Sonntag, 19. Februar 2012

Ab und Abi

Soviel zu den Fragen von gestern: Ich kann auch einfach ganz normal sein – vielleicht ist das am besten (in Gedanken an Mandelas „Our deepest fear“). Der Gedanke kam, als ich heute bei der wunderbaren Familie war, ueber die ich auch damals schon geschrieben habe. Dort hat es niemanden gekuemmert, wie und wem ich hallo sage, wo ich mich hinsetze oder wie ich das Dupatta (Tuch) trage. Vielmehr hatte ich das Gefuehl ein bisschen zu traditionell, zu zoegerlich zu sein. Wie schnell man sich anpassen kann! Aber diese Familie ist anders. Mehr open minded. „Yes, very open minded you can say, extraordinary open minded”, sagte unser Fahrer lachend, als ich ihn nach den Kontaktdaten zu dieser Familie fragte. Was auch immer er gemeint hat, ich bin der Sache schliesslich naeher gekommen, als ich erfahren hab, dass der Vater Kunst und Jura studiert hat, im Surpreme Court von Pakistan arbeitet und bei der Richterbewegung in den vergangenen Jahren nicht unaktiv war. Genauer gesagt ist er im Maerz 2007 zurueckgetreten, als der Oberste Richter von Musharraf abgesetzt wurde und hat seine Arbeit erst wieder aufgenommen, als Chaudry 2009 zurueck im Amt war. Was die Richter da gemacht haben, war ein abgefahrener Kampf (weils das vorher nicht gab) fuer die Unabhaengigkeit der Judikative. Leider haben wir nicht weiter darueber gesprochen, weil er zu sehr an meinen Mathe-Philosophiestudien interessiert war, und es schliesslich um Seele oder Nichtseele ging. Auch gut. Am Ende bin ich mit dem Rest der Familie zu einer kleinen Demo fuer Baluchistan gegangen und schliesslich hatte ich ein Schild in der Hand: „Pakistan is not a piece of the cake for American Hegemonie“. Von dem Konflikt versteh ich auch wieder nicht viel, aber ich war froh, endlich Leute zu sehen, die sich fuer die Geschehnisse in Pakistan interessieren und nicht mit einem „You can’t do anything“ ausweichen.

Die Sonne stand schon tief und so musste ich mich verabschieden. Als ich an der Strasse die Leute fragte, wann ein Bus kommt, merkte ich sogleich, dass die Frage planlos war. Die Antwort ist natuerlich „Ab“, das heisst „Jetzt“. Es gibt auch „Abi“, das heisst „Jetzt Jetzt“, aber beides hat nicht viel mit unserem Deutschen Jetzt zu tun. Es heisst nur: Der Bus wird kommen. Also setze ich mich hin und trinke noch einen Chae. Gegen die uebliche Handynummer-Fragerei werde ich eingeladen. Zwei Busse sind schon vorbeigezogen, es gibt sicher noch mehr. Als ich einsteige werde ich sogleich nach hinten zu den Frauen bugsiert. Begleitet von Bollywoodmusik, schaukelnden Kuscheltieren mit „I love you“ auf dem Bauch, bunten Faehnchen und Perlenketten, von vielen neugierigen Augen, Kindern auf meinem Schoss und unzaehligen Familieneinladungen, komme ich rechtzeitig zu Sonnenuntergang wieder in Roshni an.

Keine Kommentare: