Samstag, 11. Juni 2016

Milchkaffee

Heute bin ich ueber die Wagah Border gegangen - zurueck nach Indien, nach 3 Wochen Pakistan. Ich wollte nicht gehen, aber ich wusste auch nicht genau, was ich noch machen sollte in diesem mir so lieben, mir so widerspruechlichen Land. Zo war unterrichten in Gilgit und ich habe versprochen, nicht in die Berge zu fahren. So ging ich nochmal nach Islamabad, Freunde besuchen die bei der GIZ arbeiten.

Deutsche in Islamabad. Das war ziemlich lustig. Ein anderes Islamabad, als wie ich es kannte von Zoheb, aber auch ein bisschen aehnlich. Ich wurde von unserem Fahrer bei Daewoo abgeholt und als ich ankam und Kaffee bekam, Deutsch sprach und Buecher in Schrank sah, die ich lesen wollte, hatte ich fast wieder das Gefuehl, zuhause zu sein. Es ist ein komischer Kontrast, all das zu haben, wenn genau dieser Kaffe ein Tageslohn fuer meinen Fahrer sein koennte. Begehbare Duschen und Gespraeche ueber Politik. "Halb Zwoelf", sagte die Stimme im Fritzradio und ich wunderte mich einmal mehr, dass es nur 3 Stunden Unterschied sind, bis nach Pakistan. Der Radiosprecher fragt Fussballfans, ob sie Angst haben jetzt in Frankreich. Ich sitze in Islamabad und moechte auch gern die Nummer waeheln. "Wir wollen eure Meinung wissen", sagt der Sprecher - ich weiss meine Meinung nicht. Ich weiss nur, dass es hilft zu denken, dass die Gefahr bei eine Attentat um zu kommen statistisch gesehen viel niedriger ist, als z.b. beim Autofahren. Ich mache Milch in einer Pfanne warm, weil ich die Toepfe nicht finde und fuehle mich ploetzlich an so viele Situationen in Laendern erinnert, wo ich Milchkaffee machen wollte und irgendwas gefehlt hat. Gluecklich und zufrieden sitze ich schliesslich auf dem Sofa und lese 'How to get filthy rich in raising Asia'. Das Buch ist zum Glueck keine Anleitung zum Reichwerden, sondern die Lebensgeschichte eines Lahoris, der ein Wasserabfuellunternehmen gegruendet hat und vom Dorfjungen zum angesehenen Staedter wird. Mit meinem Hintergrund bei Roshni, den Besuchen zuhause und den vielen Familiengeschichten, die ich kennenlernen durfte, ist der Wiedererkennungswert hoch. Als ich Islamabad verlasse, bleibe ich noch eine Nacht in Lahore, bin dann aber auch froh, die Stadt zu verlassen und mit Indien ein Stueck Unabhaengigkeit zu gewinnen - sei es um einfach nur alleine den Zug zu nehmen oder irgendwo zu uebernachten und keiner weiss wo.

Ich verlangsame meine Schritte, als ich zur Grenze gehe. Nichts ist wie frueher. Kein Bookshop, kein Latif, keine Bangels - es hat sich nicht gelohnt, hier einen Laden zu machen. Vergeblich versuche ich, meine Pakistanischen Rupees loszuwerden, die ich schliesslich umtauschen muss. Noch ein bisschen quatsche ich mit den Baemten, um Zeit zu schinden. Leicht wehmuetig sage ich zu ihnen: "Hier bin ich Gast, drueben werde ich Tourist sein." Sie laecheln. Jedes gute Wort ueber Pakistan scheint balsam zu sein in dem Land, das staendig etwas falsch macht. Manchmal wuenscht man sich, gar nichts zu sagen. Manchmal lacht man einfach ueber die Unterschiede. "I cannot go to your country, you can go to mine", sagte mein Fahrer in Islamabad und, ja, wir lachten. Ich fuegte ernster werdend hinzu: "I wish it would be equal", dann wechselten wir das Gespraech. Bei den Grenzbeamten ist es aehnlich. Was sollen wir auch tun? Ein letztes Mal sage ich "Shukriya" (danke) und "Alla Hafiz" (tschuess) und verschwinde. Drueben werde ich mit "Namaste" begruesst. "Welcome to India. Achcha - You speak Hindi??, "Hindi - Urdu, ...", sage ich verwirrt. "Wo hast du das gelernt?", "In Lahore", "Wo gehst du hin?", "Nach Amritsar", "Fuer wie lange?", "Einen Tag", "Phir?" (und dann?), "Phir Dharamsala, Mc Loyd Ganj, Delhi, bas, Germany wapis, ye hae", rolle ich herunter, wie ich es schon so oft getan habe. Ich bring die Namen durcheinander, Vergangenheit und Zukunft (Kal heisst sowohl "gestern" als auch "morgen") und wuensche mir, nichts mehr beantworten zu muessen. Es ist heiss. Nicht so heiss wie sonst, aber heiss genug. Noch glaube ich, das ich nichts essen und nichts trinken darf, wegen Ramadan, aber ich bin nicht mehr in Pakistan. zoegernd nehme ich meine Wasserflasche in die Hand.

Der Immigrationofficer nimmt meinen Pass in die Hand, mustert mich, mustert meinen Pass, dann wieder mich. Lange Pause. Ich warte und hoffe, dass er nicht nach der Polioimpfung fragt, ohne die ich nicht nach Indien darf. Nichts passiert. Dann schaut er wieder auf: "Jaecobi?", fragt er unglaeubig, mit einem langgedehntem "ae". Mit sicherer Stimme sage ich "Ji" (Ja) und atme durch. Endlich etwas, das ich einfach beantworten kann.

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