Montag, 31. Dezember 2007

Wasep (Rückkehr)

Und das waren die Ferien. Und ich schreibe doch nicht erst in einer Woche wieder und auch keine neuen Wunder-Eindruecke. Obwohl man die Dinge der letzten 2 Tage durchaus auch von diesem Gesichtspunkt aus sehen kann.

Unser Zug hat gerade etwa ein Viertel der Strecke von Lahore nach Karachi zurückgelegt, als uns die Nachricht vom Tod der Oppositionsführerin und soundsoviel anderen erreicht. Die Leute im Zug bewegen sich langsam, stehen auf, Telefonieren – und wirken relativ emotionslos. Uns raten sie, nicht nach Karachi weiterzufahren, überhaupt nicht in den Sindh zu fahren, weil dies ja das Gebiet ihrer Heimat sei, weil das Volk einen Hass auf die Regierung, Hass auf Amerika habe und da alle Weißen für sie „Angreze“ sind und Angreze gleich wieder Amerikaner, sei es für uns schon unsicherer, als für die Einheimischen. Es ist schwer, klare Antworten zu bekommen. Die einen meinen, das Attentat sei in Karachi gewesen, nicht in Rawalpindi. Im Punjab, in Lahore seien wir jedenfalls einigermaßen sicher. Dann häufen sich die Nachrichten von außen, man sagt sich, jetzt geht es in allen Städten rund und die Pakistanis selbst organisieren sich auch schon eine andere Bleibe als Karachi, Handys klingeln wieder.
Der Zug fährt, erfahren wir später, auch gar nicht weiter nach Karachi, sondern kehrt nach Lahore zurück. als er schließlich in Khanewal hält (ich hör überall nur Karneval), steht sofort ein Mann vor uns (wieauchimmer er uns so schnell im Zug gefunden hat), uns abzuholen. Plötzlich sind wir in einem Krankenwagen, weil das sicherer ist, als zivil zu fahren. Es sind irgendwie etliche Menschen daran beteiligt, uns in dieser Nacht wieder nach Lahore zu bekommen. Aber ich will keine Geschichten erzählen, da komm ich mir komisch vor, angesichts der Dinge, die in dem Land passieren und mir nicht ganz greifbar sind. Nur kurz sagen, dass ich wieder in hier bin und vorerst auch bleiben werde, bleiben muss (und somit auch den geplanten Abstand von Roshni nicht habe um mit neuen Ideen und allem was dazugehört wiederzukommen).

Wann ist man eigentlich in Gefahr? Die Leute um uns sind alle so friedlich und freundlich und ich schaffs nach wie vor nicht, mir die Bösen darunter vorzustellen. Auch von der Religion her geht das eigentlich gar nicht klar. Von der Politik wisst ihr wahrscheinlich wieder mehr als ich!
Als wir z.B. in besagter Nacht morgens um 3 Station machen bei den Leuten, die uns holen und bringen (und schließlich um diese Uhrzeit noch was kochen, woraufhin ich wirklich nicht mehr weiß, was sagen – obwohl Englisch gesprochen wird), versuche ich vergeblich etwas über die Situation zu erfahren: vor dem Fernseher wird wie gewohnt von Sender zu Sender gezappt und als ich ganz entschlossen sage ich würde jetzt doch gerne mal „News“ gucken, bekomme ich nur einige Minuten, einige Satzfetzen und ähnliche Informationen wie schon zuvor mit – bevor wieder Kricket geguckt wird.

Mittwoch, 26. Dezember 2007

mehr Geschichten!

Das war Weihnachten in Pakistan - die Sonne scheint schon wieder und ich renne barfuß im Kreis um das Fußballfeld, dass sich Nachtwächter und Gärtner wundern müssen (oder lachen müssen). Morgen nach Karachi. Eine asiatische 14-Millionenstadt wie sie im Buche steht wahrscheinlich. Soll überhaupt nicht schön sein dort! Und der Zug dahin soll auch nicht schön sein. Ja, ich laufe gar nicht und fliege auch nicht, was viele hier tun würden und ich nehm auch nicht den Eselskarren, wie Sitar mir heute morgen angeboten hat, als er uns durchs Dorf zum Shop gefahrn hat und ich wieder mein Urdu nutzen konnte.
Hotennuuu. Soweit ich verstanden habe, hat er seine Familie dort unten - meine Tasche füllt sich gerade mit Adressen, die mir in Karachi weiterhelfen wollen. Aber keine Sorge, ich geh nicht allein! Matze und Helen sind dabei (obwohl uns Volus eigentlich auch Abstand voneinander guttun würde) und Das Zugunglück kürzlich war in der Gegenrichtung. Außerdem sind in Deutschland auch schon Züge entgleist!

Was ich eigentlich sagen will ist, dass wahrscheinlich einige Tage Ruhe in meinen Blog einkehren wird, bis ich ihn wieder aufmischen kann mit gemischten Eindrücken der kommenden Woche - falls mich der Schulalltag nicht gleich wieder einnimmt und nach all meiner Kreativität verlangt, mit der ich sonst gern die Worte neu zusammenstellen würde um Euch ein Bild zu vermitteln. Wenn dem so sein sollte, dann nehmt Euch ein Buch mit Erzählungen aus dem Orient und stellt euch die Figuren einfach vor, die hier ganz selbstverständlich über die Straße schlurfen in ihren weißen Tüchern und Turbänern, mit einem Zuckerrohr zwischen den Zähnen ab und zu in den Sand spuckend, oder auf dem Farrad so arg bepackt, dass man meint sie schaffen die nächste Kurve nicht. Aber sie schaffen alles, die Männer hier und es ist völlig normal, nur ich frag mich, wo die alle immer hinwuseln mit ihren vielen Sachen, die sie tragen, mit 5 Kindern und Frau auf dem Motorrad. Wo sind die Frauen überhaupt die ganze Zeit? Und dann wieder ein Kamel (So es das Eid-Fest überlebt hat), eine Tasse heißen Cae, ein Gespräch bei dem hauptsächlich Verwunderung und wiedergutmachendes Lächeln rumkommt, Hand schütteln und Hand nicht schütteln und sie wünschen mir Merry Christmas und manche sind dabei ganz stolz, "auch" Christ zu sein. Mit diesen waren wir gestern in einer echten Kirche. Aber das ist eine andere Geschichte, die von Kitsch und Glauben handeln müsste und schließlich wieder von Verwunderung. Ich lass sie also aus - ebenso wie die vom Din-A4 Fahrkartenkauf und die von der prunkvollen Hochzeit unseres reichen Nachbarsohnes (welche durch das Auftreten einer Rockband vor all den gesetzten Verwandten - hier der Frauentisch da der Männertisch - wirklich interessant, nein sogar sehr spaßig wurde) oder die vom Weihnachtslieder und Nichtweihnachtslieder singen, wie hier die Kulturen aufeinanderprasseln und wie sich die Unterschiede schließlich doch bei langem langem Reden am Feuer verarbeiten lassen.
Je nach Internet- und Zeithabbedingung in Karachi gibt es dann also in etwa einer Woche wieder neues von mir im Wunderland. Genießt den Schnee - so ihr welchen habt - und besten Dank natürlich an alle Schokoladenschicker!

Freitag, 21. Dezember 2007

Das große Schlachten

Ich nehme an, ihr habt nicht alle ein Kaminfeuer neben dem Pc. Ist bei uns auch eher selten. Das nur wegen gestern. Und heute das Eid-Schlachtfest. Die Straßen sind voller Blut. Überall liegen Ziegenfelle und Kuhfüße (gebündelt). Manchmal ein entleerter Darm, dann wieder ganze Tiere, die gehäutet werden. Als ich besorgt gefragt werde, ob es auch gut für mich ist, eine Kuh so sterben zu sehen sage ich passt schon, ich bin ja auf dem Bauernhof groß geworden. Beim Schlachten werde ich erst dieser Lüge gewahr und stelle fest, dass meine Gesichtsmuskeln sich verkrampfen als wenn ich in die Sonne gucken müsste. Ich wusste auch nicht, dass das Fleisch eine Stunde später noch immer vor sich hin zuckt. Und dann sehe ich schließlich auch keinen Sinn in dem vielen Schlachten und Fleischanhäufen heute. Für die Bettler, die nun aus ihren Normadenhütten kommen um in Plastiktüten ihren Teil des Viehs (1/3 den armen, 1/3 den Nachbarn und Freunden, 1/3 behalten) fordern, mag dieser Tag schön sein. Für mich nur eine weitere Verwunderung. Die geschmückten Tiere werden morgen und übermorgen nach und nach von den Schlachtern überrascht, die sich dann mit rostiger Klinge an die Kehle eines würdevollen Kamels machen. Das ist die Tradition. Seit Abraham statt seinem Sohn einen Bock opfern durfte. Würde ich diese Dinge verstehen, wenn ich mich endlich mehr um deren Hintergrund bemühte? Der Koran liegt angelesen neben meinem Bett, zuwischen drei anderen Büchern, in denen ich schon weiter gekommen bin. Dabei sollte er mindestens auf Augenhöhe in einem Schrank für sich allein stehen und nur mit reingewaschenen Händen und guten Gedanken (und eigentlich auch in Arabischer Sprache) gelesen werden. Doch auch wenn ich dazu nicht komme und schließlich sogar mein (nein Dein) „Islam verstehen“ verloren habe (das wirklich verständlich geschrieben war), so habe ich noch etliche Begegnungen mit den Leuten, in welchen all meine Fragen wieder auftauchen können. Plauderabende mit Anum z.B., über deren Inhalt ich grad nicht schreiben mag, weil vieles doch wieder Frauensache war. Gespräche aber, wo ich eine Idee davon bekommen konnte, warum die Dinge hier so sind wie sie sind, warum so wenig hinterfragt wird (denn so steht es im Koran und der gibt – im Gegensatz zur Bibel oder der Tora – Gottes Wort unverfälscht wieder), welche Kraft der Glaube hat und wie er den Menschen Sicherheit geben kann in allem was sie tun.

Donnerstag, 20. Dezember 2007

am Kaminfeuer zu lesen

Einmal mehr in einen Traum gefallen. Schnell schreiben, bevor mir alles abhanden kommt.

Ich hatte doch von den Gärtnern erzählt, von den Ungebildeten, und von den Villagers. Nach dem Fußball also gehen Matze und ich wie gewohnt joggen. Ich brauche einfach dieses bisschen Bewegung am Tag. Und der Gärtner auch, deshalb joggt er jetzt immer mit.
Meri ghar jãnã? (to my house?), ich mag eigentlich nicht, bloß weil ich eine alleine Frau und er ein mir im Prinzip unbekannter Mann ist, denken müssen, dass er mir doof kommen könnte (obwohl das hier so ist, wie man mir sagt), aber wir haben auch Farooq den Betreuten bei mir und ich bin nicht sicher, ob das ok ist. Ich sagte kal (morgen). Heute ist also besagtes Morgen und wir (jetzt Matthias, Manner – so heißt der jüngste Gärtner – und ich) befinden uns wieder am Dorfeingang. Meri ghar? Acca (gut), calo ji. Und schon sind wir durch einen Torbogen, über Lehmboden, Mäuerchen und wieder Tobögen in eines der niedrigen Zimmer gelangt, die man sonst nur durch einen Türspalt von der Straße her sehen kann. Wir sollen uns setzen (bait jao!), von einem der umherstehenden Betten (chapoi) werden die Kinder verscheucht, welche nun Alarm schlagen sodass die Nachbarskinder gelaufen kommen um einen Blick auf die Fremden zu erhaschen, einmal schüchtern meine Hand zu schütteln. Der Cãe wird vorbereitet. Ich frage, ob diese Kinder Manners Geschwister sind. Nein, lacht er, bacche chachi haen. Acca, wir sind also erst im Haus seiner Tante. Der Cãe ist fertig, ob wir denn auch etwas essen wollen? Nein, bohot shukryia, wir essen in Roshni. Einer der Jungs kann etwas Englisch und übersetzt ein paar Worte. Durch eine kleine Tür kommen wir in die nächste Wohnung.

Wo soll ich stehen im Raum? Nein danke, kein Tee, wir hatten gerade! Wie begrüße ich die Menschen, wie zeige ich Respekt vor dem Alten an dem wir uns vorbeiquetschen müssen, bevor wir uns setzten? Ich senke meinen Kopf. Er legt mir die Hand auf die Stirn. Das habe ich hier schon öfters gesehen. Die alten Frauen geben mir beide Hände, ich ihnen die Rechte. Den Männern eine zum Herz geführte Geste mit der Hand, der Blick wird gesenkt, wir sind schließlich auf dem Dorf! Die Frauen sind etwas stürmisch und wollen mich gar nicht mehr gehen lassen, Fragen über Fragen. Nein, ich habe noch keine Kinder! Erst jetzt erkenne ich Adnan, einen meiner Drittklässler, der ganz still auf dem anderen Bett sitzt. Ich lach ihn an und sage der Familie, dass er schon tori tori (wenig wenig) Englisch spricht (was er am nächsten Tag stolz in der Schule erzählt).

Im nächsten Haus wird Matthias eine Wasserpfeife angeboten, an der auch ich ziehe. Das ist hier eigentlich Sache der alten Männer, die mit ihren hennagefärbten Bärten und elegant gewickelten Tüchern um den Kopf tagein tagaus auf ihrem Chapoi sitzen. Ich möchte wissen, wie das schmeckt und was da drinn ist, das hier ist meine einige Chance vielleicht. Lachen. Wasser, sagen sie mir (pani). Es kratzt im Hals. Was ist oben drinn, frage ich. Agh (Feuer). Ich habe das Gefühl, eine Shisha ohne Geschmack zu rauchen. Was ist dazwischen? Chini (Zucker). Kya? Ja, Zucker, das was wir auch in den Cãe tun. Was noch? Tabak. Acca ji. Die Kinder kichern. Or (mehr)? Bas, das ist alles. Manner ist schon wieder aufgestanden, es geht weiter. Ich merke wieder einmal, wie tolerant die Menschen uns gegenüber sind, all meine Unpässlichkeiten werden mit einem Grinsen verziehen.

Draußen unter der Treppe brennt ein Feuer, eine Frau macht darauf Rooties und will mit gleich einen geben. Nein danke, ich esse in Roshni. Cãe? Auch nicht, ich muss weiter. Bleib! schau Dir doch unsere Ziegenbabys an! Acca ji. Eins liegt in der Ecke neben dem Feuer, eins unter dem Bett. Aber in der Nacht darf es nach oben zu den Kindern und der Chachi. Hier brauche ich eine Weile, bis ich verstehe, was die Frau mir sagen will. Die Ziege heißt Lelli. Lelli kann eigentlich froh sein, denk ich mir, die wenigsten Tiere im Dorf haben einen Namen.

Manner ruft, ich springe übers Mäuerchen,ernte verwunderte Blicke und bin in seinem Haus. Hier ist es sauberer als in den anderen Zimmern dieses Dorfes, wo ja ein Haus ins andere übergeht. Man munkelt, dass Manner Land besitzt und das bedeutet hier sehr viel. Hinter dem Türbogen steht sein Bruder Ehsan - einer meiner frechsten Schüler. In letzter Zeit habe ich ihn aber sehr lieb gewonnen. Ob das daran liegt, dass er Manners Bruder ist und dieser schnell rennen und mir Bambus schneiden kann, oder weil der Junge als einziger in der Klasse die Uhrzeit wusste, als ich die Zeiger auf viertel vor drei gestellt hatte (no, it’s not quarter past three!).

Wir sind wieder draußen, auch diesmal kein Cãe – wo kämmen wir denn da hin? Außerdem ist gerade Stromausfall und Manner muss das Notlicht holen. Wir wechseln die Straßenseite. 20 Kinder wechseln die Straßenseite. Pferdekutschen halten an, „angrezi angrezi“ hör ich jemanden rufen. Aber wir sind doch keine Engländer! Maria, ither ao! Oh, noch mehr Besuche. Kopf einziehen. Ich finde mich vor einer müden Frau wieder, die - ein Kind im arm - auf ihrem Bett liegt. Ist es ein paar Wochen (hafta) alt? Monate? Nei, hafta nahin, tin din! Was? Drei Tage? Ich senke die Stimme und komm mir plötzlich dumm vor, dass dem Kleinen das Neonlicht ins Gesicht scheinen muss wegen uns. Wir gehen wieder. Im Hof stehen Kühe und Manner zeigt uns das Futter, was sie brauchen um Milch zu geben. Ja, das kenn ich, Kühe gibt es in Jermani auch. Aber das hier ist die Milch, die wir in Roshni immer trinken. Acca, das wusst ich nicht. Und wusste auch nicht, dass ich mit meinem bisschen Urdu soweit kommen kann wie heute. Mit Händen, Füßen, mit Lächeln und Kopf senken, mit jungen und alten Leuten – nur mit den Männern nicht (Wie war noch mal der Name deiner Frau? Und sie unterrichtet Englisch?) Während die Frauen mir so viel sagen wollen, dass meine Sprach- und Mimikkapazitäten völlig überfordert sind. Wir sind wieder am Dorfausgang. Über uns hängt ein Banner, das ich genäht habe, auf dem die Eröffnung des Roshni-Shops angekündigt wird (zum Verkauf der in den Workshops produzierten Spielsachen und dass einige Betreute dort arbeiten und Kontakt mit den Villagers aufnehmen können). Was für ein Bild haben die Leute hier von Roshni? Wahrscheinlich wissen sie davon ebenso wenig wie ich vom Alltag meiner Schüler. Roshni, ein Ort wo wohlhabende Fremde ein und ausgehen, sich um „spezial people“ kümmern und in der Schule arbeiten. Die Schule kennen natürlich manche der Dorfkinder. Deren Mütter sehe ich heute jedoch zum ersten Mal. Und sie mich: Eine kleine weiße Frau, die in ihr Haus reinspaziert, rausspaziert und versucht recht höflich und herzlich zu sein. Außerdem hat sie heute, weil sie ja gejoggt ist, keinen Schal an (der doch zur sittlichen Kleidung gehört). Koi bath nahin (doesn’t matter) sagt Manner und lacht, schließlich bin ich ja ein foreigner.

Samstag, 15. Dezember 2007

wieso Deutschland?

Dieser Text ist so im Laufe der letzten Woche zustande gekommen und es mag sich einiges Stirnrunzeln meinerseits über das Leben hier darin angestaut haben. Das ist aber nicht zu schwer zu nehmen: Es sind bald Eid-Schlachtfestferien, die Tage werden neu, ich komm ein bisschen durchs Land, da ich mit Mtze und Helen über Sylvesternach Karachi fahre und ich freue mich wirklich aufs – nein, ich freue mich über das Leben. Ich hoffe es geht Dir manchmal genauso, zwischen Schreibtisch und Esstisch, zwischen Weihnachtsmännern und melancholischer Straßenmusik, zwischen Esskastanien und neuen Geschenkideen, oder in viel besseren Ideen (verschenk doch mal einen Tag)…

Hab viel mit Schule und Unterricht zu tun, bin eigentlich rund um die Uhr irgendwo in Roshni eingespannt, welches aber ein weniger brennendes Thema ist, weil es läuft... Brennt mir denn überhaupt was – ich habe lange nicht geschrieben? Meine Zweifeleien sind nochimmer nicht besser geworden. Und überleg mir öfter, ob das was ich tu Sinn macht, anstatt einfach etwas sinn-volles zu tun. Mein Visum für Pakistan wurde bis 21. April verlängert und der Botschafter wollt meine Fragen nicht anhören. Dann eben kein multiple Entry. Manchmal kommt man sich hier als Frau schon dumm vor (Und wenn man Mukhtar May liest und die überspitzte Version davon vor sich hat, kann man auch zornig werden). Auf der anderen Seite werden wir aber auch mit viel Respekt und Rücksicht behandelt...

Interessanter noch als Frausein ist aber das Ausländer sein hier. Als ich am Wochenende mit Philipp aufs Land raus gefahren bin, zu den Lehmhütten und Kamelen von Faisalabad, da war ich wieder der Fremde Mensch aus dem Westen – für die Leute dort vielleicht einer aus den Werbetafeln, aus dem Fernsehen, zum erstenmal „in echt“. Am eindrucksvollsten sind dann immer die Kinderblicke, weil sie nichts verbergen. Ich glaube manche waren wirklich erschrocken.
Im Bus nach Lahore zurück sagte meine Sitznachbarin (denn natürlich sitzt hier wieder Frau neben Frau) „You’re the first interesting person I met in this bus since three years!“ Hm, schade – sind die anderen Menschen in dem Bus denn nicht interessant? Doch doch, meint sie rasch, aber die seien ja alle nur von hier. Es folgt ein Gespräch über Gott und die Welt und schließlich doch wieder über Gott, bis sie versucht, mich zu bekehren. Denn der Islam gäbe auf alles eine Antwort und ich bräuchte eigentlich gar nicht mehr zu suchen. Ich such aber doch so gerne (haha, s.o.)! Ob sie sich denn vorstellen könnte, Christ zu werden? No way! Und weshalb soll ich Moslem werden? „’Cause we’re right!“ Welcher Mensch kann denn sagen, dass er Recht hat? Aber ich denke mir, dass sie nur eine Vertreterin dieser Religion ist und dass hier nicht jeder „Ihr werdet schon noch sehen“ denkt, wenn er es mit Christen oder anderen zu tun hat. Bin ich denn Christ? Wie oft ich hier vor diese Frage geworfen werde. Und nie gebe ich eine zufrieden stellende Antwort. Zunächst einmal bin ich Maria. Eine weitere Definition meiner selbst ist mir noch nicht gelungen. Bisher hab ich’s soweit auch nicht kommen lassen wollen.

Wir steigen aus dem Bus und verlieren uns aus den Augen. Das Versprechen, sie daheim zu besuchen, kann ich vermutlich nicht einlösen. Ich gebe es trotzdem – es gehört irgendwie doch zur guten Sitte (und wie würde sich denn ein Deutsches „Ich kann noch nicht sagen, wie mein Plan für die nächsten Wochen aussieht“ anhören?). Assalam unser Driver wartet schon auf mich, ich bin wieder in „sicheren Händen“ – schade eigentlich, dass die Selbstständigkeit immer nur so kurz währt hier. Bis zur Straße vor und nicht weiter. Und nicht alleine und nicht Nachts. Das ist zu gefährlich. Hier lauern Diebe und anderes Gesindel, sagt man sich. Wie naiv muss ich sein, die Dinge erst zu glauben, wenn ich sie erfahren habe? Trotzdem kann ich nicht anders. Wieso soll man denn als Frau nicht alleine einkaufen gehen können? Aber ich kam her, um die Kultur kennenzulernen und nun lern ich sie eben kennen und es ist auch nicht meine Art, mich quer zu stellen und zu sagen „Ich will aber!“. Naja, so häppchenweise bring ich das schon. Und sehe, dass ich doch den public bus benutzen kann ohne Mann. Mein Urdu reicht auch schon so weit, dass ich den neugierigen Frauen (die diesmal durch eine massive Eisentür von den Männern getrennt sind) erklären kann, was ich tu und wo ich lebe. Doch wo die Sprache ausreicht, stellt sich wieder die andere Denke in den Weg. Wieso ich denn kein Geld für die Arbeit verlange, ob ich in Deutschland keinen Job gefunden hätte, warum meine Familie nicht mitgekommen ist, wieder ob ich verheiratet bin, wie viele Kinder ich denn habe, ob ich Moslem bin, weil ich ja Shewarcamis trage? Ich merke, dass es mich anstrengt, den Leuten immer offen und mit einem Lächeln zu begegnen (In der Kurzversion bin ich dann Christ und verheiratet und als Deutschlehrerin hier). Aber ich muss mich an die Botschafterrolle erinnern und schließlich können die Frauen im Bus ja auch nicht wissen, dass ich gestern ebendieselben Fragen mit ebendemselben Lächeln beantwortet habe und mein Interesse an dieser Art von Unterhaltung stetig sinkt.
Und sie können nicht wissen , wie das Leben in Deutschland ist. Und wollen trotzdem alle mal nach jermani - woher kommt das? Für mich ist es natürlich ein prima Lebensraum und ich möchte auf Dauer vermutlich auch gar nicht woandershin. Aber dass hier einer sein jahrelang Erspartes (denn wie viel Geld das für diese Menschen sein muss, steht in keinem Vergleich zu uns) in den Flug verpufft um dann ein zwei Wochen oder Monate in Berlin oder Frankfurt zu leben, Europa zu sehen, vielleicht noch von schlecht frisierten Menschen als Ausländer doof behandelt zu werden – das will mir nicht in den Kopf. Es wird sich keine Traube von hilfsbereiten Menschen um ihn schaaren, wenn er allein an einer Straßenkreuzung einen U-Bahn Plan zu lesen versucht, es wird ihn keiner in sein Haus bitten oder mit einem heißen Tee auf die Straße herauskommen. Ich will damit nicht sagen, dass die Menschen hier oder da besser seien – es ist eben nur eine so andere Mentalität und ich denke mir ein Pakistani hätte mehr davon, mal nach Indien rüberzugucken und mit Hindus zu sprechen, auf gute Nachbarschaft trinken (das wär was!). Oder eben runter ans Meer (denn ein Indienvisum ist leider nicht allzu einfach für Pakistanis) oder hoch in die Berge; Ich glaube dieses Land birgt Wunder und viele der Menschen, die ich getroffen habe, kennen nur ihre eigene Stadt. Und dann ihren Traum einmal nach Deutschland zu gehen.

Sonntag, 2. Dezember 2007

aufgeräumt

Ich habe den Lycheesaft weggekippt, weil er alt war. Die tristen Gedanken habe ich weggekippt, weil sie unnütz sind (es sei denn ich habe ihren Nutzen noch nicht ganz verstanden). Die Sorge, nicht ganz da zu sein, wo ich bin, nicht alles zu tun, was ich tun könnte, die hatte ich auch früher schon, hatte ich auch anderswo. Während der Schulzeit, während der Ferien – im Abi und sogar auf Artabenfahrten, die ja nun wirklich so nah am Leben dran sind, dass man nicht ins Grübeln kommen müsste! Ja, an die Jugendgruppe denke ich noch am liebsten (am zweitliebsten, entschuldige) und das sind auch die Abenteuer, von denen ich erzähle, die Lieder, die ich hier singe. Ja videl divoké kuňe (ich habe wilde Pferde gesehen) – ist zwar ein Tschechisches Lied, habe ich aber trotzdem gern dem Sohn der mysteriösen Familie beigebracht, als wir gestern so vorunshingejamt haben. Und er hats gern gelernt, hat dazu improvisiert und schließlich habe ich mich geärgert, dass uns niemand aufgenommen hat. Was hätte ich das gern noch mal angehört. Bei Haider ist es nämlich so, dass er plötzlich aufhört mit der Gitarre und meint, er kann nicht spielen, wenn es jemand von ihm erwartet. Aber ich erwarte doch nichts! Und ich bin nur so selten da. Das war jetzt exakt zwei Wochen her, als ich gesagt hatte, ich komme auf alle Fälle wieder. Als ich dann gestern ganz unangemeldet zu Tür reinkam, saßen sie da alle auf dem Boden und haben gelacht und sich gefreut, dass ich da bin. Das sind wirklich die allernormalsten Menschen, die ich bisher hier gefunden habe. Die leben da einfach mit ihren Kindern und Ehemännern und Enkeln und Hausangestellten und man kann dazukommen und nichts ist komisch. Sogar der Hausvater, vor dem ich mich vielleicht benehmen sollte oder zumindest nicht vor seinen Augen gleichmal ins Zimmer seines Sohnes verschwinden (denn das geht in dieser Kultur unverheiratet eigentlich nicht), schafft es immer wieder, dass ich mich ganz normal fühle. Wie daheim eben.

Daheim habe ich mich heute morgen schon wieder gefühlt, als Helen Plätzchen gebacken hatte (ist doch 1. Advent, ne?) und echter Kaffee in meiner Tasse war. Verrückt, was für Bilder und Erinnerungen so ein bekannter Geschmack hervorrufen kann. Aber ich mag auch neue Geschmäcker. Manche jedenfalls. Gestern habe ich ein zähes verwürztes Hühnchen gegessen und überlegt, ob ich Vegetarier werde. Das überlege ich hier etwa dreimal am Tag. Auf den Straßen hängen die halben Ziegen und Rinder vor den Läden. Ihre Köpfe liegen rum, daneben die Füße – schön gebündelt wie Karotten oder Radieschen auf dem Markt. Wenn ich in den Kochtopf gucke, kann ich darin kein Fleisch erkennen, sondern Knochen, Fett und Fellreste. Magen und Gehirn sollen ganz vorzüglich schmecken, sagt man mir. Ich frag schon nicht mehr nach, was wir da gerade essen. Essen sollte ich überhaupt weniger – das steht in keinem Verhältnis mehr zu dem, wie ich mich bewege oder was ich schaffe am Tag. Manchmal kommt es vor, dass ich nach dem Fußball (inzwischen auch mit allen Gärtnern und Fahrern und Nachtwächtern, mit Hinundherpassen und Corner und Aus) noch joggen gehe, soweit ich eben kann ohne Gefahr zu laufen, dass mich jemand aus dem Dorf sieht und gefangen nimmt. Dann merk ich erst die Kraft in mir, und möchte die ganze Nacht weiterlaufen und auf Berge klettern und in Flüsse springen. Aber das schrieb ich ja schon. Klar sind die Gewässer – so es sie denn gibt – ohnehin nicht. In die Berge kann ich vielleicht wenn wir Ferien haben. Aber das weiß man hier nie. Verplant. Ich möchte eigentlich nicht verplant sagen – das ist doch wieder ein ewiges Urteilen über die ganze Kultur und über die Rolle der Frau und über die Handhabung der Religion.
Handhabung ist ein lustiges Wort dafür. Es ist nämlich ganz oft so, dass ich im Gespräch erfahre, sie (manchmal auch er) schämt sich, dass sie nicht streng nach dem Koran lebt. z.B. doch gerne mal daran denkt, mit einem Mann zusammen zu sein oder sogar die Hand eines solchen gehalten hat. Und auf den Straßen gehen die Männer dann Arm in Arm und Hand in Hand – es hat eben doch jeder Mensch ein natürliches Bedürfnis nach Nähe, woher und wozu diese oktroyierte Geschlechtertrennung?? Ja, sagt man mir dann, und bei euch haben alle Frauen in deinem Alter Kinder – unverheiratet. Das ist nicht ganz wahr, versuch ich mich zu verteidigen, und hier haben sie doch noch früher Kinder. Dafür trennen sich eure Paare immer wieder. Ja, manche schon. Wieso ich denn nicht heiraten will, wenn ich meinen Freund doch liebe. Heiraten, jetzt?

Mich beschleicht wieder einmal das Gefühl, von unserer Kultur, von meiner Religion mehr angetan zu sein. Dabei hat alles seine Plusse und Minüsse (ist es z.B. nicht so, dass die Menschen hier einfach fröhlicher sind im Ganzen?)! Ich arbeite weiter an einem neutralen Standpunkt! Vielleicht pendelt es sich aber auch nicht ein…



(bitte um Korrektur bei Mhz von Plus und Minus)