Montag, 27. Februar 2012

Hunza ruft

Auf halbem Weg von der Schule zurueck treffe ich mich mit Veronika, auch Gaestin in Roshni, zum Chaetrinken. Die Maenner ruecken schnell beisiete, bieten uns einen Platz an und machen neuen Tee und Rootis warm. Das geht so: Rooti rollen, hin und herwerfen, zack aufs Kissen und ab in den Ofen. Als ich das zum erstenmal gesehen habe, musste ich sehr lachen - einfach weil es eine so gute Idee ist: Der runde Fladen haengt kopfueber an der Flaeche zum Lehmofen und wird durch das Feuer von unten und durch die Wand von oben gewaermt, sodass es ueberall knusprige Blaeschen gibt. Ich bestell einen frischen Rooti (der 2 Rupees kostet und mir nachher nicht berechnet wird) und tunke ihn in den Tee. Neugierige Blicke und Tuscheln auf der Maennerseite folgen mir ebenso, wie ich dem Rootibacken eben gefolgt bin. Wir sind alle ein bisschen faszieniert voneinander. Unsere Haut, das viele Reden, vielleicht auch die ernsten Gesichter, die wir Deutschen machen - allein dass wir dort sitzen scheint komisch zu sein. Aber weil wir bestaendig jeden Tag wiedergekommen sind, hat sich eine Art "Normalitaet" eingeschlichen. Eigentlich werden Kekse in den Tee getunkt, nicht Rootis. Als wir das letztemal da waren, haben wir auch eine Packung bekommen, und wie um uns zu zeigen, wie das geht, hat sich der Ladenbesitzer neben uns gesetzt, ein "bismillah" (in Gottes Namen) gemurmelt und den Keks eingetunkt. Als ich auch in Gottes Namen meinen Keks eingetunkt habe, waren alle zufrieden. Dann habe ich zum Rooti etwas richtiges zu Essen bestellt, Linsen (mit 2 kleinen Voeglechen, was ich vorher nicht wusste) und alles zusammen sollte nur 20 cent kosten. Meistens will uns der Besitzer einladen, aber dann drueck ich ihm schnell mein Geld in die Hand, was er unauffaellig zur Kasse wirft. Das ist unsere kleine Normalitaet.

Und obwohl ich sehr gluecklich bin, wieder in Roshni zu sein und auch zu arbeiten, und obwohl Lahore noch unendlich viele Geheimnisse fuer mich birgt, fuehle ich, dass ich bald wieder aufbrechen muss. Reisezeit vergeht einfach zu schnell! Nur wohin? Indien waere am einfachsten, Nordpakistan naeher an meinem Herzen dran. Seit ich vor vier Jahren zum erstenmal vom Karakoam Highway und vom Hunzatal gehoert habe, fuehle ich mich dort hingezogen. Wahrscheinlich liegt ein Zauber auf dem Himalyadorf: Gestern Nacht in der Rikscha hat ein Freund gesagt: "Hunza always draws a big smile on my face". Vielleicht kann ich mit ihm reisen, insha'Allah, denn er will den Fruehling dort oben kommen sehen. Wenn nicht, dann wird mir etwas anderes Gutes passieren. Vielleicht sehe ich auch Latif an der Wagah Border bald wieder. Der Aufbruch ist jedenfalls nah.


Mittwoch, 22. Februar 2012

Schulweg

Jetzt ist es passiert. Seit der Projektzeitungsausgabe meines alten Blogs hab ich mir gedacht, dass ich eines Tages Ali Hamza und Ali Akbar das Titelbild zeigen werde. Mit ihnen drauf und 'Pakistan' ueber ihren Koepfen (پاکستان‎). Weil die Jungs mit dem deutschen Heft nicht so viel anfangen koennen, hab ich mir eine komplizierte Erklaerung gespart und ihnen je eine Postkarte davon gegeben. Als ich gefragt habe, wer auf dem Bild ist, hat ein Chor von 20 Kindern hinter mir gebruellt: Ali Haaaamza! Gut, und der andere da? Ali Aaaakbar! Schabbasch, sehr gut. Und jetzt packt die Karten weg, ihr zwei, sonst gehen sie noch kaputt, thik hae (ok)? Thik hae, thänk you teacher Maaria!

Ich bin also wieder Lehrerin. Jeden Morgen unterrichte ich ein bisschen Musik in der 6. und 7. und Englisch in der 1. Klasse. Dass ich die Kinder (und Lehrerinnen) jetzt besser verstehe, macht vieles leichter. Und lustiger. Die Lehrerinnen sind eigentlich immer am Spaesse machen, fragen mich ueber Deutschland aus und teilen ihr Essen mit mir. Dann wollen sie, dass ich ihnen was zeige fuer den Handarbeitsunterricht oder ein Englischpoem. Wenn ich sage, ich bin dafuer auch nicht ausgebildet, zaehlt das nicht, denn ich komme schliesslich from abroad. Dadurch bin ich Spezialist fuer alles - keine Rolle, die ich schoen finde, aber so sieht es aus. Das geht mit so vielem einher, was mit diesem Land passiert (und nicht passiert) ist, dass ich mich ein bisschen machtlos dagegen fuehle. Ich wuenschte, es waere anders gewesen, aber wer kann die Geschichte aendern?

Auch mein Schulweg ist wieder voller kleiner Wunder: Ein Mann setzt seine Tochter neben mir ab, deutet auf sie, deutet zur Schule und verschwindet. Ok, ich nehm sie mit. Dann sammeln sich immer mehr Schueler hinter mir und ich komme mir vor wie eine Entenmama. Autos hupen im Vorbeigehen und Maenner rufen ein vom Schotter gebrochenes "Helo-o-o-o-o" hinter mir her. Im Dorf hat sich schon rumgesprochen, dass ich zur Schule laufe. Laufen ist ungewoehnlich, vor allem fuer Lehrerinnen. Die wenigen Frauen, die ich sehe, verstecken sich lachend hinter ihren Tuechern. Dick bepackte Eselskarren bahnen sich schaukelnd einen Weg in die Stadt - angetrieben von kleinen Jungs mit Stoecken und heiserem Rufen. Ein LKW mit Erde zieht an mir vorbei wie ein kleines Fest - geschmueckt mit klappernde Eisenkettchen, bunt bemalt und aus den anmontierten Lautsprechern dudelt Bollywoodmusik. Das ist hier immer so - auch wenn es sich nur um Erde handelt. Als ich endlich durch das Schultor komme, dem Pfoertner Assalamu Aleikum gesagt habe und irgendetwas unterschrieben hab, rennen mir meine Kinder von damals entgegen: Sadaf, Neelam, Sajid der immer geweint hat (jetzt lacht er), die Geschwister Adnan und Alina, Gulzada - damals Anfuehrerin der 1. Klasse, jetzt immer noch ganz taff, die kleine Mehwisch und natuerlich Ali Hamza und Ali Akbar. Sie alle ziehen mich in ihr Klassenzimmer und rufen aufgeregt durcheinander: Teacher, Gift, Teacher Maaria, Asalamu Aleikum, how are you? Dann bekomme ich Blumen, Kaertchen oder Stickereien mit "Good Morning Teacher Mariya" und vielen kleinen Herzchen darauf.

Sonntag, 19. Februar 2012

Ab und Abi

Soviel zu den Fragen von gestern: Ich kann auch einfach ganz normal sein – vielleicht ist das am besten (in Gedanken an Mandelas „Our deepest fear“). Der Gedanke kam, als ich heute bei der wunderbaren Familie war, ueber die ich auch damals schon geschrieben habe. Dort hat es niemanden gekuemmert, wie und wem ich hallo sage, wo ich mich hinsetze oder wie ich das Dupatta (Tuch) trage. Vielmehr hatte ich das Gefuehl ein bisschen zu traditionell, zu zoegerlich zu sein. Wie schnell man sich anpassen kann! Aber diese Familie ist anders. Mehr open minded. „Yes, very open minded you can say, extraordinary open minded”, sagte unser Fahrer lachend, als ich ihn nach den Kontaktdaten zu dieser Familie fragte. Was auch immer er gemeint hat, ich bin der Sache schliesslich naeher gekommen, als ich erfahren hab, dass der Vater Kunst und Jura studiert hat, im Surpreme Court von Pakistan arbeitet und bei der Richterbewegung in den vergangenen Jahren nicht unaktiv war. Genauer gesagt ist er im Maerz 2007 zurueckgetreten, als der Oberste Richter von Musharraf abgesetzt wurde und hat seine Arbeit erst wieder aufgenommen, als Chaudry 2009 zurueck im Amt war. Was die Richter da gemacht haben, war ein abgefahrener Kampf (weils das vorher nicht gab) fuer die Unabhaengigkeit der Judikative. Leider haben wir nicht weiter darueber gesprochen, weil er zu sehr an meinen Mathe-Philosophiestudien interessiert war, und es schliesslich um Seele oder Nichtseele ging. Auch gut. Am Ende bin ich mit dem Rest der Familie zu einer kleinen Demo fuer Baluchistan gegangen und schliesslich hatte ich ein Schild in der Hand: „Pakistan is not a piece of the cake for American Hegemonie“. Von dem Konflikt versteh ich auch wieder nicht viel, aber ich war froh, endlich Leute zu sehen, die sich fuer die Geschehnisse in Pakistan interessieren und nicht mit einem „You can’t do anything“ ausweichen.

Die Sonne stand schon tief und so musste ich mich verabschieden. Als ich an der Strasse die Leute fragte, wann ein Bus kommt, merkte ich sogleich, dass die Frage planlos war. Die Antwort ist natuerlich „Ab“, das heisst „Jetzt“. Es gibt auch „Abi“, das heisst „Jetzt Jetzt“, aber beides hat nicht viel mit unserem Deutschen Jetzt zu tun. Es heisst nur: Der Bus wird kommen. Also setze ich mich hin und trinke noch einen Chae. Gegen die uebliche Handynummer-Fragerei werde ich eingeladen. Zwei Busse sind schon vorbeigezogen, es gibt sicher noch mehr. Als ich einsteige werde ich sogleich nach hinten zu den Frauen bugsiert. Begleitet von Bollywoodmusik, schaukelnden Kuscheltieren mit „I love you“ auf dem Bauch, bunten Faehnchen und Perlenketten, von vielen neugierigen Augen, Kindern auf meinem Schoss und unzaehligen Familieneinladungen, komme ich rechtzeitig zu Sonnenuntergang wieder in Roshni an.

Samstag, 18. Februar 2012

Randnotiz

Mein Kopf ist so voll wie vor einer Mathepruefung und laesst mich deshalb nicht einschlafen. Diese ganzen Themen, die ganzen Erlebnisse. Ich hoffe nur ich mache nichts zu falsch mit meinem Hiersein... Es ist, wie wenn man eine Waage hat, in deren Schalen die beiden Kulturen gelegt werden. Es ist ein staendiges Aufpassen, dass nicht eine der Schalen zuviel Gewicht bekommt, nicht eine zu wenig. Ist es zum Beispiel besser, zu sagen dass die Gaeste aus Deutschland verheiratet sind, weil die Leute nicht verstehen, wie man sonst zusammensein kann, oder ist es gerade deshalb besser, das zu erklaeren, damit sie es verstehen koennen? Mache ich den Frauen hier schlechte Gefuehle, wenn ich alleine reise und alles selber entscheide, waehrend sie wissen, dass sie vielleicht nichtmal aus ihrem Stadtviertel rauskommen werden, oder mach ich ihnen Mut, einen Schritt in diese Richtung zu tun? Soll ich freiheraus mit den Maennern reden, oder lieber gesenkten Blickes vorbeigehen und mich zu den Frauen setzen? Ich weiss es nicht. Ich weiss es immer wieder nicht. Und gleichzeitig kommt allein in den Gespraechen von heute schon die ganze Bandbreite dieser Fragen zum Vorschein.

Morgens, kurz vor der Schule, sagt eine aeltere Frau im Lehrerzimmer zu mir: "I really feel sorry for your country! People told me that you have to live seperate from your families and also when you become sick or old they just sent you to hospital. We would never do this! Like my Parents cared for me when I was young, I will care for them when they are old. I'll never leave them alone!". Mittags, nach dem Unterricht, spreche ich dann mit einer Lehrerin ueber unser deutsches Versicherungssystem und wir werden uns immerhin darin einig, dass es hier die Pflege und den Rueckhalt von der Familie gibt, waehrend bei uns alles ueber den Staat geregelt ist. Es ist nicht besser oder schlechter, es ist einfach anders, sagen wir. Am Abend erzaehle ich schliesslich einem Maedchen aus der Nachbarschaft von meiner Reise und sie sagt mit grossen Augen: "Your country must be really great for Women! You know, we will never be allowed to do such things, because we live so close in our families. First I'm with my parents, next I'll get married and then I have to care for my husband. This is our Lives." Am Ende vom Tag bleibt mir nichts uebrig, als eine kleine Notitz davon in mein Buechlein zu machen. Schreiben hilft. Und mein Leben zuhause und die mir so lieben Beziehungen trage ich in mir wie einen kleinen Edelstein.

Donnerstag, 16. Februar 2012

Roshni

Ich bin wieder hier. Es ist, als haette es die vier Jahre nicht gegeben. Auf dem Feld kommt mir gleich Baba jii entgegen und Manner, der meinen Namen noch weiss. Ich frage nach den anderen Gaertnern und Fahrern. Manche sind verheiratet, manche sehe ich morgen. Alle freuen sich, dass ich zurueck bin und beim Morgenkreis gibt es Blumen fuer mich. Es ist ein wahnsinnig liebes Willkommen in Pakistan! Am schoensten ist aber, dass ich die meisten noch kenne und dass sie sich auch ganz schnell erinnern (obwohl soviele Deutsche schon hier waren). Hey, Maria, spielen wir jetzt wieder Fussball? Spielst Du Gitarre? Hast Du Urdu gelernt? Wie gehts Deinen Eltern und Geschwistern? Gut, gut, allen geht es gut, Allah ka shukker hae (Gott sei Dank). Ich habe euch vermisst, sage ich dann und sie lachen. Wieder merke ich, wie unnormal es eigentlich ist, dass wir uns einfach unterhalten und versuche auch, den richtigen Abstand zu halten. Aber ich freue mich wirklich die Leute zu sehen und am Ende kann es doch nicht so falsch sein, ein normales Gespraech zwischen Mann und Frau zu fuehren und auch nicht mehr zwischen den Hierarchien so sehr zu unterscheiden. Denn das wuerde bedeuten, dass ich im Haus bin und sie draussen und dass wir kaum miteinander reden. Aber so ist das nicht. Und wenn ich einfach zu allen gleich `offen` bin, wird es vielleicht auch nicht als Heiratsantrag missverstanden... Eine verrueckte Welt! Aber mit allem, was ich gelernt habe von vor vier Jahren und mit dieser wunderbaren Sicherheit, die man beim Aelterwerden bekommt, habe ich das Gefuehl, hier einfach anknuepfen zu koennen mit meinem Leben und solcherlei viel leichter zu ueberbruecken als damals. Das ist irgendwie beruhigend.

Meine Nase laeuft vom Chilli, aber ich bin noch nicht krank geworden und mein kurz vor Abflug reparierter Zahn ist auch noch ganz. Alles ist gut in Roshni, alles ist groesser, alles gruener. Auch das Nachbarland mit dem grossen Baum gehoert jetzt uns, erklaert mir Manner mit seinem Urdu und aus einem Bueffel sind - wieauchimmer - sechs geworden (3 grosse, 3 kleine). Am liebsten helfe ich beim Melken und fuehre Bacca, Kutta und Kutti zumTrinken. Auch das ist ungewoehnlich, aber ich sage, das macht meine Schwester zuhause auch immer. Habt ihr da Bueffel? Nein, aehm, was anderes. Cows? Ja, genau, Kuehe! Dann pfluecke ich mir eine Mandarine und freu mich, dass wir uns verstanden haben. Nicht essen, sagt Manner, die ist sauer. Aber das ist doch gesund, erwieder ich. Ja, sagt er, das ist, was ihr Deutschen denkt - Ap log bilkul pagel haen (ihr spinnt auch alle ein bisschen)! Dann muss er lachen: Schau Dir die andern beiden Gaeste an, drei Jahre auf dem Fahrrad - wer macht denn schon sowas?

Montag, 13. Februar 2012

Wagah Border

So schwer es fuer Einheimische ist, diesen einzigen Grenzposten zwischen Indien und Pakistan zu passieren, so leicht ist es fuer mich als Deutsche. Doch kaum dass mein Rikschafahrer bezahlt ist und mit leerem Auto zurueck nach Amritsar faehrt, merke ich, wie alleine ich hier bin. Keiner will mehr was von mir, zupft mich am Aermel oder bittet mich in seinen Laden. Nur ein paar Grenzer schauen mich von sicherer Ferne her verstohlen an. Alles ist ruhig, bis auf ein Zwitschern. Ein LKW bringt Zwiebeln nach Pakistan. Als meine Paesse gestempelt sind, ueberfaellt mich eine leichte Freude. Hinter mir steht in grossen goldenen Lettern भारत, vor mir پاکستان‎ . Wie ich die beiden Tore passiere, kommt mir auf der anderen Seite eine wohlbekannte Hoeflichkeit entgegen. Ich probiere ein zoegerndes Assalamu aleikum aus. Welcome to Pakistan ist die kraeftige Antwort. Ich zeige meinen roten Pass und darf weitergehen. Kein langes Anstarren, kein Ausfragen mehr. Jetzt bin ich Gast. Eine halbe Stunde habe ich ausserdem geschenkt bekommen und so beschliesse ich, Lativs Bookshop aufzusuchen, den hier eigentlich jeder kennt. Ein kleiner Junge zeigt mir den Weg und laeuft auf staubig-sonniger Strasse neben mir her. Mein erstes Urdu ist in den Kinderohren gut aufgehoben. Es funktionniert. Auch Lativ ist noch da, hinter goldenen Armreifen und baumelnden Ohrringen - der Bookshop ist nicht mehr. Angesichts der schwindend geringen Anzahl an Touristen hat sich das Schmuckgeschaeft mehr gelohnt. Unter der Treppe verstaubt gerade ein kleiner Rest an Buechern. Lonely Planets von Indien, China und Suedafrika. Ich kriege einen Chae und richte Philipps Gruesse aus, die mir noch in Berlin aufgetragen wurden. Lativ denkt lange nach. Ja, wahrscheinlich kenne er ihn. Es ist lange her. Dann holt mich der Roshni-van ab, ich werfe schnell mein Tuch ueber den Kopf und bedanke mich fuer den Chae. Ob ich was bezahlen soll? Unsinn, aber komm wieder vorbei, wenn Du zurueck nach Indien gehst, ja? Mach ich, versprochen!

Samstag, 11. Februar 2012

Rootibacken im Golden Temple

Kaum dass ich in Amritsar angekommen bin, habe ich mich im Golden Temple einglebt und, wie mir Philipp schon in Berlin gesagt hat, bei der Essensvorbereitung mitgeholfen. Hier bekommen taeglich hunderte von Pilgern freies Essen, Chae und Unterkunft (fuer Auslaender gibt es einen Extraraum). Alle, die hier so sind, helfen ueberall mit, machen sauber, kochen, stehen rum, waschen ab und beten natuerlich. Dass das alles in so grossem Stil funktionniert, hab ich noch nie gesehen! Alles ist sauber und immer gibt es gutes Essen. Ich habe heute den halben Vormittag in der Rootibaeckerei verbracht, mit den Frauen und Maennern dort geredet und eine Hochzeitseinladung von Binki bekommen. Die haeufigste Frage ist natuerlich, ob ich verheiratet bin, warum nicht, wann ich heiraten moechte und ob hier. Wenn ich noch keinen Mann habe, ist mein Vater also fuer mich zustaendig. Dann werde ich gefragt, wieviel Zeit mir mein Vater gegeben hat zum Reisen. Wenn ich sage, dass ich gar nicht nach seiner Permission fragen musste, denken sie, wir sind vielleicht gerade im Streit. Auf jedenfall ist es unvorstellbar, dass ich einfach gegangen bin, dass meine Eltern noch in Deutschland sind und dass sie auch nicht vorhaben, mich bald zu verheiraten. Ich sage dann, bei uns ist das ein bisschen anders. Aber wie anders das wirklich ist, ist schwer zu sagen. Ich bin auf jedenfall sehr gluecklich und ein bisschen stolz, diese Freiheit zu haben und mich allein zurechtfinden zu koennen (man muss dazu sagen, dass es nicht nur gut ist und wir dafuer weniger oft in unseren Familien sind oder so). But be aware, sagt mir eine Frau, they will all tllirt you! was? They will all flirt you. Ach so, das... Ich weiss, sage ich lachend, aber damit komm ich auch zurecht...

Freitag, 10. Februar 2012

Zuggeschichten

Knapp knapp knapp. Irgendwie hab ich damit gerechnet, dass der Zug nicht puenktlich losfahren wird, weil es Indien ist, aber das ist natuerlich Unsinn. Ich bin also um 6:04 in einem verschlafenen East of Kailash und noch im Dunkeln mit der ersten Metro los - vorbei an kleinen Feuern, wo Nachts die Hausaufpasser kauern, und bin um 6:40 h tak an Gleis 14 - dem einzigen Gleis, wo meine Uhrzeit geschrieben stand. Den Rest konnte ich nicht lesen in der Eile und in Hindi. Ich springe also rasch in den Zug und schiebe mich vorbei an den vielen Leuten bis zu meinen Platz, wo auch schon die Familie wartet, mit der ich die naechsten 6 stunden verbringen soll. Dass es diesen Platz wirklich gibt und dass die meisten Leute Turbaene tragen (wie die Sikhs im Punjab) sagt mir, dass die Fahrtrichtung stimmt.

Lange lange lange faehrt der Zug erstmal raus aus Delhi. Vorbei an grossen Strassen und dreckigen Fluessen, an Muellwiesen in denen die Leute ihre erste Notdurft verrichten und schliesslich an Landschaften, in denen Lehmhuette an Lehmhuette und Blech an Blech kreativ zusammengeschachtelt sind, sodass sich daraus kleine Wohnungen ergeben. Viele. Das andere Delhi, das ich wahrscheinlich nie kennenlernen kann (ausser in Shantaram). Vielleicht ist es auch besser so. Meine ganze Welt steht auf wackligen Beinen, wenn ich das sehe und mir vorstelle, wieviele Leute sich so durchs Leben schlagen. Wenn sich jemand ganz ohne Beine auf einem kleinen Rollbrett nur durch den Zug schiebt und lange zu mir hochsieht. Wenn mein Gesicht steinern bleibt, waehrend mein Herz eigentlich weinen will oder zumindest ihm die Haelfte meines Geldes geben. Dann fuehlt es sich so an, als sollte ich besser alles wegschmeissen und mein Leben nochmal ganz von vorne denken. Stattdessen warte ich, dass der Alte weiterrollt und suche in mir einen Raum, in dem ich diese Bilder ordnen kann - und finde ihn nicht.

Meine Familie schuettelt laechelnd den Kopf: Gib ihm kein Geld! Dann fruehstuecken wir. Erst sage ich, ich habe schon was gegessen (und nichts dabei), aber sie sagen natuerlich koi baat nahin und reichen mir strahlend den extra fuer mich gerichteten Teller. Es gibt Rootis mit Subji (das ist gut gewuerztes Gemuese), dazu suesses Raiter. Dann bekomm ich vom Chaewalla noch einen Kaffee und spaeter einen Chae. Bezahlen darf ich auch hier nicht. Diese Menschen, faehrt es mir in den Kopf, die hier so selbstverstaendlich ihr Essen mit mir teilen, das sind dieselben, vor denen ich eben noch so misstrauisch meinen Geldbeutel verstecken wollte - just in case. Und jetzt kommen sie mir zuvor und bezahlen sogar fuer mich. Das ist doch superparadox. Und ein paar Stunden spaeter, als sie aussteigen und die Kinder 100-mal bye (bye bye Maaria) gesagt haben, setzen sich 3 Jungs zu mir um mit mir ihr Mittagessen zu teilen. Man darf wirklich nicht zu schlecht denken von den Leuten. Ich glaube, dass es im seltensten Fall welche sind, die Dir was Schlechtes wollen oder etwas wegnehmen. In den allermeisten Faellen geben sie nur und wuerden Dir bis zum Ende vom Tag noch weiterhelfen. und dann winken sie ab, wenn Du bezahlen willst oder Dich auch nur bedankst. Nein Maria, Du bist doch unser Gast!

Dienstag, 7. Februar 2012

Aisa mera kam ho ja tha hae!

Das ist, wie die Dinge hier laufen: Ich sollte trotz des guten Frühsücks auch heute wieder ein Mittagessen bekommen. In Lado Sarai, einem sehr ruhigen alten Viertel von Delhi, habe ich mir am Vormittag zwei Shalwar-Kameez schneidern lassen und bin dabei totally out of money gerannt. Gut, dachte ich, ich muss ja nichts mehr essen und meine Metrokarte reicht auch noch bis nachhaus (von der Metro erzähl ich ein andermal, das ist völlig abgefahren!). Da ruft mich plötzlich jemand von der Straße her an: Hey, I know you from the plane! Ganz kurz überlege ich, ob das ein Touriabschleppspruch ist und ich einfach weitergehen soll. Dann halte ich an. Und während Vijai noch von unserem Treffen in Istanbul spricht, erkenne ich auch langsam sein Gesicht wieder. Wie klein die Welt doch ist! Nach meinem Frühstückschae und zwei weiteren auf dem Weg bekomme ich also im Office von Vijais Cousin einen vierten (was mir sehr gelegen kommt). Da der Cousin fast akzentfrei Englisch spricht, nehme ich an, dass es sich um eine reichere Familie handelt. So ist es auch. Und dazu um die größte in ganz Lado Sarai - vielleicht sogar in Delhi, sagen die beiden Cousins. Das bestätigt sich, als mir nacheinander die im Compound wohnenden Familienmitglieder samt Wohnungen gezeigt werden. Es folgen mehrere Chae, Süßes Ladoo dazu und viel schnelles Hindi. Die Kinder sind immer stolz Englisch zu sprechen, die Alten freuen sich, von mir Hindi zu hören. So sind alle bedient. Auch ich. Und dann kommt das Essen: Wunderbar warme Rootis mit Gemüse und Dahi (Joghurt). Nachdem ich mich ordentlich bedankt und alle Zusammenhänge der immerhin 115 Familienmitglieder annährend verstanden habe, ziehts mich zurück in die kurvigen Straßen von Lado Sarai. Als mich ein Rikschafahrer fragt, ob er mich zur Metro bringen soll, muss ich sagen, dass ich leider kein Geld mehr habe. Koi baat nahin (macht gar nichts!), Ich bring Dich zu einem Bazar, Du bleibst da 10 Minuten, nichts machen, nichts kaufen, wir fahren weiter und ich bekomme mein Geld vom Ladenbesitzer. Thik hae, so machen wirs. So komme ich also wirklich mit meinen letzten 30 Rupees bis nachhause - zumal ich im Qtab Minar davor 10 rs indischen Eintritt zahlen konnte, statt 250, weil ich gesagt habe dass ich hier lebe und arbeite (das ist zwar noch Zukunftsmusik, aber immerhin). Aisa mera kam ho ja tha hae - das ist, wie die Dinge hier laufen.

Sonntag, 5. Februar 2012

Im Iskcon-Tempel

Wenn wir gefrühsückt haben (wie unten) und Nihar zur Arbeit gegangen ist, streune ich immer ein bisschen durch die Straßen und schau, was mir noch so über den Weg läuft. Heute war es (wiedermal) ein Tässchen Chae und dann: der ISKCON-Tempel (International Society for Krishna Conscousness). Hier wird also Krishna, der achten Inkarnation Vishnus, dem Erhalter, gehuldigt. Davon versteh ich leider noch nicht so viel, aber dafür habe ich mir gestern eine Bhagavad Gita geholt, in der ich das alles nachlesen kann. Etwas unbeholfen stand ich also inmitten des Tempels und versuchte so zu tun, als wäre ich immer schon hier gewesen: Treppenstufen berühren, Hand zur Stirn, zum Herz, dann die Statuen berühren, Stirn zum Boden, Blumen werfen und das alles. Weil ich mir dabei aber doch ein bisschen komisch vorkam, setzte ich mich lieber unauffällig an den Rand und sah dem bunten Treiben lange zu.

Auf der anderen Seite, auch am Rand, saßen mehrere Frauen und fädelten Blumen zu Ketten auf. Bei den Frauen fühl ich mich immer sicher, weil sie einen nicht gleich heiraten oder ausführen wollen. Also bin ich rüber und habe mich dazugesetzt. Bald bekam ich auch eine Nadel und Faden und konnte in dem ganzen Blumenduft mitarbeiten. Dabei war meine Hauptaufgabe, bei den schnellen Gesprächen zwischen den Frauen mitzukommen. Was ich immer verstehe ist, wenn es Essen gibt. Und so war es dann auch: "jaldi jaldi chatam karo" (mach das schnell fertig), sagte die Frau, die mir auch die Nadel gegeben hatte, "Ao, khanaa tayar hae!" (komm, das Essen ist fertig!). Ich habe immer gute Erfahrung damit gemacht, sich anzuschließen, wenn auf einmal alle irgendwo hingehen - vor allem, wenn man dazu aufgefordert wird. Wir gingen also zusammen runter, in einen großen Raum - Hände waschen nicht vergessen - und bekamen Riesenteller mit Reis, allerlei Gemüse, süßer frischer Tomatensauce und warmem Halva (leckerer Nachtisch aus dicker Weizenpaste). Und so saß ich zwischen den Tempelleuten mit meinen Frauen auf dem Boden und aß mit den Händen, als wäre es immer schon so gewesen.

Einen Fehler habe ich später aber doch gemacht: Um den Faden einzufädeln, habe ich ihn kurz mit der Zunge angefeuchtet. Da haben die Frauen ihre Arbeit hingelegt und gesagt: Jetzt musst Du Dich beim Bhagvan (Gott) entschuldigen. Nimm nächstesmal Wasser! Also habe ich kurz mit dem Kopf gewackelt, die Hände zusammengelegt und mich beim Gott entschuldigt ("M'af karo!"). Dann war alles wieder in Ordnung und wir konnten weiterfädeln. Als der Blumenberg schließlich fertig war, haben sich die Frauen von mir verabschiedet und gefragt, ob ich auch morgen wiederkomme. Weil ich noch kein gutes Wort für "mal sehen" kenne, habe ich ein schnelles "insha 'Allah" gemurmelt, was ja eigentlich arabisch ist und 'so Gott will' heißt. Aber das haben sie dann auch verstanden und gelacht.

Samstag, 4. Februar 2012

Zu den Bildern

Wenn ich hier aufwache, wickel ich mich meistens in einen großen Schal und gehe auf den Balkon in die erste Morgensonne. Dann atme ich tief die Delhiluft (meine neue Lieblingsluft) ein, freue mich dass ich hier bin und beobachte die Straße unten. Da sind allerlei Geräusche, von Kindern, Hühnern, Hunden, Hupen, und vor allem von den vielen Verkäufern, die jeden morgen mit voll bepackten Fahrrädern durch die Straßen ziehen und ihre Wahre anpreisen: "hari sabjiii, hari sabjiiii" (Grünzeug) "thomaddo thomaddoooo" (Tomaten), "samacaaaar" (Zeitung). Ach, die Zeitung wird eigentlich eh direkt auf den Balkon geworfen. In jedes Haus, in jeden Stock. Das ist sicher eine Kunst für sich... Dann gehe ich mit Nihar frühstücken. Das heißt wir nehmen uns eine Riksha für 25 Rupies (40 cent, wahrscheinlich zuviel) und fahren zum Moolchand, weil es dort an der Ecke die besten Parathas gibt und weil dort viele Leute stehen - das ist ein gutes Zeichen! Ich hab das oben mal kurz zusammengestellt: Ganz links werden die Parathas ausgerollt und gezielt auf einen freien Platz in der große Platte geworfen. In der Mitte wird dann kellenweise Öl darübergegossen, das zeitweise auch Feuer fängt. Auf diese Weise sind die Parathas ruck zuck knusprig warm und werden dann mit einer Handvoll Gewürz und Peperonis dazu serviert. Rechts bekommt man dann einen Chae zu 6 Rupies in die Hand, der vorher mit frischem Ingver und viel Zucker versetzt wurde. So hat man das perfekt süß-salzige Frühstück, mit Anfahrt für zwei Leute im Ganzen für 100 Rupies, und braucht eigentlich auch gar kein Mittagessen mehr.

Mittwoch, 1. Februar 2012

Auf dem Weg

Es ist zurück, das Reisen - und das Leben wieder eine verrückte Folge von Momenten! Ich weiß nicht, ob ich zu viel Glück habe, oder ob das noch im Rahmen ist. Mit mir und Indien ist es so, wie man eine alte Liebe wiedertreffen will, die man aber jahrelang nicht gesehen hat und man weiß nicht genau, ob die Beziehung überhaupt existiert, oder ob sie nur Ausgeburt der eigenen Vorstellungen und Interpretationen ist. Dann verabredet man sich doch, geht hin mit klopfendem Herzen und einem flauen Gefühl im Bauch. Was, wenn es nichts gibt zwischen uns? Was gibt mir denn das Recht zu beschließen für zwei Monate zu reisen und "nichts" zu tun? Ich wollte ja auch "tun", aber die Bewerbung um einen Praktikumsplatz schlug auf misteriöse Weise fehl. Und dann, dann habe ich einen Flug gebucht, einfach weil ich wollte. Braucht es außerdem noch einen Anlass? Dieser ganze Rechtfertigungskram ging mir also in Istanbul durch den Kopf - zusammen mit der Tatsache ganz alleine zu sein und mit einem 5 Stunden verspäteten Flieger. Das war, weil Istanbul nicht so gut auf Schnee vorbereitet war. Schnee und Schokolade. Als ich gerade beschlossen hatte, mich dem flauen Gefühl ganz hinzugeben und nicht mehr dagegen anzukämpfen, wurde alles besser. Der Flug war ausgerufen, neben mir saß Tinku, der kaum Englisch sprach und schwups fand ich mich in meinem Chalwar-Kameez und in einer langen Hindi-Unterhaltung wieder. Das nächste Geschenk-Ereignis kam dann beim Aussteigen: die Luft. Zwischen Gepäckträgern und Abholkommitees blieb ich plötzlich stehen, legte das Tuch leicht über den Kopf, reckte die Nase die Höhe, und schnupperte. Das muss Indien sein, dachte ich. Es war eine süßlich-staubige Luft, die mich mit einem mal auch an Pakistan erinnerte. Und dann musste ich breit grinsen, in die vielen hektisch-lieben Gesichter hinein, (die das vielleicht gar nicht gesehen haben): Ja, da liegt was in der Luft und ich bin nicht ohne Grund hier!

Das dritte wunderbarste von heute ist, dass ich hier bei einem Freund vom Lindy hop wohnen darf - im tiefsten Delhi (East of Kailash), wo sich kaum ein Ausländer hinverirrt, wo ich mitten im Alltag bin, Chae an der Straßenecke trinke und die Tür vor den Affen zumachen muss.