Freitag, 9. März 2012

Traumverkäufer

Ich wache mit den Teppichklopfern auf. Vogelgezwitscher und Gebete von mindestens 3 Moschee-lautsprechern mischen sich dazwischen. Die Tage in Islamabad sind golden. Wir wohnen in einem kleinen Hostel und warten auf den Flug nach Gilgit. Auf Warteplatz 500 - der Flug wäre also Mitte April. Aber wie wir wissen, kann sich das mit der Laune der Leute, mit einem bisschen Englisch und mit Visaexpire-begruendungen schnell ändern. Wenn nicht, ist Islamabad auch ein gutes Ziel gewesen. Hunza darf ich nicht erzwingen, meine Engel nicht zu sehr fordern - die Möglichkeit mit dem Bus dorthinzufahren ist gestorben, weil Sunniten kürzlich einen Reisebus überfallen und 18 Schiiten getötet haben. Für ein paar Tage ist alles durcheinander, dann geht das Leben wieder weiter. Die Gebiete nördlich von Gilgit, wo wir hinwollen, werden immerhin als sicher bezeichnet, weil dort die moderaten Ismaelis leben. Zoheb, mein Reisefreund, ist einer von ihnen. Er kommt aus Karachi und hat gerade seinen gutbezahlten Job in den USA geschmissen, um im Hunzatal zu leben. Pakistanis, die wir beim Chaetrinken oder Samosaessen treffen, tippen sich an den Kopf: Du gehst weg von Deiner Familie, reist allein in Pakistan, willst nicht das Deutsche Mädchen an Deiner Seite heiraten - whats the maetter with you? Zo hat mir dann gesagt: Es gibt immer 10 Arten, wie man etwas tun kann, sein Leben leben, seinen Chae trinken, oder was auch immer und die Leute denken nur an diese 10 Arten, die sie kennen, aber ich will es auf die 11. Art tun! Da hab ich ihm von daheim erzählt, von Captura, Projektzeitung und von dieser meiner Lieblingsidee, wie wir uns gegenseitig unterstützen können in jeglicher Hinsicht. Und dass das Geld sicher kommen wird, wenn er weiter das tut, was er möchte - auch wenn es verrückt aussieht. Zum Beispiel von mir, einfach weil ich seine Art so bewundere. Und ich lerne immer mehr. I'm a Dreamsseller, You know? I sell dreams for free. And I capture smiles in exchange. Das ist wahr. wenn Zo jemand trifft, ist er ganz da. Ob es jemand ist, der Geld von ihm will, der Musik mit ihm macht, der sein Reisen in Frage stellt, oder ich. Er hört den Leuten zu, als würden sie ihm das allerwichtigste sagen, was es gerade zu sagen gibt und er spricht mit Menschen auf der Strasse, die Du und ich meiden würden, einfach weil wir mit der Situation nicht dealen können. Kleine Bettelkinder in der Nacht, alte Leute mit flehenden Händen, hektische Geschäftsmänner - Es ist ein grosses, liebevolles Lächeln, das jeder von ihm bekommt und das auch ich bekomme. Deshalb sind die Tage hier golden. Und weil ich in Islamabad alle Seiten Pakistans finden kann - auch wenn die Stadt erst 50 Jahre alt und dazu ein Schachbrett ist. Von Chae bis Bier, von Chalwarkameez bis skinny Jeans, von only Urdu bis only English speaking people.

Das war erst gestern, als ich beides in einem Tag hatte: Zuerst war ich bei einer Familie, die mich partout nicht gehen lassen wollte. Ich habe ein Hochzeitsalbum nach dem anderen angesehen, mit Mutter und Tochter im Wohnzimmer gesessen, wo sie wahrscheinlich immer sitzen, und auf ihren Mann gewartet, der mich in die Stadt bringen sollte. Während Usma mein Chalwarkameez bügelt, erklärt sie mir, dass muslimische Frauen für ihre Männer alles tun (kochen, bügeln, waschen...) und dass ihr Mann besser ist als andere, weil er ihr mehr Freiheiten gibt. Zum Beispiel die Freundin nebenan zu besuchen, ohne ihn vorher anzurufen. Und wenn Du weiter weggehen willst - sagen wir mal, in die Stadt? Oh, dann... Dann gehe ich mit meinem Mann - alleine nicht, sagt sie, und lacht. Ich lache zurück. Denn das ist, wie man hier mit den Dingen umgeht und was jeder versteht. Lachen. Was ist der Punkt, so etwas auszudiskutieren? Allein die Tatsache, dass ich hier bin und alleine reise und dass sie da ist und sich um ihre Familie kümmert, zeigt uns doch alle Komischheiten und Schönheiten unserer Kulturen. Und ich bin nicht hier, um darüber zu urteilen, oder zu sagen: macht es bitte anders! Nach zwei Stunden warten packe ich schliesslich meine Sachen, rufe den Mann kurz an, sage ich muss los und es tut mir leid, aber mein Freund wartet. Nein, keine Sorge, ich finde schon meinen Weg durch die Minivans, ich mach das immer so! Mutter und Tochter winken mir besorgt nach: Alles Gute... Dann geh ich mit Zo in eines der gehobeneren Cafés Islamabads. Hier finden wir Bücher, frischen Kaffee, feine englische Unterhaltungen und sehen einen Film über Frauenrechte. Das andere Pakistan, zwinkert Zo mir zu. Was war ich auch dumm zu glauben, dass das alles ist: Rootis, Chae und Hochzeitsbilder. Natürlich gibt es auch in diesem Land die ganze Bandbreite der Gesellschaft und natürlich auch hier Orte, die "wie zuhause" sind. Aber wie geht das, frage ich während des Films, warum hier alle so belesen und warum erinnert es mich so sehr an Deutschland? Das ist, fluestert Zo, weil die Leute hier Zeit haben für Filme und Bücher, weil für ihr Essen gesorgt ist und sie nicht, wie der Taxivala vorhin, um ihre 300 Rs am Tag bangen müssen. Das ist der feine Unterschied. Die Freiheit, sich nicht um das tägliche Überleben der Familie kümmern zu müssen, ermöglicht den Leuten, solche Sachen zu machen und gleichzeitig unabhängig von der sonst so engen Familienstruktur zu werden. So einfach ist das wahrscheinlich mit der Bildungsgeschichte. Und eine Zwickmühle - immernoch. Als wir im Dunkeln Nachhause gehen (ohne den genauen Weg zu wissen) frage ich Zo: Hast Du denn niemals Angst? Er überlegt. Vor Menschen eigentlich nicht - Du? Wenn Du keine Angst hast, habe ich auch keine, sage ich in meinem Kleinemaedchen-Urdu. Ein Motorrad hält neben uns an: You need a Lift? Kurzes Zögern, check check check, dann: Ja, eigentlich schon. Zu dritt rasen wir durchs nächtliche Islamabad, kommen heil an, drücken dem Motorradvala 100 Rs in die Hand und bedanken uns. Siehst Du, grinst Zo, wieder jemand, der uns einfach nur weitergeholfen hat!

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