voll, gerne auch dicht) und damit sagt, informiermichwenndugeschriebenhast, der kommt auf die Liste. Hä? Ja, dem mail ich dann eben. Ach nein, das ist Quatsch! Es bleibt wies ist, ihr könnt ja trotzdem mailen oder ganz toll: anrufen (wieistdieaktuellelageinpakistan,Mariaberichtet): 0092425600909, oder - und das wär echt der Hammer - echte Post schicken. Das geht dann so:

Roshni Association (Miss Maria Jacobi),
PoBOX 11073, D.H.A.,
Lahore/Pakistan.

Ich freu mich immer ein Stück von eurem Leben mitzukriegen (und von meinem wieder was mitzuteilen, hähä). Schnee und Schokolade. Schreib und Druckschrift. Und nie wieder drei Stunden am Stück die Dritte Klasse. Ich habe versucht, mit ihnen Hefte einzubinden. Es endete so, dass ich am Nachmittag vor einem Stapel Hefte saß, die lustig durcheinander mit Papier beklebt waren oder auch nicht. So blieben der Waldorfrundbrief und der Musikunterricht für Sikandar auf der Strecke, damit ich basteln konnte...

Mittwoch, 7. November 2007

Zwei weiße Kamele sind zu wenig!!

Es ist zu lieb, was ich als Reaktion auf meinen Blog von einigen immer wieder ganz unerwartet bekomme!! Es werden schon Rundmails gewünscht. Aber die Karten sind gelegt. Es könnte höchstens vorkommen, dass ich doch noch einmal was versende, um auch die beschäftigsten und vergesslichsten in ihrem Alltag daran zu erinnern, dass sie ja nur einen Mausklick vom etwas anderen Alltag der Maria Jacobi entfernt sind. Und um zu sagen, dass ihr euch wirklich nicht sorgen sollt um mich, angesichts unseres „Notstandes“. Es hilft ja doch nichts. Als Deutsche und Ausländer sind wir hier auch am wenigsten gefährdet, sagt man (und sonst sagt man sich nichts über die Lage). Wir halten jedenfalls Augen und Ohren offen – nicht nur wenn wir uns gerade wieder auf dem alten Bazar zwischen Stoffen und Gewürzen verirrt haben.

So, und jetzt ab in die Schule, vielleicht habe ich gleich drei Stunden in der dritten Klasse, weil morgen Iqbalfeiertag ist. Was mach ich nur mit denen?? Die ganze Zeit Verse und Lieder aufsagen geht schon nicht. Schönschreiben. Und ich weiß immer noch nicht, ob Schreib- oder Druckschrift. Schreibschrift. Aber die Klassenlehrerin bringt ihnen nebenher noch Druckbuchstaben bei und versteht nicht, was ich mit cursive handwriting meine. Dafür nickt sie aber immer und lächelt dazu ganz lieb. Das ist ja auch was wert! Aber es ist doch schade, dass der Kontakt mit dem „Kollegium“ (5 Klassenlehrerinnen und Matthias) nicht so läuft, dass man sich über den Unterrichtsstoff verständigen könnte. Jetzt muss ich aber wirklich noch den Waldorfbrief fertigmachen (es ist ja bald Martinibazar) und dann ein paar Stichworte für meinen Unterricht und dann wieder vor den Kinder stehen und Sicherheit ausstrahlen.

Dienstag, 6. November 2007

Lahore

So, wieder im Netz. Das wurde noch nicht gekappt. Diverse Fernsehsender können nicht mehr empfangen werden, unserer englischen Mitarbeiterin wurde von der Botschaft empfohlen, nicht aus dem Haus zu gehen - vorgestern (vorvorgestern?) wurde der Notstand ausgerufen. Was das bedeutet, wissen wir auch nicht. Es kümmert wieder niemanden besonders. Das Leben geht weiter. Keiner fragt, was oben beschlossen wird und warum, keiner macht sich Sorgen oder recherchiert. Also machen wir hier auch weiter. Es heißt in Lahore gibt’s Krawalle – heißt vielleicht Demonstrationen, Streiks. Wir bekommen nichts davon mit. Was wirklich vor sich geht, kann man ja kaum wissen, aber zumindest beobachten, was offiziell in der Politik, im Volk geschieht, das sollte doch selbstverständlich sein, finde ich! Man sagt mir, das gehört auch dazu, dass es eben nicht so ist.
Na gut. Ich dusche morgens kalt. Mit den Schülern komme ich zurecht. Ich kämpfe nicht mehr so sehr mit dem Zweifel, ob es Sinn macht, hier zu sein. Schon hatte ich mir ausgemalt, nach Indien zu juckeln, in die Berge und in die Städte, dann nach Caspar (wo isn das?) – und heute denke ich wieder, wie dumm ich währe, von hier wegzugehen – wie viel ich hier lernen kann, erfahren kann, und in die Tiefe gehen (wie tief sind eigentlich … Tiefen?). Manchmal ist es auch ganz umwerfend schön, wenn die Kinder wieder etwas gelernt haben. Ich weiß wahrscheinlich auch gar nicht, was für ein Wunder es ist, dass ich wirklich hier unterrichten kann, Lehrerin bin. Mir mehr und mehr vorstellen kann, was dieser Beruf bedeutet, der gemäß Marichens-Freunden-und-Bekannten ja zu mir passen würde. Ich glaub das im Moment nicht. So viel Verantwortung…

Aber ich wollte von Lahore schreiben – das ist ja jetzt auch schon wieder her… Lahore ist ein einziges Märchen. Nicht immer und nicht überall, aber in der Altstadt kann man einfach nur staunen und sich darin verlieren, seine Sinne zu benutzen. Jede Ecke riecht anders, jede Straße klingt anders. Hier findet das ganze Leben statt. In den Geschäften, davor und dahinter oder auch darüber in den Moscheen. Die Menschen drängen sich durch enge Straßen, Männer versuchen, mich ja nicht zu berühren, Frauen sagen hingegen hello und how are you und you look so beautifull!! Danke, Du Du bist aber auch sehr schön! Hier herrscht ein anderes Kaufsystem, erklärt mir Philipp, der Märchenerzähler. Eine Straße ist voller Töpfe (auch ganz große, falls ich dann meine zehn Kinder habe), eine andere voller Spielsachen – alles Plastik. Dann kommt die Stoffstraße, in welche sich auch die bunten Armreifen schummeln. Hier klingelt der Eisverkäufer, da der Popcornmann. Ein anderer ruft, dass wir seine Früchte kaufen sollen, die ich doch noch nie in meinem Leben gesehen habe. Man sagt, sie wachsen im Wasser. Ziegeköpfe hängen von oben herunter, hier wird vom Tier alles verwertet, alles gegessen. Es riecht nach Verwesung, aber nicht wegen der Ziegen. Vielleicht eine tote Ratte im Staub. Oder ein Hai. „Frischer Fisch, Frischer Fisch!!“ Dann werden alle Gerüche, auch die, die aus den vollen Gewürzsäcken kommen, übertüncht von den Ölen. Kleine und große Flaschen, kostbare und billige stapeln sich und verstreuen alle möglichen Düfte. Sie erinnern mich an „Das Parfüm“. Ich merke plötzlich, dass ich eine Nase hab. Und Ohren. Und Augen natürlich, aber wenn ich mit denen zu viel um mich guck, verrate ich mich. Dann merken alle, dass ich nicht von hier bin und tuscheln und lächeln mich an und halten mich an. Es ist besser, so zu gehen, also wüsste man wohin, sagt Philipp, dann kann man unsichtbar werden. Und dann einen Sack voll Linsen, Frittiertes Gemüse, einen Kinderblick, ein Streitgespräch, ein Gebet aus dem Lautsprecher einfangen und mit sich nehmen. Alles kann man eh nicht mitkriegen – auch wenn man das manchmal so gerne wollte: alles auf einmal und davon ganz viel. Aber für das neu-gierige Mädchen aus dem Westen ist in diesem Moment alles da in der Altstadt von Lahore.