Samstag, 9. Dezember 2023

Soldiner Ecke Prinzenallee

Es gibt bei uns eine Kreuzung, da ist Penny Wedding diagonal gegenüber der Stephanus Kirche. An der anderen Ecke ist eine Bar, die heißt 45°, da werden an Wochenenden Nachts immer Frauen angeschrien, die aber auch zurückschreien. Ich hab mich noch nie in diese Bar getraut. Es geht ziemlich wild zu. Der Security von Penny schaut gelangweilt und manchmal denke ich er wäre lieber Bouncer beim Berghain um sicherzustellen, wer reinkommt. Jogginghose tragen die meisten. Freundlich sind die wenigsten - aber gemessen an was? Gemessen an meinem Leben im Wedding gibt es hier immer noch sehr viele helle Momente. Vor allem wenn dann mal eine Interaktion passiert, rettet das manchmal den ganzen Tag. Heute früh, ich war auf dem Weg zum Gesundbrunnen-ICE, da lief ein Mann mit Blindenstock quer über die Kreuzung, also so richtig in die Mitte. Ich hatte Gitarre, Verstärker und alles dabei und dachte: oh nein, ich muss hin! Da hielt aber schon ein Klein-LKW, auch mitten auf der Kreuzung, ein Mann sprang raus, zwischen Penny und Kirche und half dem Mann auf die andere Seite. Dann sprach er noch eine weile mit ihm, deutete auf die Kirche und auf den Gehweg und schien zu erklären, wo hier was ist. Ich war so verblüfft dass ich nicht wegschauen konnte. Die M27 kam. Der Klein-LKW stand immernoch. Ich verpasste fast den Bus. Das Ende der Szene bekam ich nicht mit, aber der Fakt, dass die eine Person anhielt, die andere ausstieg und dann noch lange bei dem Mann stand, das hat mir die kurzen Dezembertage gleich wärmer gemacht. Ich liebe solche Tage. Und dann passieren mir plötzlich auch solche Dinge.

Das Flüstern der Welt

Japan. Ich dachte nicht, dass ich noch so viel neues sehen kann. Ich wollte auch nicht unbedingt wieder fliegen. Aber meine Tante lebt dort seit 36 Jahren, also genau seit meiner Geburt, und ich wollte schon lange für meine Mama die Reise planen. In Berlin war es kalt und ich habe eine Wärmflasche eingepackt - umsonst. Ich schreibe N. gleich am ersten Tag in Japan, dass ich die Jurte in Auftrag geben möchte. Wir kommen in Nara an und die Sonne scheint. "Nicht alle Entscheidungen müssen unter dem Gesichtspunkt, dass sie sich finanziell lohnen, getroffen werden!", sagt Sandra und spricht mir so aus der Seele. Näher am Himmel und näher an der Erde wollte ich sein - Wo die Jurte stehn wird, weiß ich aber noch nicht.

In Nara gibt es wunderschöne Tempel und Schreine und ich bete gleich morgens direkt neben anderen Menschen, die sich alle nicht nur in Ruhe lassen sondern auch sehr höflich aufeinander acht geben. Ich fühle mich wohl irgendwie, weil ich merke, dass sich hier alle im Blick haben. So angenehm. Wir räuchern neben einem Ginkobaum, reden über Religionen und zünden eine Kerzen für Großmutter an. Es tut gut, auch in der Familie so denken zu können, dass die Verstorbenen Teil von unserer Welt sind. Die ganzen zwei Wochen besuchen wir ganz viele Tempel und Schreine und essen wahnsinnig leckeres Essen überall. Manchmal gibt es sieben Gerichte: etwas rohes, etwas gekochtes, etwas gebratenes, etwas eingelegtes, etwas frittiertes und noch etwas. Meine Tante und mein Onkel wissen so viel über das Land und die Geschichte, dass ich mir gar nicht alles merken kann. Sie sprechen perfekt Japanisch und unterrichten Aikido und Tee und arbeiten an der Hiroshima University.

Man kann wahrscheinlich viel über Japan sagen. Auch, dass nicht alles perfekt ist. Zum Beispiel dass das Land kaum Flüchtlinge oder Einwanderer annimt (momentan gibt es 2% Ausländer). Aber gleichzeitig war vieles so toll. Die Teezeremonie, das Aikido, das Onsen von Spirited Away, die Umgangsformen, die Freundlichkeit. Wie es jemand wohl geht, der oder die dann nach Deutschland kommt, frag ich mich. Vor allem in den Wedding. Jeden Tag muss ich hier einen nervigen, unfreundlichen oder sexistischen Kommentar abschütteln und wenn es nur bei Worten bleibt, kann man (Frau!) schon froh sein. Im Bus ist alles eng und keiner nimmt wahr, was hinter einem passiert. Es wird geschubst und gedrängelt, sich missverstanden und geschimpft. Aber ich mags auch manchmal. Berlin halt. Nut ist es so anders von hier, wo ich jetzt bin. Wo so viel mehr Platz zu sein scheint für jeden Menschen und so viel mehr Rücksichtnahme. Die Kehrseite ist wahrscheinlich, dass jeder darauf achtet, was man tut. Wo ich die Stäbchen hinlege und wie. Man kann alles falsch machen. Die Schuhe, das warme Handtuch, die beheizten Toilettensitze und die Podusche. Alles ist komfortabel und alles ist so durchdacht. Man muss einfach nur nicht dumm sein und vor allem nicht denken, dass es egal wäre, wie man sich verhält. Ob das auf Dauer nicht anstrengend ist, weiß ich nicht. Ich weiß nur: es ist ein krasser Gegensatz zu Berlin.

Als wir wandern sehe ich vor uns den Berg Miwa. Er ist heilig, wie vieles hier, aber er ist besonders heilig. Die Gottheit des Bergs heißt Omononushi no Okami und ich finde den Klang schön. Auch die Sprache generell. Am Fuß des Bergs ist ein Gedicht in einen Stein gemeißelt:

My dear Mount Miwa! The mountain that I often think of because I long to see it again, searching for it hidden among the numerous mountains of Nara, with the road to it turning and twisting continually. It seems to have been hidden so mercilessly by the clouds.


Welche Wesen hier wohnen weiß ich nicht. Auch verstehe ich wenig von der Sprache, von der Poesie und kann ganz vieles nur erahnen. Ein älterer Mann verkauft Khakis und Mandarinen am Weg, er lächelt freundlich. Die Luft ist still, die Farben stark und viele Pflanzen hier sind mir neu. Oft ist mir, als würde die Welt einfach nur zu mir flüstern.

Donnerstag, 22. Dezember 2022

Life is simple

Es gibt von Pakistan keinen direkten Flug nach Indien. Due to the political situation, erklärt man mir. Es gäbe wahrscheinlich auch nicht genug Fluggäste, weil es zu schwierig ist, ein Visum zu bekommen für das von vielen so geliebte Nachbarland. In Sharjah werde ich nach meinem Visum für Bahrain gefragt - ich sage, ich steige nur um - falls ich eins brauche, ist es on arrival. nach langem Warten kommt jemand, der sagt, dass das stimmt. ich darf weitergehen und atme auf. Es ist doch alles so verrückt. Aber DHL leuchtet freundlich nach der Landung und ich frage mich, ob ich nach Transit oder Arrivals gehen soll. Das Personal sagt mir Transit.

Ich sitze wieder im Flugzeug, fühle mich etwas schlecht wegen der vielen Flüge, die ich nehme und genieße die leichte Nähe der Frau neben mir, die ihren Arm an meinem hat ohne dass es jemanden von uns stört. So sehr man auf nicht-Nähe zu Männern achten muss, so wenig muss man sich Gedanken machen, wenn eine Frau einen länger als gewohnt berührt - wie etwa gestern beim Fest, als eine mir völlig unbekannte Dame gefühlt ewig die Hand um meine Hüfte gelegt hatte. Ich schaue von oben auf die weichen Wolken. Der Abendhimmel liegt pastellfarben wie ein Rothko vor mir. Meine Sitznachbarin bietet mir ihr Essen an. „Danke, ich hab“, sage ich lächelnd und hole mein Flghafenessen raus, das ich von meinen letzten pakistanischen Rupees gekauft habe. Ich hatte 40 Rupees zu wenig (ca 20 Cent) und der Verkäufer winkte ab. Take it, you are our guest. Ein anderer Mensch im Café bemühte sich, für mich zu zahlen, ich sagte ich nehme etwas anderes, er sagte: in Pakistan wirst du immer eingeladen. Ich sagte: ich weiß, deswegen muss ich jetzt extra ablehnen, damit ich nicht alles geschenkt kriege. Wir lachen beide.


Als ich in Mumbai aus dem Flughafen komme, finde ich hinter einem großen Parkhaus einen Bus der zu einer Zugstation fährt. Über Google Maps schau ich, ob ich einigermaßen richtig liege. Für 60 Rupies (jetzt indische, ca 70 Cent) komme ich mit dem Zug in die Stadt - und sehe aus der Zugtür die sich wandelnde Stadt, die ich nur aus „Shantaram“ kenne. Kleider liegen zum trocknen auf den Gleisen. Chaetassen werden aus dem Fenster geschmissen und zerbrechen klickernd auf dem roten Boden. Hochhäuser neben Wellblechhäuschen. Mumbai erscheint mir riesig und hässlich und schön zugleich. In den zwei Stunden, die ich hier bin, wurde ich noch keinmal angesprochen. So anders als in Delhi. Ist es, weil ich mit dem public transport in die Stadt bin?! Oder ist es hier einfach anders als im Norden? Ich weiß es (noch) nicht. Ich weiß nur, dass ich hier gerne bin, fühle Freiheit und komme mit meinem Hindi-Urdu gut zurecht - obwohl ich so viel südlicher bin.


Die Abendluft von Goa ist warm. Ich handele, als ich ankomme, zum erstenmal und versuche herauszufinden, was angemessene Preise sind ohne geizig zu wirken. Vieles ist teurer als in Pakistan aber auch teurer als in Nordindien. Wegen den Touristen, erklärt man mir später. Und weil während Corona wenige da waren und Mohdi mehr auf lokalen Tourismus setzt.


Am nächsten Morgen laufe ich durch Vasco Da Gama (was für ein Name!) und hole mir einen Chae. Hier sind tatsächlich keine Touristen - an den Stränden wahrscheinlich eher. Meine Lippen bleiben an der kleinen heißen Tasse kleben. „You can throw it later ma’am“, sagt mir der Verkäufer grinsend und ich schaue die hübsche Tontasse wehmütig an. Als ich sie später auf den Boden schmeiße, zerbricht sie auch mit einem leichten „Klack“. Ich sehe dem zerbrochenen Ton auf dem Lehmboden nach und denke: das war wahrscheinlich der nachhaltigste To-Go Becher, den ich je hatte. Neugierig schauen die Leute mit dabei zu. Jeder sieht, was ich mache - ich bin eindeutig ein Fremdkörper hier.


Es folgen 3 Stunden Busfahrt. Ich packe brav meinen Müll in den Rucksack. Die Frau neben mir wiegt bestätigend den Kopf und lächelt dabei. Ich erreiche Arambol Nachmittags und treffe auf eine wunderbare Community, an die mich eine Freundin weitergeleitet hat. Jetzt bin ich nicht mehr so fremd. Nachts gehe ich zum erstenmal ins Meer. Mein geliebtes Meer. Ein großes schwarzes Nass vor mir, über mir leichte Blitze - hoffentlich nur Wetterleuchten - und unter mir Undercurrent. „Ich geh auch nicht weit rein, versprochen“ sage ich und überlege, ob es gefährlich ist. Unter mir zieht es angenehm, nicht zu stark, aber die Wellen schubsen mich gleichzeitig auch zum Strand zurück. Ich kenne das Meer, denke ich - oder möchte ich gerne denken. Die Natur ist immer stärker und auch über das Meer weiß ich nicht alles. Hinter mir klingen beruhigend die zarten Beats des Freedom Cafés. Kleine Krebse verschwinden überall im Sand. Das Meer ist so sanft. So warm und so schön und so wild zugleich. Ich verstehe, dass man in Goa einfach bleiben kann. Manchen sieht man gar nicht an, ob sie hier vier Tage oder vier Jahre sind. Ich singe Mantras, mache Chae und quatsche viel mit Leuten. Soll ich Weihnachten verpassen? Und den Winter? Vermisse ich Berlin?


Mein Husten wird aber auch nicht besser. Immerhin gewöhnt sich der Körper nicht ganz ans Klima und zeigt, dass es nicht nur einfach ist, hier zu sein. Ich besuche noch eine Freundin in Canacona und freue mich über die elbischen Namen der Strände: Patnem, Palolem, Talpona...


Als ich vier Tage vor Weihnachten schließliche zurück nach Vasco gehe, wird mein Flug gecancelt. In einem undurchschauberen Dickicht von Männern erkämpfe ich mir eine neues Ticket über Hyderabad statt Ahmedabad. Ich bin jetzt schon vier Stunden am Flughafen und gönne mir meinen ersten Kaffee seit drei Wochen. Chae und Kaffee kosten drinnen 300 Rupies - draußen ist ein Chae 20 Rupies. Ist es zuhause auch so ein riesen Unterschied?! Ich glaube nicht - höchstens das Doppelte. Vielleicht ist es hier so, weil Menschen, die sich Flüge leisten können und so unfassbar viel mehr Geld haben, als die meisten anderen. Riesengroße Ventilatoren fächeln von oben Luft zu und sehen dabei aus wie große Spinnen. Mir ist kalt. Aber den Husten habe ich inzwischen fast wegmeditiert. Laura hat mir noch Ayurvedische Medizin gegeben und den Tipp, wirklich täglich zu meditieren. „Ich glaube, das täte dir gut!“. Das glaube ich auch. Seit ich damals mit 16 im Bus zu einer Demo nach Florenz Kamal zum erstemal meditieren sah und es komisch fand, weil ich nicht wusste, wo er ist innerlich, ist es für mich über die Jahre so normal geworden - zum Glück. Vielleicht ist es mein Beten. Wahrscheinlich ist es am Ende dasselbe. „Die Welt ist rund“, sagt Manu, als ich ihm in Arambol tschüss sage, und: „We will see each other“. „I hope so“, sage ich und wünschte, ich hätte auch nur 20% der Gewissheit, die er zu haben scheint, als er mich strahlend anschaut und sagt: „Life is simple, Maria, it’s really simple!“.


Samstag, 10. Dezember 2022

Zurück in Lahore

Es ist glaube ich das erste mal, dass ich von Karachi nach Lahore fliege. Mit Periode und leichtem Durchfall durch alle Kontrollen. Immer genug Toilettenpapier in der Tasche, meinen langen Schal irgendwie um mich wickelnd hocke ich umständlich auf den tiefen Toiletten und überlege, wie andere Frauen das machen. Festivalstyle. Es stimmt, wir müssen mehr über solche Themen reden. Es ist schön hier. Die Domestic flights area erinnert mich an Tegel! Ein rundes Ding, in dem ich in der Stunde, die ich habe, einen Laden nach dem andern immer wieder ablaufen kann. Ich hole zweimal Kardamom Chae, der richtig lecker ist, setze mich nur zu Frauen oder auf freie Plätze, esse Lemon Pie, mache Witze mit den Verkäufern, versuche, nicht zu überdreht zu wirken. Es ist so viel Platz hier. Das meinte Zohebs Cousine wahrscheinlich mit „Mumbai will be ten times Karachi“, es sind zwar ähnlich viele Einwohner, aber ich werde um mich rum nicht die gewohnten angenehmen zwei Meter Platz haben, die hier alle ganz anständig einhalten.

Wir fliegen über die Thar-Wüste. Am Horizont zeichnen sich die Berge Afghanistans ab. Über Pakistan fliegen war schon immer wunderschön. Oben im Himalaya sieht man dabei den Nanga Parbat, den ich jetzt sehnsüchtig vermisse. Eine Stunde und sehr gutes Essen später landen wir in Lahore. Domestic flights ist hier viel kleiner. Logisch irgendwie. Ich habe drei Tage Zeit, gehe nach Roshni, wo ich super herzlich empfangen werde und mich gleich zuhause fühle. Manchmal ist es, als wäre keine Zeit vergangen. Drei von den LehrerInnen, mit denen ich vor 15 Jahren unterrichtet habe, sind noch da - eine ist inzwischen Schulleiterin und führt mich durch alle Klassen. Ich quatsche mit den Kids, tausche Lieblingsfarben aus und gehe in die nächste Klasse. Dann noch ein Chae. Am Abend treffen wir Freunde - auch bei Tee. Ich rede lange mit Farah, die ein Buch über Menstruation in Südasien geschrieben hat. Wir reden auch über was man machen kann als Frau in Pakistan. "Natürlich kannst du eine Rikscha nehmen!", sagt sie und ich kann mir vorstellen, dass sie ein relativ selbstständiges Leben führt. Es kommt eben auch genauso auf die innere Einstellung an.

Dass es doch nicht nur so einfach ist, erfahre ich gleich am nächsten morgen in der Altstadt von Lahore, als mir jemand die Hand geben will und wütend wird, dass ich sie nicht gebe (normalerweise nickt man höflich - wenn überhaupt, dass er mich einfach so anquatscht ist eigentlich schon komisch). Erst als mein Fahrer, ein großer Pathans, sagt: "Sie ist mit mir" rauscht er murrend ab. Es ist eben doch so: mit einem Mann dabei wird man in Ruhe gelassen, alleine nicht. Aber das ist auch anderswo auf der Welt der Fall. Leider. "Koi baat nahi", "macht nichts", sage ich zum Fahrer und wir essen weiter unser Frühstück: Naan Channa, mit Chae, das ich so liebe. Auch die Altstadt liebe ich sehr. Hier hat mein Blog damals angefangen zu leben, und das Buch: jede Ecke riecht anders, jede Straße klingt anders... Ein Wirrwar vieler Straßen in dem sich nur die zurechtfinden können, die hier leben. Ich besuche die wunderschöne Wazir Khan Moschee, in der ich damals mit Philipp zum erstenmal war, gebe meine Schuhe für 10 Rupies ab und genieße die Stille.

Irgendetwas verbindet mich mit Lahore - ich bin hier immer gerne. Nach drei Tagen habe ich aber auch schon viel gesehen. Für mehr müsste ich einen wirklichen Plan haben, arbeiten oder so. Allein für Ferien ist diese Stadt nicht. Ich bin wieder bei den Domestic Flights. Hole mir Kardamom Chae, der mir dieses flaue Gefühl im Magen macht aber so gut schmeckt. Lahore verlassen tut weh - vor allem nach so kurzer Zeit. Ich wüsste aber eben auch nicht, ob ich hier länger bleiben könnte. Egal wo ich wohnen würde, man ist immer abhängig vom Umfeld. Oder man hat kein Umfeld, das ist dann auch langweilig bis schwierig, weil im Zweifel keiner aufsteht und sagt: sie ist mit mir.

Montag, 5. Dezember 2022

Habichte über Karachi

10 Tage Karachi. Ich habe einen Schnupfen bei 28 Grad. Zoheb sagt, das kommt vom Staub der Ventilatoren, die hier immer laufen. Die Luft, der Tee, die Musik. Ich bin zurück - nach fast vier Jahren. Ich liebe Pakistan so sehr und gleichzeitig hab ich tausend Fragen, wenn ich um mich schaue und fast nur Männer auf der Straße sehe - zumindest nachts, Tags ist es besser. Wann und wie verändert sich eine Gesellschaft? Wie fühlt es sich für die Frauen an, so viel drinnen zu sein? Ich bleibe auch zuhause - außer wir gehen zusammen weg. Könnte ich spazierengehen? Wir wissen es nicht. „Normally you go somewhere when you have a purpose“, sagt Zoheb, „not just for fun“.

Ich weiß gar nicht, wie ich über meine Erlebnisse hier schreiben kann, ohne dass es sich aus einer privilegierten, weißen Sicht heraus komisch anhört. Vor 15 Jahren war es noch einfacher, so loszuschreiben. Jetzt habe ich die 10 Jahre Humboldt-Uni, mein kritisches Berlin und die ganze Perspektiven-Problematik im Hinterkopf. Allein dass ich hier sein kann, ist mir unangenehm. Flüge buchen, Reisen planen, während vor mir die Haushälterin den Boden wischt. Es ist alles so paradox. Ich weiß, dass es das auch in Berlin ist, aber dort sehe ich es nicht immer. Später mache ich ihr einen Tee. Wir haben gute Gespräche und mein etwas eingerostetes Urdu kommt wieder hoch. Für 2,5 Euro kriegt man in Berlin ein Naan, hier bekommt man dafür fast 30 Naan. Jeder Euro, den ich zuhause zuviel ausgegeben habe, macht mich nachdenklich. Es ist gleichzeitig aber eine herrliche Fröhlichkeit, mit der mir die Menschen hier begegnen. Voller Interesse und Fragen. Manchmal sind mir die Blicke zu lang oder zu viel, aber dann sag ich mir, dass ich wirklich sehr anders aussehen muss in meiner Umgebung. Schon im Flug war ich fast die einzige weiße. Ich beantworte die Fragen gerne. Und stelle selber welche, von denen ich weiß, dass sie funktioniert haben: wieviele Geschwister hast du? Wo bist du aufgewachsen? Bist du verheiratet? Kinder?! Ich nehme es nicht mehr so schwer wie früher - es ist einfach eine Art, sich auszutauschen.

Zum Sonnenuntergang gehe ich hoch aufs Dach, wo es ganz still ist bis auf die Geräusche der Straße und der Vögel. Das leichte Licht, die Habichte, die Gebete.

Hier oben ist es so ruhig. Als wär die Welt im Frieden. Mein tägliches kleines Stück Himmel. Es geht ja auch nicht darum, viel zu erleben momentan, sondern die Familie zu sehen. Und da erlebt man oft noch viel mehr. Morgen fliege ich nach Lahore und hoffentlich auch nach Roshni. Am Samstag geht es zurück nach Karachi und von dort aus nach Goa. Wie anders es Indien sein wird, als alles, was ich hier erlebe. Irgendwie wünsche ich für Pakistan mehr Reisende und irgendwie auch gleich wieder nicht. In 10 Tagen habe ich keinen Touristen gesehen. Aber das ist auch Karachi.

Sonntag, 27. November 2022

For the Farmers

Obwohl es ein trauriger Anlass ist, bin ich froh, dass ich fliege. Wir besuchen Zohebs Familie in Pakistan, weil es seiner Mutter nicht so gut geht. „Nimm vielleicht auch was weißes mit“, sagt Zoheb. Ich bewundere seine Ruhe und Ausstrahlung dabei. Er ist gestern schon geflogen, ich packe alleine. Suche “Wetter Karachi" und finde nur Sonne. Karachi kennt keinen Regen. “Nimm aber einen gemütlichen Pulli mit”, sagt Zoheb beim ersten Anruf, als er schon gelandet ist. Ich nicke und weiß auch schon welchen…

Ich freu mich richtig, wegzufahren - und dass wir endlich seine Familie wiedersehen. Und ja, ich freue mich auch auf Pakistan, Urdu zu sprechen, bei Kolachi zu essen, vielleicht sogar wieder in die Berge zu gehen, wenn es geht! Aber noch bin ich in Deutschland. Vom tieferem Lebenssinn ergriffen wippe ich fröhlich richtung Gesundbrunnen und suche Augenkontakt zu den Menschen. Wen kann ich hier grüßen? In meinem eigenen Land fühle ich mich oft fremder, als auf Reisen. Die morgendlichen Straßen Berlins sind fast leer - und trotzdem schauen Menschen, denen ich zunicke (wir sind immerhin zur selben Zeit hier) leise weg. Wer weiß, was ich tun könnte. Schade. Ich hätte ein „Guten Morgen“ auf den Lippen gehabt. Guten Morgen und noch so vieles mehr…


Am Flughafen geht das lustige Sprachspiel dann endlich los (ich sollte doch Barkeeperin werden!). Sobald die Leute merken, dass ich gerne Unsinn rede, sagen sie auch so lustige Sachen: bei der Security, während ich meinen sorgsam zuhause abgefüllten O-Saft leere: „ist da noch was anderes drin?!“, will die Frau am Rollband wissen. "Bisschen Vodka, gegen die Aufregung!“ sage ich augenzwinkernd. Sie lacht schallend los. „Das war aber eine dreckige Lache!“, sage ich, nachdem ich kurz abgewogen habe, ob wir schon auf der Ebene sind. Keiner sagt was, sie grinst verlegen. War die Ebene doch noch nicht da, denk ich mir, aber der nächste Versuch kommt drei Schritte weiter. Ich werde freundlich abgetastet. „For the farmers?!“, liest die nette Dame rätselnd von meinem Pulli ab. „Ja“, sage ich und überlege, welche Form der Erläuterung keine Überlänge für sie bedeutet. „Ich bin immer für die Bauern, die machen ja alles…“, fange ich an, mir im Klaren darüber, dass ich die konventionelle Landwirtschaft gerade miteinbeziehe - aber für einen Gesprächsanfang vielleicht ganz gut. „Alles..., ja…“, sagt sie, weitertastend und vielleicht darüber sinnierend, ob Bauern wirklich alles machen oder ob ich irgendwas Verbotenes bei mir habe - ich werde es nie wissen. „Und die speichern durch ihre Arbeit auch ganz schön viel Carbon im Boden, das ist dann gut gegen den Klimawandel.“ Ich beeile mich beim Sprechen wie eine Verkaufsmaschine. Vielleicht waren das jetzt zu viele Worte. „Nicht erschrecken, ich geh kurz an Ihre Hose“, sagt sie freundlich und bestimmt und ich denke, das könnte auch ein guter Satz für eine Party sein: „Nicht erschrecken…“ ich finds lustig. Aber sie hat abgelenkt. „Das ist so eine Organisation,“ versuche ich noch hinzuzufügen, „…“. Sie winkt ab. „Solange die sich nirgendwo festketten, diese Klimaaktivisten - das ist dann nämlich wirklich zu viel!“ „Ja das ist echt zu viel“, wiederhole ich halb in Gedanken halb ironisch und versuche sie auf diese Weise wieder für mich zu gewinnen. „Aber die hier sind ganz legal“, füge ich schnell hinzu und zeige auf mein Climatefarmers-Logo, wissend, dass unser kurzes Gespräch sich jetzt dem Ende neigt. „Ich wünsche ihnen noch viel Erfolg“, sagt sie knapp und kurz fühlt es sich an, als würde mir eine große Firma gehören. Dann besinne ich mich, dass mir nur der Pulli gehört - und nicht mal der. Alle Securities wünschen mir einen schönen Sonntag, als ich gehe. So unterschiedlich können die Ebenen nicht gewesen sein. Mich erinnert die Unterhaltung an meinen Biologiekollegen, der eine Stunde zu Konventionellen Landwirtschaft geben wollte und die erste Meldung, die er hatte war: "Was bedeutet Landwirtschaft?". Wir müssen noch viel mehr tun.



Beim Weitergehen kommen mir viele vertraute und auch unbekannte Gerüche entgegen. Der Duty free Shop, die Parfüme, anderes Essen. Ich freue mich plötzlich auch auf die Gerüche Pakistans! Ich höre neue Umgangstöne. „Yes, my Darling!“, tönt es hinter mir, „Please, Sweetheart.“, sagt eine fesche Dame in einem für Deutschland völlig übertriebenen Ton. Ich ahne schon, dass sie diese zuckersüßen Bezeichnungen einer ihr fremden Person zuwirft. Als ich zum dritten mal „My Darling“ höre, drehe ich mich kurz um, nur um mich zu vergewissern. Eigentlich warte ich noch auf „my Love“ und möchte das entweder irritierte oder fröhlich-überraschte Gesicht des mitte-fünfzigjährigen Security Mannes sehen, der in ihrem Rucksack wühlt für einen random Check. Strahlend frage ich sie, ob sie aus den USA käme, dort würde ich das kennen. „No, I’m from the UK“, sagt sie und zeigt mir dieselbe liebevolle Zuwendung wie eben dem Beamten. „But I know - we’re terrible like that“, sie macht dabei eine leichte Handbewegung nach unten. “No, but I really like it!”, sage ich und zwinge mich zu gehen - ich wollte sie ja nicht überfallen und muss auch noch einen Flug kriegen - nicht, dass es wieder so wie in Thessaloniki wird. „Have a wonderful time!“, sagt sie überschwänglich. Ich grinse. Ich gehe. Endlich grinsen mich auch alle anderen, Entgegenkommenden an. Meine grinse-Aura ist aktiviert. Ich tanze noch ein bisschen - aber nicht zu viel. Es ist ein feines Hin und her zwischen Interesse und Ablehnung, das ich in meiner Umgebung hervorrufe. Ich tu mein bestes, um auf der Interesse-Seite zu bleiben. Und dann tanz ich einfach für mich selber. Soviel Platz, der muss doch betanzt werden, denke ich mir, und schaue nur im Augenwinkel, ob ich die Wartenden auf den Istanbul-Flug dabei störe. Ich möchte mich so bewegen als Frau, wie ich will. Immer so - in den Platz hinein. Ich merke, wie Erinnerungen wach werden. Wie Männer sagten: Du hast dich ja auch so viel bewegt, da musst du doch damit rechnen, dass er dich angequatscht - als ich BEIM TANZEN, in einem von sich im höchsten Consent denkenden Tango-Ort, so belästigt wurde - mit meine Hand zu sich ziehen nach 5 Mal “Nein” sagen und allem. Es klingt mir nach. Du hast dich doch so viel bewegt. Klar bewege ich mich. Weil ich lebe. Ich bin gespannt, ob und wie meine Bewegung auf der Reise eingeschränkt wird. Ich erinnere mich, dass es oft stufenweise kam. Erst Istanbul, dann Pakistan. Aber innen kann man immer tanzen.


Nach dem Boarding tritt endlich die von mir heißgeliebte Ruhe des Abflugs ein: Philipp Poisel auf den Ohren, Morgensonne auf Berlin, alte Szenen im Rückblick, Leben, Gefühle, Augen zu,  Flugmodus an.

Donnerstag, 10. November 2022

Die Insel ohne Zeit

Du weißt, dass etwas nicht ganz richtig gelaufen ist, wenn du versucht, rückwärts aus dem Flughafen rauszukommen. Zurück durch die Passkontrolle, den Duty Free, beim Check-In an der Seite vorbei, komische Blicke der Security ernten und erklären, dass du irgendwie rauswillst aus dem Flughafen auf einem Weg, den keiner sonst geht. Meine ID hat nicht gereicht, um über London Luton zu fliegen - den Brexit habe ich beim Packen nicht ernst genug genommen. London Heathrow wäre vielleicht noch gegangen - oder Stansted. "It's a Point to Point Airport", erklärt mir die Dame vor dem Flugzeug, in das ich nicht einsteigen kann, "You need your passport". Ich erkenne keine Spur Mitleid in ihren Augen, nur Verwunderung. Eine kurze Stunde sitze ich noch verloren rum und suche Flüge, beschließe dann aber, dass der Flughafen kein Ort ist um zu bleiben und buche ein Hostel im Zentrum von Thessaloniki. Immerhin fährt der Bus noch dorthin, es regnet zum erstenmal seit Wochen und er kostet nur 90 Cent für 45 Minuten Fahrzeit. Es ist dunkel geworden. Jetzt kann ich endlich über Ikaria schreiben.

Die Menschen sprechen das Wort „Ikaria“ wie ein Gut bewahrtes Geheimnis aus und öffnen dabei lächelnd ihre Augen ein bisschen weiter. Es sei eine gute Idee, dorthin zu gehen - in Ikaria gibt es keine Zeit, sagen sie. Was?! Ich wundere mich und bin gleichzeitig voller Vorfreude. Als wir in Ikaria ankommen, wissen wir, was gemeint ist.


Godiwa holt uns mit Freunden von der Fähre ab. Wir fahren zum Meer, setzen uns in eine geschlossene Taverne, werden vom Eigentümer zu Essen und Wein eingeladen und baden in heißen Quellen. Wir machen keine Pläne, nur das, was gerade dran ist. Morgens schon trinken die Leute Wein und abends Kaffee. Sonja und ich machen mit - ich konnte mich eh nie daran gewöhnen bis um vier zu warten. Mit Godiwa besuchen wir lauter Menschen, die sie kennt, weil sie seit einem Jahr hier wohnt. Alle freuen sich, wenn sie kommt. „Die Menschen auf der Insel wissen irgendwie immer, wo der rote Bus steht“, sagt sie lachend. „Und dann muss ich natürlich auch hallo sagen“. Sie hat Griechisch gelernt, was auf eine Art wie Dothraki klingt, und sieht dabei auch ein bisschen aus wie Kaleesi. Ich bewundere sie. Einfach weg von Berlin, einfach im Bus leben, einfach Griechisch lernen und die Menschen hier kennen (wenn auch sicher nicht alles so einfach ist - manchmal stellt man es sich gerne so vor). „Ich kann auch nicht mehr zurück zum Alten. Wenn ich mir aussuchen kann, wie ich lebe, dann werde ich es tun“, sagt Godiwa und zieht ihr blaues Kleid an. Sonja und ich haben viel zu warm gepackt. Hier ist es für unsere Verhältnisse Sommer. In Sandalen und Badetuch gehen wir runter zum Ikarus, dem Stein, auf dem Ikarus, Sohn des Daedalus, abgestürzt ist, als er mit seinen selbstgebastelten Flügeln zu nah an die Sonne kam. Wunderschön und rot geht die Sonne auf und Sonja und ich spielen unser Lied: "Der Weg nach vorn ist immer schwerer, der Weg zurück ist immer leicht...". Ich denke an Berlin und frage mich, was mein Weg nach vorne ist.



Jeden Tag schwimme ich im Meer, jeden Tag machen wir Musik und jeden Tag essen wir wunderbare sachen: Oliven, Feta, Tomaten, Kiwi, Granatäpfel, Khakifrucht, Kaktusfrucht, Mandeln vom Baum, frittierte Auberginen, Pistazieneis. So vieles wächst hier, Farben über Farben, Blüten über Blüten - und das mitten im November. Die Insel ist voller Geheimnisse und magischer Orte. Ich kletter zu einer Frau aus Stein, die da sitzt und die Insel bewacht. Sie kommt mir unendlich weise vor. In ihrer Nähe gibt es unsterbliches Wasser, das Nierensteine rausspülen kann. Hier gibt es so vieles, was ich nicht weiß. Das Meer lehrt mich viel: Wie sich alles immer verändert. Wie die Wellen rauschen. Die Gitarre, der Wein, die Wellen, die Gastfreundschaft. All das wird vom Meer gewusst, aufgenommen und widergespiegelt. Oft ist es ruhig, aber immer hört man den leichten Rhythmus der Wellen, als wollte es sagen: schau, es geht immer weiter. Es ist gut.


Zum Abschied schenkt Godiwa uns Kühlschrankaufkleber mit internationalen Zeiten und unter „Ikaria“ eine leere Uhr. Wir vergessen, sie mitzunehmen und auf wundersame Weise bleibt sogar die Erinnerung an die Zeitlosigkeit auf diesem wunderschönen und gut bewahrten Geheimnis, Ikaria.


Drei volle Tage verbringe ich noch in Thessaloniki nach meiner Passgeschichte, treffe Hostel-Menschen, rauche meinen Tabak auf und beschließe (wie schon so oft), nicht mehr zu rauchen. Ich gehe wieder runter zum Hafen und aufs Filmfestival-Gelände, denke an die vergangenen Tage und an kommende. „Hier ist überall Musik“, sagt mir Amir vom Crossroads Hostel, mit dem ich morgens immer Kaffee getrunken und abends Gitarre gespielt habe, lächelnd. Ich nicke: es stimmt. Die Stadt ist ganz anders, als Ich dachte. Viel lebendiger, viel freundlicher und leichter. Hier kann man gut sein, denk ich mir. Die Birkenstocksandalen, die Magie, der Sommer. So sitze ich in Thessaloniki am Hafen, sehe noch mehr Boote vorbeifahren und genieße mein Leben zwischen Einsamkeit und Freiheit.

 

Durch freundlich beleuchtete Treppen-Straßen gehe ich am Mittwoch schließlich runter zum Bus. Zwei Katzen streiten sich. Es ist 4h morgens. Noch keiner ist wach außer der Bäckerei. Ein leiser Brötchenduft erreicht mich und ein Hund gähnt weit. Zum vierten Mal zahle ich 90 Cent für den Flughafenbus und steige ein. Ich gehe den richtigen Weg durch den Check-in, vorbei am Duty Free und erfolgreich durch die Passkontrollen. Als ich ins Flugzeug steige, überkommt mich das leichte, gute Gefühl des Unterwegsseins: Ich bin froh, meinen Pass vergessen zu haben, froh über die Tage, die ich verbringen durfte und die Menschen, die ich traf, dankbar für die vielen Eindrücke und alles, was die Wellen und Steine mir zugeflüstert haben.

Mittwoch, 20. Juli 2022

Huayna II - Uyuni - La Paz

Ich bin zum dritten mal in Südamerika - drei Jahre später, zum dritten Mal in La Paz. Als ich ankomme ist es, wie damals, noch dunkel. Diesmal ist Johanna nicht da, um mich abzuholen, weil sie in Deutschland ist. Ich warte, bis der Teleferico anfängt zu fahren. Durch Wolken kommt das erste Licht - in mir kommen Erinnerungen: hier war ich. Im Teleferico gondel ich hinunter von El Alto Richtung Rosario und habe den bekannten, wunderschönen Blick über die Stadt mit ihren Morgenlichtern. Ich grinse. "Sind Sie zum ersten Mal hier?" fragt nicht ein Mann auf Spanisch, der mit gegenüber sitzt. Wir sind allein und dennoch fühl ich mich sehr wohl. Diese Unaufdringlichkeit. "Nein", sage ich freundlich in meinem noch etwas brüchigen Spanisch. "Ich habe eine Schwester, die hat hier sieben Jahre gewohnt, die habe ich vor drei und vor fünf Jahren schonmal besucht". Eine Geschichte, die ich noch öfter erzählen werde und die mir offenes Willkommen einbringt, als hätte ich selbst hier gewohnt. "Ah", sagt der Mann lächelnd und mit hochgezogenen Augenbrauen, "dann kennst du dich ja aus..." und nach einer Pause: "Magst du es hier?". "Ich liebe La Paz", antworte ich grinsend, selber überrascht von meiner euphorischen Antwort. Aber so fühlt es sich an. Der Teleferico schaukelt sanft.

Zusammen mit Sonja breche ich zwei Tage später auf nach Uyuni, zu der Salzwüste, in der ich 2015 schonmal war. Diesmal sind wir gleich Teil der Gruppe (drei lustige verkaterte Engländer und ein Franzose) und ich habe keinen Hass mehr auf Touristen. Im Gegenteil, ich merke, wie mir die Leute mit Interesse entgegenkommen und wie sie selber so viele Geschichten haben. Ein Mädchen aus Schweden hebt bewundernd-strahlend ihre Augenbrauen, als ich ihr sage, dass ich Mathematik und Philosophie kombiniere. Ich denke an meine Oma, die das auch ein paar Tage vor ihrem Tod mit demselben Strahlen zu mir gesagt hat. Wir streifen durch die Wüste. Diese unwirkliche Landschaft. Kakteen gibt es keine mehr, dafür aber Wasser, ganz viel Wasser, soweit das Auge reicht. Das Salz wird davon nur etwa zehn Zentimeter bedeckt aber das reicht für einen endlosen Spiegel. Im Salz bilden sich Kristalle, die mich an meine Masterarbeit (Ebene kristallgraphische Gruppen) erinnern. "Es gibt nur 230  Raumgruppen und 17 in der Ebene", sage ich nerdig zu Sonja, die dafür seltsamerweise Interesse findet.

Wieder zwei Tage nach der Wüste beginnt das eigentliche Abenteuer, für das ich seit 2019 nochmal herkommen wollte: der Huayna Potosi. "Wenn wir das schaffen, mach ich noch ein Tattooo!", sage ich zu Sonja und denke zweifelnd an die ganzen Leute, denen ich schon gesagt habe, dass ich es versuche. "Natürlich schaffen wir das!", sagt Sonja ohne den geringsten Zweifel. Manchmal braucht man Leute, die nicht zweifeln.

Wir beginnen mit dem Aufstieg, wie damals, morgens um halb eins - nach einer Nacht mit nur wenig Schlaf aufgrund der Höhe und trotz Cocatee. Ich bin froh, dass ich kein Kopfweh habe und mich überhaupt gut anpassen konnte innerhalb der letzten Woche. Wir stiefeln los. Mit Steigeisen im Rucksack, mit Schneejacke und -Hose, mit Schokolade und Tee. Schon nach 20 Minuten möchte ich umdrehen und denke: warum mache ich das Ganze überhaupt?! Vielleicht schaffe ich es eh wieder nicht bis ganz oben. Die ganzen Zweifel kommen auf einmal. Ich bin nicht gut genug, schnell genug, stark genug. Dann denke ich aber: momentan bin ich weiter als die, die es gar nicht versucht haben. Meine Schwester sagte: Am Berg nur positive Gedanken, Maria. Ich denke an meine Oma mütterlicherseits, die mir mit windzerzausten Haaren entgegengrinst wie damals in Griechenland. Ich grinse zurück und denke an die vielen Urlaube mit ihr und die ständige Abenteuerlust in ihren Augen. Schon sind wir 200 Meter weiter gegangen. Inzwischen haben wir die Steigeisen an, die dafür sorgen, dass wir in Schnee und Eis Halt finden. Zum Glück gibt es einen Trampelpfad im tiefen Schnee. Ich hole meinen Pickel raus und trage ihn zur Bergseite damit ich alles richtig mache - so wie wir es geübt haben. Gedanken ans Nichtschaffen verdränge ich.

Eine Stunde später kommt eine Eiswand, die wirklich schwer zu besteigen ist. Als ich bei der Wand oben angelangt bin, muss ich weinen, weil ich enttäuscht von mir selber bin. "Ich bin eben nicht so stark wie andere", sage ich zu Sonja, die mich kurz tröstend in den Arm nimmt. Unser Guide gibt mir ein Taschentuch, "damit die Tränen nicht anfrieren", sagt er verlegen grinsend. Eine weitere Stunde später sage ich zu ihm: "hier bin ich letztesmal umgekehrt", was aber nicht stimmt, wie ich zwei Stunden später merke, als wir wirklich an der Stelle sind. Wir gehen stetig und trinken Tee zwischendurch. Ich mache mir gute Gedanken. Jeder schlechte Gedanke verlangsamt mich. Vor allem der, dass ich es nicht schaffen könnte, nimmt mir alle Kraft auf einmal. Ein Stückweit hinter dem Punkt, wo ich damals umgekehrt bin merke ich, dass ich es diesmal wirklich schaffen könnte. Lachend und weinend drehe ich mich zu Sonja um. "Natürlich schaffst du das!" ist ihre unbeeindruckte Antwort und ich merke, dass sie in keinem Moment daran gezweifelt hat. Sie kennt ja meine Gefühle vom ersten Aufstieg nicht, das Aufgeben, die einmalige Chance, der Schnee, wieder in Deutschland sein, an den Berg denken, mein sechs Monate blauer Zehennagel. Und jetzt bin ich hier. Jetzt ist dieser Morgen, an den ich so oft gedacht habe. An dem ich versuchen, nach oben zu kommen.

Jede Etappe und jeder Schritt zählt. Nicht nach oben schauen, nicht die anderen Gruppen in der Ferne sehen, nicht sich fragen, wie das gehen soll. Die Stirnlampen schimmern leise, langsam kommt der Morgen. Und da ist der Gipfel in Sicht, vor mir noch etwa 500 Meter. Die langsamsten 500 Meter meines Lebens. Alle paar Schritte setze ich mich hin. Die anderen zwei warten. Nur kurz können wir auf dem Gipfel sein, feiern, lachen, Fotografieren, dann müssen wir wieder runter, weil die Sonne aufgeht und der Schnee unsicher wird. 6088 Meter! Über dem Land seh ich den riesigen Schatten des Huayna Potosi. Ein großes gleichmäßiges Dreieck, das fast bis zum Horizont reicht. Neben mir die Cordillera Real. Man sieht La Paz, man sieht tausend kleine Wolken, den Regenwald in der Ferne und eine Morgenstimmung, die man sonst nur aus dem Flugzeug kennt (oder aus dem ersten Besteigungsversuch). Jeder Blick ist wunderbar und voll. Ich bin dankbar und glücklich. Der glücklichste Moment aber war kurz unterm Gipfel, als ich realisiert habe, dass ich es diesmal wirklich schaffen kann.

Freitag, 26. Juli 2019

Huayna Potosi

Ich bin die erste am Office. Ich habe außer meinem Handy nichts zum Schreiben dabei, um Gewicht zu sparen. Heute morgen wachte ich auf und meditierte kurz. Ich hatte das Gefühl, das Universum sagt: Ich gebe dir Kraft für jeden deiner Schritte. Die brauche ich, denn ich habe keine Ahnung, ob ich diesen Berg besteigen kann oder nicht. Durch den Regen gehts mit dem Minibus zur Calle Illampu, Office 747, wo ich auf die anderen warte. Noch ist mir relativ warm....

Die Ausrüstung ist mir etwas zu groß. German, der Guide den ich im Internet fand, weil ich dachte er spricht deutsch, sagt: "until tomorrow you have to gain five pounds" und lacht. Für einen Augenblick denke ich es ist wahr... German ist ein nicht so großer Bolivianer mit vertrauenswürdigen Augen, der seinen Job liebt: "I like seeing places", sagt er " how much is the flight to germany?" Ich muss rechnen. So 5-6000 Bolivianos? Ich untertreibe etwas, aber wir finden es trotzdem teuer. Ich merke, dass ich den Beschützerinstinkt der Gruppe geweckt habe: zwei Guides und zwei Franzosen. Als das Auto sich im Schneegestöber dem Basislager nähert und stehen bleibt, schieben die Jungs - ich soll im Auto bleiben, sagen sie.

Highcamp

Wir brechen mittags auf - nach langem Warten und rumsitzen, ich meditiere am See. Dann schneit es. Drei bis vier Stunden kämpfen wir uns durch Schneegestöber, Nebel und Steine. Einer von uns wird Höhenkrank und muss immer wieder anhalten. Ich bin froh um die Pausen und froh, dass es nicht wegen mir ist. Auch ich komme an meine Grenzen und versuche immer wieder durchzuatmen so gut es geht. Ich schaue in den Schnee und denke: wie perfekt er doch durch die Steinlöcher fliegt und wie gut die Welt eigentlich ist. Wir sind jetzt auf 5300 Metern. Ich weiß nicht, ob ich es schaffe morgen bis auf den Gipfel, aber wenn ich es schaffe bin ich sehr froh und stolz auf mich. Ich bin jetzt schon sehr froh. Die anderen sagten "you've got a good pace" und "you're a good teammember". Im Highcamp angekommen sagt einer: " you've got too much Energie, Maria!". I've heard that sometimes in my life, aber hier auf dem Berg bedeutet es noch viel mehr...

Leider schneit es viel zu viel in der Nacht, sodass keiner auf den Gipfel kann. Ich gehe mit German nochmal alleine raus. Wir klettern ca 50m hoch und kehren dann um. Um uns ist schönste Mond-Schneelandschaft, die ich je gesehen habe. Am selben Tag geht es zurück nach La Paz, wo mein Neffe sich freut, dass ich wieder da bin ("jetzt bin ich auch ganz lieb zu dir"). Ich trauer dem Berg noch ein bisschen nach. Soll ich nochmal gehen?


Den Sternen so nah

Mittwoch, eine halbe Woche später. Ich bin wieder als erste am Office. Die Leute von La Paz bauen langsam ihre Läden auf, es ist 8 Uhr. German kommt und kauft mir eine Saltena, die ich immer am Straßenrand gesehen hab und mich gefragt hab, wie sie schmecken. Ich ess mein zweites Frühstück im Auto und bin dankbar.

Das zweitemal Aufstieg zum Highcamp geht sehr viel besser. Ich brauche ein paar Pausen, danach bin ich aber stetig. "Como un Ave Maria" (ein Vogel, der Glück bringt) sagt German. Ich freue mich. Oben angekommen bin ich das einzige Mädchen. Wir machen viele Witze, trinken Coca Tee und essen Popcorn. Nach wenig bis keinem Schlaf (wegen der Höhe) geht es um eins los. "Schau wie schön die Sterne sind", sagt Renato, mein Mitstreiter, zu mir. Und wirklich: die Sterne sehen aus, als wären sie sehr viel näher als sonst, als würde ich mitten in ihnen stehen irgendwie. Ich ziehe mein Material an und stapfe zwischen den anderen Gruppen los. Von den ca 15 Leuten schaffen es aber heute nur zwei bis zum Gipfel. Auch ich muss bei 5900 Metern Höhe umkehren, weil ich keine Kraft mehr habe und weil der Wind zu stark wird. Passieren die meisten Unfälle nicht auf dem Rückweg? Ich spare mir mein letztes bisschen Kraft... Zurück über die Gletscherspalte, ein kurzes Kletterstück und dann nur noch bergab. Bin ich das alles wirklich hochgelaufen? Vor uns liegt die Cordillera Real und dahinter ein großes Wolkenmeer aus dem ganz langsam die Sonne aufsteigt. Es sieht aus, wie aus dem Flugzeug - nur schöner. Ich genieße eine Zeitlang noch das wahnsinnige Naturschauspiel und achte dann wieder auf meine Schritte und auf meine Beine, die Wahnsinnig wehtun. Später sehe ich, dass ein Zehnagel blau ist vom Frost. Mit dem Berg bin ich fertig, denk ich mir - es geht wieder zurück zur Familie.


Den Kindern kaufe ich von meinen letzten Bolivianos Pizza, 2 habe noch für den Minibus. Mit Waldo bespreche ich, wie ich nachts zum Flughafen komme - er fährt mich. Ein letzter Nachmittag in La Paz. Langsam geht die Sonne hinter den Bergen unter. Weit in der Ferne leuchtet unschuldig und groß der pyramidenförmige Huayna Potosi.

Dienstag, 16. Juli 2019

Electricidad

Ich werde um sieben von meiner zweijährigen Nichte mit "Mama Kaka" geweckt. Sie steht in der Mitte des Raumes und schaut mich aus großen Augen erwartungsvoll an. Für einen Moment denke ich: das wird sich schon irgendwie klären und versuche weiterzuschlafen. Dann fällt mir ein, dass ihr Papa arbeitet und ich gestern gesagt habe sie kann ja zu mir kommen, wenn sie wach ist... Nachdem ich halbschlafend alles gesäubert habe und in Ruhe meinen Kaffee trinken will, fällt mein Neffe (6) über mich her, der wilde Katze spielt. In seiner Wildheit wirft er den Kaffee über mich und geht weinend in sein Zimmer, weil er sich erschrocken hat. "Du überlegt sicher gerade, ob du wirklich Kinder willst", sagte meine Schwester in solchen Momenten zu mir.

Ich habe mich an La Paz gewöhnt. Ich habe immer zwei Bolivianos für den Minibus in der Tasche und koche rechtzeitig die nötige Menge an Wasser zum Trinken ab. Wenn ich dusche, fasse ich den Wasserhahn mit einem Handtuch an. "Das Wasser wird elektrisch aufgewährmt, also ist da ein bisschen Elektrizität, das macht aber nichts", sagt meine Schwester. Macht nichts? Ich hab auch vor kleinen Strohmschlägen Angst - das ist wie bei diesem Kinderspiel wo man die Zähne eines Krokodils runterdrücken muss und plötzlich schnappt es zu. Aber ich sollte nicht jammern: vor vier Jahren habe ich hier noch kalt geduscht oder lauwarm, aber lauwarm im Winter ist auch kalt. Heute früh haben wir meine Schwester zum Flughafen gebracht. Meine Neffe und meine Nichte wollten Rolltreppe fahren und ein Ü-Ei kaufen. Als wir dann ohne Mama im Taxi saßen auf dem Weg nach Hause protestierte die Kleine kurz, ließ sich aber von Sonne ("Suunne") und Vögeln ("Woogel") draußen ablenken und schlief urplötzlich in meinem Arm ein. Ich halte sie im ruckelnden Auto fest, dass ihr Kopf nicht anstöst und hoffe, dass mein Neffe nicht kotzt ("Ich fühl mich immer so als müsste ich gleich spucken"), während ich dem Taxifahrer in meinem Halbspanisch versuche zu erklären wo wir hinfahren...

Zuhause empfängt uns ein Berg von Avocados, Mandarinen, Orangen, Physalis und Chirimoyas. "Jetzt ist die beste Zeit für Früchte", sagt mein Schwager strahlend. Chirimoyas schmecken ein bisschen wie diese Yoghurt-Fruchtgummis, die Avocados sind super sanft und weich und die Physalis schmecken ganz leicht nach Seife. Ob das ein Eigengeschmack ist oder ob das daran liegt, dass meine Nichte neuerdings ihre Riesenseifenblasen überall verteilt weiß ich nicht. Aber ja, ich denke es ist schön, Kinder zu haben!

Montag, 8. Juli 2019

Berlin - La Paz

Ich bin wieder in Bolivien! Um so richtig weit wegzukommen von meinem Alltag und vom normalen Leben habe ich beschlossen, meine älteste Schwester mit ihrer Familie in La Paz zu besuchen. Ich glaube es hat geklappt. Ich sitze in einem wunderbaren Café und trinke Sternfruchtsaft. Was noch nicht ganz geklappt hat, ist der innere Entspannunsmodus, der sich einstellen sollte, wenn man in Ferien ist. Ob das an der dünnen Luft (auf 3600 Metern Höhe), an den Kindern oder an mir liegt, weiß ich nicht. Immer wieder denke ich an die Prüfung im Dezember - wie wahrscheinlich die meisten meiner RefkollegInnen - was ich noch vorbereiten könnte, dass es mit der nächsten Klasse gut läuft und an den Rahmenlehrplan. Dabei bin ich in Bolivien!!! Ich sitze unterm Avocadobaum, esse frisch gepflückte Pampelmusen und eine mir unbekannte Nuss und denke an den Rahmenlehrplan! Vielleicht hat der Beruf das an sich, dass er einen nicht loslässt. In der nächsten Woche möche ich auf den Huayna Potosí steigen - einen 6088 Meter hohen Berg. Da denke ich wahrscheinlich an gar nichts mehr, als einen Fuß vor den anderen zu setzten. Ich freu mich drauf und werde berichten... "Berichten" ist sicher auch so ein Wort, wo mein Neffe nachfragt: "Maria, was heißt das, berichten?" Und dann lerne ich, ein Wort nicht mit sich selbst zu erklären. Heute früh sagte ich: "Sag Bescheid, wenn es dir nicht gut geht, ja?" Dann fragte er: "wie sagt man Bescheid?", er überlegte kurz, dann hob er die Hand, sagte: "Bescheid" und lachte.


Freitag, 10. August 2018

Harmonium im Koffer

Am 8.8. komme ich wieder in Berlin an. Ich trinke Wasser aus dem Hahn, hole das Harmonium vom Kofferband und hoffe, dass der Sommer noch ganz ganz lange geht.

Berlin ist heißer als Karachi - 36 Grad. Ich ziehe den Koffer hinter mir her und hoffe dass die Sonne nicht zu stark brennt. Der Koffer mit dem Harmonium, Zohebs Winterjacke und meinem Hochzeitskleid. Schlimmer als in den Bergen kann die Sonne ja hier nicht sein, denke ich mir und gehe weiter. Ich bin sogar an der falschen Bushaltestelle ausgestiegen und so dauert der Weg anstatt 10 Minuten 25. Zuhause angekommen werfe ich mich zitternd aufs Bett und trinke ganz ganz viel Wasser. Wegen eines Hitzeschlags das Referendariat nicht antreten zu können wäre dumm. Vor allem nachdem ich in Pakistan war.

Ich denke and die Berge, die Leute und das Lachen und vermisse alles. In Karachi feierten wir am 6. 8. noch unsere Hochzeit nach ("Meet and Greet") Zohebs Schwester machte mein make-up und kümmerte sich um alles. Wir gingen in einen Frisörsalon, der - aus steuergründen - völlig versteckt war und saßen mit ihr, ihrer Mama und fünf Mädchen, die uns die Haare und Nägel schön machten für eine Stunde da. Alle giggelten. Die Mädels zauberten Maries Frisur vom Dezember wieder hervor und als Shezeen mich später schminkte, fühlte ich mich, als hätte ich noch eine Schwester gewonnen.

Am nächsten Tag musste ich schon wieder packen und am Morgen darauf früh um 5 ging mein Flug. Mein Flug mit dem Koffer mit dem Harmonium, dem Hochzeitskleid und der Winterjacke. Ich versuchte noch "fragile" daraufzukleben aber Istanbul verweigerte. Als ich in Tegel ankam, fühlte ich mich wieder wie zuhause. Ich trat aus dem Flugzeug und hatte so viel vor innerlich, Freunde die ich sehen wollte, der neue Job, Sachen auspacken, all das. Vor allem aber freute ich mich auf Zoheb, der bald nachkommen wird und auf unser neues Leben in Berlin.

Abschied von Gilgit

Zohebs Studentinnen drückten mich, eine weinte und wir lachten: emotional hae, na? Ein kurzer und sehr herzlicher Abschied von Gilgit, dann waren wir in unserem privaten Auto mit Driver und AC. Wir mussten schon früh gehen, damit wir noch vor Abendanbruch den Babusar Pass überqueren konnten, der danach geschlossen wird. Die Fahrt nach Islamabad dauert zehn bis zwölf Stunden, ich trug also meine bequemste Kleidung, kaufte Chips und füllte 5 Liter Wasser ab.

"Babusar ist wunderschön, du wirst schon merken", sagte Zoheb. Wie immer hatte er Recht. Der Pass liegt zwischen Gilgit und Islamabad und erspart einen Umweg auf dem nach Süden hin doch sehr hoppeligen KKH. Wir biegen ab. Im Rückspiegel sehe ich das stetige Lächeln unseres Drivers, dessen Name soviel heißt wie "der richtige Khan". Ich denke an den neuen Premierminister Khan und überlege, ob er den vielen Hoffnungen gerecht werden kann, die jetzt auf ihm liegen. Die Straßen sollen besser werden, die Regionen friedlicher und Gilgit-Baltistan soll endlich Wahlrecht bekommen. Erst vorgestern sind in der Nähe von Chilas 12 Schulen abgebrannt und der mühsam aufgebaute und fast 5 Jahre aufrechterhaltene Frieden wackelte. Es ist eben doch gut, wenn nichts passiert und die ruhigen Tage sind mehr wert, als wir denken.

Von Chilas bis Babusar kriegen wir einen Guard. Er ist sehr nett, schläft manchmal ein und trinkt später mit uns Tee. Auf dem Pass sehen wir am Horizont hell den Nanga Parbat aufblitzen, in der anderen Richtung Indien. Unter uns liegt eine wunderschön sich schlängelnde Straße und um uns herum stehen Ziegen, die ich für David fotographiere. Der Guard lässt uns nach dem Tee weiterziehen und fährt mit dem nächsten zu begleitenden Auto wieder zurück. Langsam wird es auch dunkel. An den Hängen leuchten kleine Lichter wie Sterne auf und in den Wolken zucken Blitze. Noch fünf Stunden bis Islamabad. Zum Abendessen gibt es Daal Channa mit ganz viel Ghee. Wir halten dazu in Abottabad - einer Stadt die auch nicht nur positive Assoziationen mit sich bringt. "Aber eigentlich ist es eine ganz normale große Stadt, in der einfach das normale Leben stattfindet", sagt unser Fahrer fast verzweifelt, als wir darauf zu sprechen kommen. Ich weiß. Man weiß es, wenn man hier ist und das Leben fühlt.

Als wir um 2 endlich da sind, empfängt uns die Familie von Zohebs Freunden so herzlich, fröhlich und warm wie bisher, als wir alle paar Jahre mal vorbeigekommen sind. Wir sitzen im Esszimmer, erzählen, singen und quatschen, bis wir schließlich ganz müde ins Bett müssen, um morgen früh nach Karachi zu fliegen.

Freitag, 3. August 2018

Die Sterne über Gulmit

Gulmit ist das kleine Dorf eine Stunde nördlich von Hunza, das damals durch den Attabad Lake halb unter Wasser begraben wurde. Inzwischen ist der See kleiner geworden und wird für Wassersport genutzt - Gulmit geht es besser. Am schönsten aber sind die Sterne nachts. Hier zwischen den Bergen gibt es nur wenig Licht und sie funkeln so als würden sie sich um sich selbee drehen. Der Himmel ist so still wie die Erde und ich vergesse, welcher Tag es ist.

Hier liegt auch der Borith Lake, wo im März 2012 das Lied "Kleiner Vagabund" entstand. Es war damals der entfernteste Punkt von zuhause für mich. "Es ist immer etwas besonderes, wenn man weiter kommt, als man vorher war", sagt Asma, mit der ich reise, und ich stimme zu, als wir Borit hinter uns lassen. Vor uns ragt die Passu Cathedral empor - ein Berg mit sehr vielen Spitzen, den ich oft auf meine Unipapiere gekritzelt hatte, wenn ich Pakistan vermisste. Es ist schön, sie wiederzusehen. Die Berge hier strahlen so eine Ruhe aus, als wäre es ihnen ganz gleich, ob ich in einem Jahr wiederkomme, oder in hundert.

Wir fahren bis zum Khunjerab Pass, der Grenze zwischen Pakistan und China. Hier gibt es weniger Schnee und mehr Leute als ich dachte. Wir sind auf 4800 Metern und ich bin ohne Jacke. "Die Gletscher schmelzen", sagen die Leute, "wegen der Klimaerwärmung". Wir bleiben nur für einen Chae und einen kurzen Walk an die Grenze, weil ein Mitreisender die Höhe nicht verträgt. Ein Mahnmal gedenkt der Soldaten, die den KKH 1969 von beiden Seiten aus erbaut hatten. Immer wieder sieht man rechts und links der Straße etwas höher im Berg Wege, die Teile der alten Seidenstraße sind. "Es gibt viele Seidenstraße", sagt Mohammed der mit uns fährt lachend. Auch, ob sie von Kabul nach China führt, ist nicht sicher. "Ist die Straße nicht wunderschön?", sagt Asma auf der Rückfahrt. Ich sehe Felsen, Steine, Sand und wieder Felsen, soweit das Auge reicht. Braungrau überall, nur ab und zu weißer Gipfel. 'Der Schwarzwald ist schöner', denke ich in einem Anflug von Heimweh... Und dennoch hat diese Landschaft etwas ungemein wildes und ergreifendes. So als ließen die Berge nicht einmal zu, dass man einen Kommentar über sie macht. Ich bin dankbar, hier sein zu können. Auch wenn es noch tausend andere Valleys und Gipfel hier gibt, die gerne ich sehen würde - Passu lehrt mich mit dem zufrieden zu sein, was ich habe.

Am Abend bin ich wieder in Gulmit bei guten Freunden von Zoheb, die mich wie eine langjährige Freundin begrüßt haben. Wir sitzen spätabends auf der Terrasse von 'Fallen Man's Heaven' und ich erzähle unsere Geschichte. Die nächsten Tage bricht eine Gruppe von ihnen auf, um eine zweiwöchige Gletschertour zu machen. Ich werde etwas eifersüchtig, so eine Tour ist ein Traum von mir. Aber was sage ich? Ich sehe die Sterne über Gulmit und bin zufrieden.


Dienstag, 31. Juli 2018

Zurück im Hunzatal

Nach 6 Jahren bin ich endlich wieder zurück in Hunza, wo Zoheb und ich im Frühling 2012 zum erstenmal zusammen waren.

Das Tal zieht sich entlang des Karakoam Highway (die alte Seidenstraße) in Richtung China und ist wunder wunderschön. Vor allem ist man plötzlich umgeben von weißen Bergen, während es im Tal selber angenehm warm ist. Unten fließt der Indus in seinen kleinen Anfängen und oben ragt der Rakaposhi mit seinen 7788 Metern in die Höhe. Dazwischen münden Gletscher in den Fluss die eine angenehme Kühle entlang des KKH verbreiten. Zoheb musste wieder nach Gilgit, wo er Englisch unterrichtet. Ich versprach ihm, nicht alleine zu trampen und blieb allein im Old Hunza Inn, wo unsere Geschichte einmal anfing. Es ist lustig wieder hier zu sein, manche kennen mich noch - aber nur sehr wenige. Vor allem gibt es viele Touristen inzwischen, die meisten sind aus Pakistan, aus Lahore, Karachi und Islamabad. Sie sind überrascht, dass ich Urdu spreche und dass ich zu Fuß gehe. Ich gehe hinauf zu Eagles Nest, dem höchsten Restaurant hier in der Gegend. Es dauert ungefähr zwei Stunden. Unterwegs werde ich neugierig angeschaut, Kinder kichern und sagen "hello" und ich sage freundlich " hello" zurück. Auf den Dächern trocknet man Aprikosen. Ich sehe die steilen Eiswände des Rakaposhi vor mir und gehe geduldig weiter. Ein Stückchen nimmt mich ein Bus mit Familie mit, die nichts dafür wollen - ist das schon trampen? Doch langsam merke ich auch die Höhe, mir ist leicht schwindelig und ich freue mich über die kurze Erholung.

Oben angekommen sehe ich die Berggipfel, als wären sie ganz nah: Diran, Ladyfinger, Duiker, Golden Peak und Rakaposhi. Ich habe sie alle so lieb, als würde ich sie schon ganz lange kennen.



Donnerstag, 26. Juli 2018

Die Stadt zwischen den Bergen

"It's wonderfull weather today!", sagt der Wachmann und wischt mir einen Stuhl sauber. Ich bedanke mich und setze mich in den Regen.

Gilgit ist die Hauptstadt der nördlichsten Provinz von Pakistan, Gilgit Baltistan, und liegt mitten in einem hohen Talkessel auf 1500 Metern. Nicht weit von hier ist der Nanga Parbat, der neunthöchste Berg der Welt und mein Lieblingsberg. Man fliegt an ihm vorbei, wenn man mit dem Flugzeug von Islamabad aus fliegt - falls es fliegt. Da gestern Wahlen waren, war ich nicht so sicher und fragte am PIA Schalter nach. "Natürlich fliegen wir", sagte der Mann von Pakistan International Airlines und klang etwas beleidigt. Bei diesem Flug weiß man nie. Wenn z. B. oben schlechtes Wetter ist, dreht das Flugzeug am Nanga Parbat einfach um und landet wieder in Islamabad. Wir fliegen also. Aus den Wolken erheben sich kurz nach Islamabad die klar umrissenen Berge des Himalayas. Bei jedem nächsthöheren Gipfel denke ich: das muss der Nanga Parbat sein! Aber wenn er wirklich kommt, dann weiß man es. Er ist höher, als das Flugzeug fliegt und ragt steil wie eine Wand rechts von uns empor. Unter uns sehe ich noch Gletscher von den anderen Bergspitzen, dann verschwinden wir wieder in den Wolken. Dieser einstündige Flug von Islamabad nach Gilgit ist glaube ich der schönste Flug der Welt!

Auch bei den Wahlen ging alles gut. Die Partei des ehemaligen Cricket Helden Imran Khan gewann überraschend die Mehrheit und das Land hofft jetzt auf großen Wandel. Jahrelang hatten sich nur die zwei korrupten Parteien PPP und PMLN abgewechselt. Auf die Frage hin, ob er nun happy ist, dass PTI gewonnen hat, sagt ein Freund strahlend: "Of course I am very very happy", und fügt nach kurzem Nachdenken hinzu: "I feel like I have more blood today!" Ich fand das einen lustigen Ausdruck. Ich mag Gilgit. Alle fragen, wie die Fahrt war und ob es mir hier gut gehe. ich sage, ja sehr - und ich habe sogar den Nanga gesehen! Eine von Zohebs Studetinnen muss lachen: "ja, wer den Nanga nicht gesehen hat ist eigentlich noch gar nicht in Gilgit angekommen."


Domestic Flights

Morgens mit einem Chai in Islamabad, Domestic Flights Area. Zwischen dem Check-out und Check-in verabschiede ich schnell noch die nette Familie, die neben mir im Flieger saß und gehe zur Immigration. Draußen wird es Tag.

"Long name", murmelt der Mann hinter dem Computer bei meiner Einreise. "Was?", "Long Name... Problem with the system", wiederholt er und grinst dabei verlegen. Ich bin die letzte in der Reihe und bange, ob ich meinen Anschlussflug nach Gilgit noch bekomme. "Sie können Irene Veronika ruhig weglassen", sage ich, um das Ganze zu beschleunigen. Wir unterhalten uns. Die Idee, dass man nichts zu tun hat mit der Person, die vor einem ist, kann man hier vergessen. "Soooo... Where did you come from?", fragt auch der Mann, der die Tür zu den Domestic Flights öffnet neugierig und hält mich länger auf, als es für die Kontrolle nötig wäre. Dann rülpst er laut und lange und spricht weiter, als wär nichts gewesen: "Your country please, Madam?". Ich antworte knapp und gehe weiter um meinen ersten Chai zu kaufen. Ich bekomme Internet und lade mein Handy.

"Which model is your phone?", fragt mich der Verkäufer. Ich dachte eigentlich, ich habe ein ganz gutes Handy... "It's too much old!", beschließt er kopfschüttelnd, "why don't your husband buy you new phone?". Später will er mich auf den Tee einladen, als Gast. Aber ich winke ab und zahle gerne. Ach Pakistan, wie schön ist es, wieder hier zu sein!

Donnerstag, 3. Mai 2018

Patience and Positivity

Von dem Moment an, wo wir wussten, dass wir heiraten, bis zur Hochzeit dauerte es etwa ein Jahr. Eigentlich sollte "Marrying Zoheb" ein Buch werden über all die komischen Kleinunterhaltungen, die ich führen musste bis es so weit war, aber nun reiht es sich in die 5 Bücher ein, die ich schreiben möchte, wenn ich alt bin - oder mehr Zeit habe.

Es fing an mit einer langen Liste vom Standesamt, was man alles für Papiere braucht, wenn man außereuropäisch, in unserem Fall nach Pakistan heiraten will. Es war Januar 2017 und ich stand schon seit vier in der Kälte, um überhaupt einen Termin zu kriegen. Die Frau war sehr nett und ihr Name war vielversprechend, übersetzt 'Beschützerin'. Als ich im März in Karachi im Wohnzimmer von Zohebs Eltern sitze, und seinem Vater erkläre, was wir alles von welchen Ämtern brauchen, sagt er: "Germany seems to be an interesting country". Wir müssen lachen. Erst beantragt man die Ehe, dann das Visum. Alles zusammen sind es Berge von Papieren, die man nur ausfüllen kann, wenn auch die Basis der Beziehung stimmt und gerade nichts am Wanken ist. "Well have to make patience and positivity our best friends now", sagte Zoheb, als wir im Mai 2016 in Islamabad saßen und beschlossen, zusammenzubleiben.

Am 3. Juli sitze ich im Berggasthof Obersee in den Schweizer Alpen, während Zoheb in Karachi seinen Visaantrag im Konsulat einreicht. Wir chatten. Alles ging gut - bis auf ein weiteres 9-Seiten Dokument, von dem wir nichts wussten und das 300 Euro kostet. "Jetzt sind wir finanziell quitt", sagt er. "Stimmt", sage ich. "Man muss das sportlich sehen", sagt mein Vater. Patience and Positivity. Am 14.7.2017 ist alles eingereicht. Gleichzeitig erhalte ich einen Brief vom Kammergericht Berlin, den mir Sarah am Telefon vorliest: ich werde höflichst darum gebeten, Flugtickets, Bilder, Skype- und Emailprotokolle und was sonst noch unsere Beziehung bestätigen könnte hinzuzufügen. Die daraus entstehenden Unannehmlichkeiten täten ihnen leid. Toll. Zwei weitere Tage Arbeit. Andererseits arbeite ich gerne an unserer Geschichte, dachte ich mir. Auch der Titel meiner Masterarbeit, inwiefern Bilder Beweiskraft haben können, hat hier eine neue Bedeutung bekommen :).

Am 15. Dezember 2017 heiraten wir. " Unsere" Standesbeamtin leitet auch die Zeremonie und ich springe in die Höhe, als ich das höre. 80 Freunde und Verwandte sind da, Zohebs Freunde kommen aus den USA und aus England angereist, Gigi leitet das Open Mic, Thomas übersetzt. Zo's familie konnte leider nicht kommen, aber wir versprechen ihnen, in Pakistan auch noch ein Fest zu machen. Es folgt also noch Wedding Teil 2!

Dienstag, 15. August 2017

Abu Dhabu

Wir treffen uns in Abu Dhabi. Zoheb, den ich vor 5 ½ Jahren in Lahore kennengelernt habe (mit dem ich vier Wochen in den wunderschönen Norden Pakistans gereist bin), und ich. Die Verlobungsringe kamen gestern mit Fedex aus den USA. Das letztemal, als wir uns außerhalb Pakistans trafen, war es in Sri Lanka, dieses mal ist es Tanzania – die Welt wächst zusammen.

Von Abu aus nehmen wir den gleichen Flug nach Daressalam, wo wir Bena, Msechu und Eli treffen, dann gehen wir nach Sansibar. Ich habe herausgefunden, dass „Sansibar oder der letzte Grund“ gar nicht so viel mit der Insel zu tun hat und beschlossen, es doch nicht zu lesen. Stattdessen lerne ich Lieder von Element of Crime und bereite mich auf die nächste CD vor, die ich dann bei Vincent in Freiburg aufnehmen möchte. Wenn ich mir vorstelle, auf Sansibar unter einer einsamen Palme Element of Crime zu singen, muss ich grinsen.

Wenn wir zurückfliegen, haben wir wieder ein gemeinsames Flugzeug, so ist der Plan. Etihad hat beschlossen, nicht mehr in Airberlin zu investieren und so hat Airberlin heute gemeldet, dass sie Insolvenz beantragen wollen. Aber die Flüge fliegen trotzdem, zum Glück! Wir sind selber überrascht von der Romantik unseres Plans, aber ich finde es irgendwie passend, dass unsere Geschichte nach 5 Monaten sich-nicht-sehen und wahnsinnig viel Papierkram machen genauso aufregend weitergeht, wie sie auch begonnen hat: mit lieben Freunden, besonderen Orten und ein paar Faktoren, die uns immer wieder bangen lassen, ob auch alles klappt.

„Mach dir keine Sorgen“, sagt Zoheb dann. Für die Beantragung seines Visums in Deutschland musste er den A1 Test machen. Eine weitere Hürde für uns, aber im Nachhinein eine wirklich hilfreiche. „Bis Sonntag dann in... Abu Dhabu“ sage ich. Manchmal weiß ich selber auch nicht mehr, wie all diese Orte heißen.

Samstag, 25. Juni 2016

Mini-Erleuchtung in Leh

Wenn ich morgens aufwache, glitzert die Sonne in den Baeumen von Leh. Ueberhaupt glitzert alles, das Wasser, die Berge, die Shawls und manchal auch die Augen der Leute, obwohl (oder gerade weil?) sie so viel arbeiten hier oben in den Bergen. Je naeher man an der Stadt wohnt, desto reicher ist man, desto leichter ist auch die Arbeit – auch wenn sie immer noch nicht leicht ist. Ich versuche unsere Gehaelter in Deutschland damit zu rechtfertigen, dass auch die Mieten hoeher sind, aber allein die Tatsache, dass ich Zeit habe und reisen gehe, sagt schon alles.

Ich bin ein paar Tage in der Stadt geblieben, weil mein Koerper nicht ganz in Ordnung war. Die Erleuchtung kam nicht, als ich einsam auf einem Stein sass und die Berge anschaute - was auch schoen war. Sie kam, als ich durch die Strassen ging, Staub in der Nase, Geraeusche im Ohr von Autos und Menschen die an mir vorbei wollten - oder ich an ihnen. Sie kam, so wie Gedanken kommen, die etwas wichtiger sind, als die anderen. Ich war auf dem Weg zum Krankenhaus, nichts wissend, was ich genau habe. Ich hatte verschiedenste Apotheken besucht, wo der Arzt mal um zwei, mal um drei und mal um vier kommen sollte, meistens aber doch nicht kam. Die wenigen Aerzte, die ich sprach, konnten kaum Englisch. Also ging ich ins Krankenhaus. Auf dem Weg ueberlegte ich mir, dass es wirklich schoen ist, zu leben, dass der Koerper ein wundersames Objekt ist und so fragil zugleich. Es verunsicherte mich, nicht zu wissen, was war. Alles verunsicherte mich ploetzlich. Die Sprache, das Warten, das Laecheln und Kopfwiegen der Leute. An den Waenden des Spitals stand: "Smile and Silence is the way". Und: "There are two kinds of pain: one that hurts you and one that changes you". Nur in diesem Moment gerade wollte ich nichts philosophisches hoeren, sondern wissen, was die Reaktion meines Koerpers war auf die drei Spritzen, die ich so ploetzlich in Dharamkot bekommen hatte. Ich kam auf sonderbare Weise schneller durch die Reihen, als sonst, was mir jetzt auch nichts machte. Der Arzt sah mich kurz an, bog meine Knie, nickte zufrieden und verschrieb mir ein Antibiotikum - und noch eines gegen die Schmerzen… "Ich habe keine Schmerzen", protestierte ich und er strich laechelnd das zweite Antibiotikum von der Liste. Ich fragte ihn, ob es gefaehrlich sei, was ich habe. Nein, sagte er, mit demselben freundlich-belustigten Laecheln und nahm den naechsten Patienten dran.

Etwas beruhigt und etwas beunruhigt ging ich fort. Ich schrieb Bena, die Aerztin ist, eine Mail mit dem Ergebnis, dass ich evtl. nochmal ins Krankenhaus musste. Immerhin kostete die Fahrt hier 20 Rupies und nicht 1000, wie in Dharamkot. Ich googlte 'Abszess' und entschied nach einigen Minuten merkwuerdiger Verlaufsbeschreibungen, dass es keine gute Idee ist, Krankheiten zu googlen, die man nicht kennt. Es verunsicherte mich alles und gleichzeitig merkte ich, wie gluecklich ich mit dem Leben und den mir so lieben Menschen bin. Dass jedes Wort, das wir austauschen, mehr wert ist, als alle Projekte, die wir machen koennen. Dass alle CDs und Lieder und Fotos, die ich je gemacht habe nichts sind, im Vergleich zu einem guten Wort, dass ich zu jemandem sage.

Freitag, 17. Juni 2016

Paradiesvoegel

Die Lichter der Stadt gehen an. Dharamkot ist ein kleines Doerfchen am Fusse des Himalayas, das zwischen zwei hohen Bergen liegt, nicht im Tal sondern eher am Hang. Unter uns ist Dharamsala, wo der Dalai Lama wohnt und wo viele Tibeter zuhause sind. Morgens hoert man die Voegel zwitschern und abends singen die Leute in den Strassen, entweder Mantras oder Bollywoodlieder. Ich musste sofort an Philipp denken, als ich hier herkam, der mir vor acht Jahren begeistert gesagt hat, wenn du in der Gegend bist musst du nach Himrachal Pradesh gehen, das ist das schoenste auf der Welt!!!

Ich bin kein Fan von Superlativen, aber als ich gestern am Wasserfall war, kam mir genau der Gedanke: Das ist das Schoenste, was ich je gesehen habe! Da war nichts. Nur ein kleiner Teastall, riesige Steine, glasklares gruenes Wasser und eine weite neblige Landschaft in der Tiefe. Ich hab gebetet und war dankbar, das ich so weit gekommen bin. Hier kann man alles machen - es ist auch ein bisschen komisch. Von Vipassana ueber Shamanic Sessions, Rebirthing, all kinds of Yoga bis zu Ayuwaska nehmen oder alles zusammen. Viele Israelis sind hier, natuerlich, aber auch einige Deutsche, Franzosen, Inder und Englaender. Es ist lustig, sich zu treffen und die ganzen Reisegeschichten zu hoeren. Ich verliere langsam meine Vorurteile gegenueber Touristen - alle sind anders, ich bin eine davon. Mein Handy wurde fuer einen Tag geklaut und kam dann wieder zu mir zurueck. Ich war zwei Tage krank, habe drei Spritzen bekommen und wurde von Hannes quer durchs Dorf getragen. Langsam kann ich wieder Chae trinken und ich merke, dass es Zeit wird, aufzubrechen. Die zehn Tage Einfuehrung in den Buddhismus habe ich gecancelt, weil ich weiter moechte nach Leh (das ist noch mehr in den Bergen). Einer sagte zu mir beim Teetrinken: Why should we sit inside and breathe if we can see this amazing Nature, und deutete auf die Berge vor uns.

Am schoensten - nach der Natur - sind die vielen verschiedenen Kleider. Die Frauen tragen Shalwarkameez, die Touristinnen wilde Seidenroecke und Traegertops. Mit ihren Federn in den Haaren, Armbaendern, Tatoos aus diversen Stationen ihres Lebens und meistens einem bunten Punkt in der Mitte ihrer Stirn sehen sie manchmal aus wie etwas verlorene Paradiesvoegel. Ich trage jeweils abwechselnd eines meiner fuenf Shalwarkameez und kriege viele Komplimente und Fragen, woher ich das habe, warum ich Hindi spreche und warum ich in Pakistan war. Es ist schoen, die Geschichten zu verbinden. Und es is schoen, Geschichten zu erzaehlen.

Samstag, 11. Juni 2016

Milchkaffee

Heute bin ich ueber die Wagah Border gegangen - zurueck nach Indien, nach 3 Wochen Pakistan. Ich wollte nicht gehen, aber ich wusste auch nicht genau, was ich noch machen sollte in diesem mir so lieben, mir so widerspruechlichen Land. Zo war unterrichten in Gilgit und ich habe versprochen, nicht in die Berge zu fahren. So ging ich nochmal nach Islamabad, Freunde besuchen die bei der GIZ arbeiten.

Deutsche in Islamabad. Das war ziemlich lustig. Ein anderes Islamabad, als wie ich es kannte von Zoheb, aber auch ein bisschen aehnlich. Ich wurde von unserem Fahrer bei Daewoo abgeholt und als ich ankam und Kaffee bekam, Deutsch sprach und Buecher in Schrank sah, die ich lesen wollte, hatte ich fast wieder das Gefuehl, zuhause zu sein. Es ist ein komischer Kontrast, all das zu haben, wenn genau dieser Kaffe ein Tageslohn fuer meinen Fahrer sein koennte. Begehbare Duschen und Gespraeche ueber Politik. "Halb Zwoelf", sagte die Stimme im Fritzradio und ich wunderte mich einmal mehr, dass es nur 3 Stunden Unterschied sind, bis nach Pakistan. Der Radiosprecher fragt Fussballfans, ob sie Angst haben jetzt in Frankreich. Ich sitze in Islamabad und moechte auch gern die Nummer waeheln. "Wir wollen eure Meinung wissen", sagt der Sprecher - ich weiss meine Meinung nicht. Ich weiss nur, dass es hilft zu denken, dass die Gefahr bei eine Attentat um zu kommen statistisch gesehen viel niedriger ist, als z.b. beim Autofahren. Ich mache Milch in einer Pfanne warm, weil ich die Toepfe nicht finde und fuehle mich ploetzlich an so viele Situationen in Laendern erinnert, wo ich Milchkaffee machen wollte und irgendwas gefehlt hat. Gluecklich und zufrieden sitze ich schliesslich auf dem Sofa und lese 'How to get filthy rich in raising Asia'. Das Buch ist zum Glueck keine Anleitung zum Reichwerden, sondern die Lebensgeschichte eines Lahoris, der ein Wasserabfuellunternehmen gegruendet hat und vom Dorfjungen zum angesehenen Staedter wird. Mit meinem Hintergrund bei Roshni, den Besuchen zuhause und den vielen Familiengeschichten, die ich kennenlernen durfte, ist der Wiedererkennungswert hoch. Als ich Islamabad verlasse, bleibe ich noch eine Nacht in Lahore, bin dann aber auch froh, die Stadt zu verlassen und mit Indien ein Stueck Unabhaengigkeit zu gewinnen - sei es um einfach nur alleine den Zug zu nehmen oder irgendwo zu uebernachten und keiner weiss wo.

Ich verlangsame meine Schritte, als ich zur Grenze gehe. Nichts ist wie frueher. Kein Bookshop, kein Latif, keine Bangels - es hat sich nicht gelohnt, hier einen Laden zu machen. Vergeblich versuche ich, meine Pakistanischen Rupees loszuwerden, die ich schliesslich umtauschen muss. Noch ein bisschen quatsche ich mit den Baemten, um Zeit zu schinden. Leicht wehmuetig sage ich zu ihnen: "Hier bin ich Gast, drueben werde ich Tourist sein." Sie laecheln. Jedes gute Wort ueber Pakistan scheint balsam zu sein in dem Land, das staendig etwas falsch macht. Manchmal wuenscht man sich, gar nichts zu sagen. Manchmal lacht man einfach ueber die Unterschiede. "I cannot go to your country, you can go to mine", sagte mein Fahrer in Islamabad und, ja, wir lachten. Ich fuegte ernster werdend hinzu: "I wish it would be equal", dann wechselten wir das Gespraech. Bei den Grenzbeamten ist es aehnlich. Was sollen wir auch tun? Ein letztes Mal sage ich "Shukriya" (danke) und "Alla Hafiz" (tschuess) und verschwinde. Drueben werde ich mit "Namaste" begruesst. "Welcome to India. Achcha - You speak Hindi??, "Hindi - Urdu, ...", sage ich verwirrt. "Wo hast du das gelernt?", "In Lahore", "Wo gehst du hin?", "Nach Amritsar", "Fuer wie lange?", "Einen Tag", "Phir?" (und dann?), "Phir Dharamsala, Mc Loyd Ganj, Delhi, bas, Germany wapis, ye hae", rolle ich herunter, wie ich es schon so oft getan habe. Ich bring die Namen durcheinander, Vergangenheit und Zukunft (Kal heisst sowohl "gestern" als auch "morgen") und wuensche mir, nichts mehr beantworten zu muessen. Es ist heiss. Nicht so heiss wie sonst, aber heiss genug. Noch glaube ich, das ich nichts essen und nichts trinken darf, wegen Ramadan, aber ich bin nicht mehr in Pakistan. zoegernd nehme ich meine Wasserflasche in die Hand.

Der Immigrationofficer nimmt meinen Pass in die Hand, mustert mich, mustert meinen Pass, dann wieder mich. Lange Pause. Ich warte und hoffe, dass er nicht nach der Polioimpfung fragt, ohne die ich nicht nach Indien darf. Nichts passiert. Dann schaut er wieder auf: "Jaecobi?", fragt er unglaeubig, mit einem langgedehntem "ae". Mit sicherer Stimme sage ich "Ji" (Ja) und atme durch. Endlich etwas, das ich einfach beantworten kann.