Samstag, 25. Juni 2016

Mini-Erleuchtung in Leh

Wenn ich morgens aufwache, glitzert die Sonne in den Baeumen von Leh. Ueberhaupt glitzert alles, das Wasser, die Berge, die Shawls und manchal auch die Augen der Leute, obwohl (oder gerade weil?) sie so viel arbeiten hier oben in den Bergen. Je naeher man an der Stadt wohnt, desto reicher ist man, desto leichter ist auch die Arbeit – auch wenn sie immer noch nicht leicht ist. Ich versuche unsere Gehaelter in Deutschland damit zu rechtfertigen, dass auch die Mieten hoeher sind, aber allein die Tatsache, dass ich Zeit habe und reisen gehe, sagt schon alles.

Ich bin ein paar Tage in der Stadt geblieben, weil mein Koerper nicht ganz in Ordnung war. Die Erleuchtung kam nicht, als ich einsam auf einem Stein sass und die Berge anschaute - was auch schoen war. Sie kam, als ich durch die Strassen ging, Staub in der Nase, Geraeusche im Ohr von Autos und Menschen die an mir vorbei wollten - oder ich an ihnen. Sie kam, so wie Gedanken kommen, die etwas wichtiger sind, als die anderen. Ich war auf dem Weg zum Krankenhaus, nichts wissend, was ich genau habe. Ich hatte verschiedenste Apotheken besucht, wo der Arzt mal um zwei, mal um drei und mal um vier kommen sollte, meistens aber doch nicht kam. Die wenigen Aerzte, die ich sprach, konnten kaum Englisch. Also ging ich ins Krankenhaus. Auf dem Weg ueberlegte ich mir, dass es wirklich schoen ist, zu leben, dass der Koerper ein wundersames Objekt ist und so fragil zugleich. Es verunsicherte mich, nicht zu wissen, was war. Alles verunsicherte mich ploetzlich. Die Sprache, das Warten, das Laecheln und Kopfwiegen der Leute. An den Waenden des Spitals stand: "Smile and Silence is the way". Und: "There are two kinds of pain: one that hurts you and one that changes you". Nur in diesem Moment gerade wollte ich nichts philosophisches hoeren, sondern wissen, was die Reaktion meines Koerpers war auf die drei Spritzen, die ich so ploetzlich in Dharamkot bekommen hatte. Ich kam auf sonderbare Weise schneller durch die Reihen, als sonst, was mir jetzt auch nichts machte. Der Arzt sah mich kurz an, bog meine Knie, nickte zufrieden und verschrieb mir ein Antibiotikum - und noch eines gegen die Schmerzen… "Ich habe keine Schmerzen", protestierte ich und er strich laechelnd das zweite Antibiotikum von der Liste. Ich fragte ihn, ob es gefaehrlich sei, was ich habe. Nein, sagte er, mit demselben freundlich-belustigten Laecheln und nahm den naechsten Patienten dran.

Etwas beruhigt und etwas beunruhigt ging ich fort. Ich schrieb Bena, die Aerztin ist, eine Mail mit dem Ergebnis, dass ich evtl. nochmal ins Krankenhaus musste. Immerhin kostete die Fahrt hier 20 Rupies und nicht 1000, wie in Dharamkot. Ich googlte 'Abszess' und entschied nach einigen Minuten merkwuerdiger Verlaufsbeschreibungen, dass es keine gute Idee ist, Krankheiten zu googlen, die man nicht kennt. Es verunsicherte mich alles und gleichzeitig merkte ich, wie gluecklich ich mit dem Leben und den mir so lieben Menschen bin. Dass jedes Wort, das wir austauschen, mehr wert ist, als alle Projekte, die wir machen koennen. Dass alle CDs und Lieder und Fotos, die ich je gemacht habe nichts sind, im Vergleich zu einem guten Wort, dass ich zu jemandem sage.

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