Freitag, 26. Juli 2019

Huayna Potosi

Ich bin die erste am Office. Ich habe außer meinem Handy nichts zum Schreiben dabei, um Gewicht zu sparen. Heute morgen wachte ich auf und meditierte kurz. Ich hatte das Gefühl, das Universum sagt: Ich gebe dir Kraft für jeden deiner Schritte. Die brauche ich, denn ich habe keine Ahnung, ob ich diesen Berg besteigen kann oder nicht. Durch den Regen gehts mit dem Minibus zur Calle Illampu, Office 747, wo ich auf die anderen warte. Noch ist mir relativ warm....

Die Ausrüstung ist mir etwas zu groß. German, der Guide den ich im Internet fand, weil ich dachte er spricht deutsch, sagt: "until tomorrow you have to gain five pounds" und lacht. Für einen Augenblick denke ich es ist wahr... German ist ein nicht so großer Bolivianer mit vertrauenswürdigen Augen, der seinen Job liebt: "I like seeing places", sagt er " how much is the flight to germany?" Ich muss rechnen. So 5-6000 Bolivianos? Ich untertreibe etwas, aber wir finden es trotzdem teuer. Ich merke, dass ich den Beschützerinstinkt der Gruppe geweckt habe: zwei Guides und zwei Franzosen. Als das Auto sich im Schneegestöber dem Basislager nähert und stehen bleibt, schieben die Jungs - ich soll im Auto bleiben, sagen sie.

Highcamp

Wir brechen mittags auf - nach langem Warten und rumsitzen, ich meditiere am See. Dann schneit es. Drei bis vier Stunden kämpfen wir uns durch Schneegestöber, Nebel und Steine. Einer von uns wird Höhenkrank und muss immer wieder anhalten. Ich bin froh um die Pausen und froh, dass es nicht wegen mir ist. Auch ich komme an meine Grenzen und versuche immer wieder durchzuatmen so gut es geht. Ich schaue in den Schnee und denke: wie perfekt er doch durch die Steinlöcher fliegt und wie gut die Welt eigentlich ist. Wir sind jetzt auf 5300 Metern. Ich weiß nicht, ob ich es schaffe morgen bis auf den Gipfel, aber wenn ich es schaffe bin ich sehr froh und stolz auf mich. Ich bin jetzt schon sehr froh. Die anderen sagten "you've got a good pace" und "you're a good teammember". Im Highcamp angekommen sagt einer: " you've got too much Energie, Maria!". I've heard that sometimes in my life, aber hier auf dem Berg bedeutet es noch viel mehr...

Leider schneit es viel zu viel in der Nacht, sodass keiner auf den Gipfel kann. Ich gehe mit German nochmal alleine raus. Wir klettern ca 50m hoch und kehren dann um. Um uns ist schönste Mond-Schneelandschaft, die ich je gesehen habe. Am selben Tag geht es zurück nach La Paz, wo mein Neffe sich freut, dass ich wieder da bin ("jetzt bin ich auch ganz lieb zu dir"). Ich trauer dem Berg noch ein bisschen nach. Soll ich nochmal gehen?


Den Sternen so nah

Mittwoch, eine halbe Woche später. Ich bin wieder als erste am Office. Die Leute von La Paz bauen langsam ihre Läden auf, es ist 8 Uhr. German kommt und kauft mir eine Saltena, die ich immer am Straßenrand gesehen hab und mich gefragt hab, wie sie schmecken. Ich ess mein zweites Frühstück im Auto und bin dankbar.

Das zweitemal Aufstieg zum Highcamp geht sehr viel besser. Ich brauche ein paar Pausen, danach bin ich aber stetig. "Como un Ave Maria" (ein Vogel, der Glück bringt) sagt German. Ich freue mich. Oben angekommen bin ich das einzige Mädchen. Wir machen viele Witze, trinken Coca Tee und essen Popcorn. Nach wenig bis keinem Schlaf (wegen der Höhe) geht es um eins los. "Schau wie schön die Sterne sind", sagt Renato, mein Mitstreiter, zu mir. Und wirklich: die Sterne sehen aus, als wären sie sehr viel näher als sonst, als würde ich mitten in ihnen stehen irgendwie. Ich ziehe mein Material an und stapfe zwischen den anderen Gruppen los. Von den ca 15 Leuten schaffen es aber heute nur zwei bis zum Gipfel. Auch ich muss bei 5900 Metern Höhe umkehren, weil ich keine Kraft mehr habe und weil der Wind zu stark wird. Passieren die meisten Unfälle nicht auf dem Rückweg? Ich spare mir mein letztes bisschen Kraft... Zurück über die Gletscherspalte, ein kurzes Kletterstück und dann nur noch bergab. Bin ich das alles wirklich hochgelaufen? Vor uns liegt die Cordillera Real und dahinter ein großes Wolkenmeer aus dem ganz langsam die Sonne aufsteigt. Es sieht aus, wie aus dem Flugzeug - nur schöner. Ich genieße eine Zeitlang noch das wahnsinnige Naturschauspiel und achte dann wieder auf meine Schritte und auf meine Beine, die Wahnsinnig wehtun. Später sehe ich, dass ein Zehnagel blau ist vom Frost. Mit dem Berg bin ich fertig, denk ich mir - es geht wieder zurück zur Familie.


Den Kindern kaufe ich von meinen letzten Bolivianos Pizza, 2 habe noch für den Minibus. Mit Waldo bespreche ich, wie ich nachts zum Flughafen komme - er fährt mich. Ein letzter Nachmittag in La Paz. Langsam geht die Sonne hinter den Bergen unter. Weit in der Ferne leuchtet unschuldig und groß der pyramidenförmige Huayna Potosi.

Dienstag, 16. Juli 2019

Electricidad

Ich werde um sieben von meiner zweijährigen Nichte mit "Mama Kaka" geweckt. Sie steht in der Mitte des Raumes und schaut mich aus großen Augen erwartungsvoll an. Für einen Moment denke ich: das wird sich schon irgendwie klären und versuche weiterzuschlafen. Dann fällt mir ein, dass ihr Papa arbeitet und ich gestern gesagt habe sie kann ja zu mir kommen, wenn sie wach ist... Nachdem ich halbschlafend alles gesäubert habe und in Ruhe meinen Kaffee trinken will, fällt mein Neffe (6) über mich her, der wilde Katze spielt. In seiner Wildheit wirft er den Kaffee über mich und geht weinend in sein Zimmer, weil er sich erschrocken hat. "Du überlegt sicher gerade, ob du wirklich Kinder willst", sagte meine Schwester in solchen Momenten zu mir.

Ich habe mich an La Paz gewöhnt. Ich habe immer zwei Bolivianos für den Minibus in der Tasche und koche rechtzeitig die nötige Menge an Wasser zum Trinken ab. Wenn ich dusche, fasse ich den Wasserhahn mit einem Handtuch an. "Das Wasser wird elektrisch aufgewährmt, also ist da ein bisschen Elektrizität, das macht aber nichts", sagt meine Schwester. Macht nichts? Ich hab auch vor kleinen Strohmschlägen Angst - das ist wie bei diesem Kinderspiel wo man die Zähne eines Krokodils runterdrücken muss und plötzlich schnappt es zu. Aber ich sollte nicht jammern: vor vier Jahren habe ich hier noch kalt geduscht oder lauwarm, aber lauwarm im Winter ist auch kalt. Heute früh haben wir meine Schwester zum Flughafen gebracht. Meine Neffe und meine Nichte wollten Rolltreppe fahren und ein Ü-Ei kaufen. Als wir dann ohne Mama im Taxi saßen auf dem Weg nach Hause protestierte die Kleine kurz, ließ sich aber von Sonne ("Suunne") und Vögeln ("Woogel") draußen ablenken und schlief urplötzlich in meinem Arm ein. Ich halte sie im ruckelnden Auto fest, dass ihr Kopf nicht anstöst und hoffe, dass mein Neffe nicht kotzt ("Ich fühl mich immer so als müsste ich gleich spucken"), während ich dem Taxifahrer in meinem Halbspanisch versuche zu erklären wo wir hinfahren...

Zuhause empfängt uns ein Berg von Avocados, Mandarinen, Orangen, Physalis und Chirimoyas. "Jetzt ist die beste Zeit für Früchte", sagt mein Schwager strahlend. Chirimoyas schmecken ein bisschen wie diese Yoghurt-Fruchtgummis, die Avocados sind super sanft und weich und die Physalis schmecken ganz leicht nach Seife. Ob das ein Eigengeschmack ist oder ob das daran liegt, dass meine Nichte neuerdings ihre Riesenseifenblasen überall verteilt weiß ich nicht. Aber ja, ich denke es ist schön, Kinder zu haben!

Montag, 8. Juli 2019

Berlin - La Paz

Ich bin wieder in Bolivien! Um so richtig weit wegzukommen von meinem Alltag und vom normalen Leben habe ich beschlossen, meine älteste Schwester mit ihrer Familie in La Paz zu besuchen. Ich glaube es hat geklappt. Ich sitze in einem wunderbaren Café und trinke Sternfruchtsaft. Was noch nicht ganz geklappt hat, ist der innere Entspannunsmodus, der sich einstellen sollte, wenn man in Ferien ist. Ob das an der dünnen Luft (auf 3600 Metern Höhe), an den Kindern oder an mir liegt, weiß ich nicht. Immer wieder denke ich an die Prüfung im Dezember - wie wahrscheinlich die meisten meiner RefkollegInnen - was ich noch vorbereiten könnte, dass es mit der nächsten Klasse gut läuft und an den Rahmenlehrplan. Dabei bin ich in Bolivien!!! Ich sitze unterm Avocadobaum, esse frisch gepflückte Pampelmusen und eine mir unbekannte Nuss und denke an den Rahmenlehrplan! Vielleicht hat der Beruf das an sich, dass er einen nicht loslässt. In der nächsten Woche möche ich auf den Huayna Potosí steigen - einen 6088 Meter hohen Berg. Da denke ich wahrscheinlich an gar nichts mehr, als einen Fuß vor den anderen zu setzten. Ich freu mich drauf und werde berichten... "Berichten" ist sicher auch so ein Wort, wo mein Neffe nachfragt: "Maria, was heißt das, berichten?" Und dann lerne ich, ein Wort nicht mit sich selbst zu erklären. Heute früh sagte ich: "Sag Bescheid, wenn es dir nicht gut geht, ja?" Dann fragte er: "wie sagt man Bescheid?", er überlegte kurz, dann hob er die Hand, sagte: "Bescheid" und lachte.