Freitag, 15. Februar 2008

Das lustige Botschaftsspiel

Wieviele Tage sind schon wieder vergangen? Wochen? Entschuldige, dass ich so wenig schreibe – das bedeutet nur, dass die Zeit intensiver wird, dass ich nun alles auf einmal wahrnehmen will und nichts davon runterschreiben kann in klaren Sätzen. Ich weiß, dass ich schon dabei bin, mich zu verabschieden von diesem Ort – obwohl es noch zwei Wochen sind (aber wir wissen nun ja auch, was zwei Wochen sind!). Das merke ich daran, dass mir auf einmal alles unheimlich wertvoll wird, dass ich Ideen hab, was ich noch alles in den Unterricht bringen könnte, dass ich mir denke „wieso eigentlich gehen?“. Aber ich erinner mich auch gut an meine Zweiflerzeiten und wie ich mich für Indien entschieden habe. Außerdem habe ich mal gehört, wenn man einen Entschluss gefasst macht man das auch so (hä?).
Das letzte Mal, als ich wieder dachte, das geht doch alles gar nicht, war am Dienstag, als ich in Islamabad vor der Indischen Botschaft stand mit der Botschaft, dass mein Pass nicht mehr reicht (Haltbarkeitsdatumstechnisch) für das Visum. Aber das schöne am Leben ist ja, dass die Wege, die zu gehen sind, meist ganz offensichtlich da liegen und man sich nur noch dafür entscheiden muss. Ich verstaute also meinen gesunkenen Mut in der guten Chwarcamistasche und machte einen langen Spaziergang bei Vogelgezwitscher und Sonnenschein (übrigens mein erster echter Spaziergang seit über vier Monaten, wie meine Beine später meldeten) durch das Botschaftsviertel zu den Deutschen. Mit meinem Urdu hatte ich es relativ leicht bei den Beamten, weil sie gleich begeistert waren, dass ich sie in ihrer Sprache anspreche (später merkte ich, dass sie froh waren, dass ich sie überhaupt anspreche und hatte es gar nicht mehr so leicht, weil sie dann - um länger mit mir zu schwätzen - meinten, ich könne hier nicht durch) und so war eigentlich jede Sicherheitskontrolle eine lustige Begegnung. Als ich die Tür zur Visaabteilung der Deutschen Botschaft öffnete, wurde aller Sinkemut von einer enormen Heimatswelle überspült. Ich wusste ja gar nicht, wie Deutsch ich im Grunde bin. Oder um es anders zu nennen, Wie sehr das Land, in dem ich aufgewachsen, eigentlich auch meine Familie ist. Natürlich hatte ich die Botschafterinnen und Botschafter zuvor noch nie gesehen, doch ich kannte ihre Sprache, ihre Gestik, ihre Reaktion, ihre Denkweise. Und weil mir das alles so sehr vertraut vorkam, und die Frage groß war, was ich denn hier ganz alleine täte, wurde ich richtig fröhlich. Am Abend ging ich mit einer Tasche voller Pässe aus dem Botschaftsviertel um einen davon, der bis nächstes Jahr noch hält, am nächsten Morgen den Indern zu geben. Ich kam mir vor, wie in einem dieser Spiele, wo es immer bestimmte Dinge erledigen muss, um vor der nächsten Aufgabe zu stehen. Auf diese Weise bekam ich nicht viel von Islamabad zu sehen, aber ich denke mir, es ist eben auch eine Stadt. Im Unterschied zu Lahore ist die Luft sehr viel besser, man sieht um sich herum die Vorläufer des Himalayagebirge (ist das richtig?), ein wenig mehr Ausländer (das mag an den Botschaften liegen) und etwas weniger Frauen auf den Straßen. Das Essen ist scharf und fett wie immer und die Gastfreundschaft nimmt gegen Norden sogar noch zu, sagt man sich.

Am ärgsten ist für mich wahrschienlich der Abschied von der Schule. Es ist so merkwürdig, weil ich das Gefühl habe, dass meine Umgebung, die Lehrer, die Sprache, die Mentalität, sogar die Religion, die von der Gesellschaft zum Moralrohrtstock geflochten wurde (geht das?), das „thike“ sagen und das Willenzurückschrauben, die Fröhlichkeit („why do you worry, Maria, there is nothing to worry about!“) und Herzlichkeit Teil von mir geworden sind. Inzwischen bin ich jedes meiner Kinder, bin Muqqadaz, die immer nur grinst und Sajid, der weint damit man nach ihm schaut, bin Shehbaz, der schon auf Englisch fluchen kann und Ehsan, der alles versteht aber lieber Blödsinn macht als mit. Vielleicht sollte ich eher sagen, ich find mich in jedem von ihnen wieder. Und schließlich denke ich sogar, ich möchte doch Lehrer werden, weil es so schön ist. Dann habe ich aber die Momente vergessen, als ich vor der Klasse stand und merken musste, dass niemand aufgepasst hat in den letzten fünf Minuten. Als ich innerlich die Wände hochging, weil man es ja doch persönlich nimmt, wenn einem nicht zugehört wird. Und dann von “Teacher Pencil!” zu “Teacher raise” (Eraser!! There is no raise, only the Sun raises) zu „Teacher likliah” (I have finished) bis der Kopf wehtut. Schließlich muss ich mir dann sagen, dass die Kinder ja nicht aus bösem Willen ständing durchnanderrufen und rumblödeln, sich hauen und Aufmerksamkeit wollen. Und dann hatte ich es auch schwer, zwischen Unterricht und chuti (off) zu trennen und die Kleinen liefen in manchen Stunden genauso zu mir um mich zu knuddeln, wie heute morgen vor der Schule. Da hatten sie irgendwie erfahren, dass ich nach Indien gehen werde, hingen an meinen Kleidern (dazu eignet sich Chewarcamis übrigens prima, sehr zu empfehlen!) und jammerten „nei jane, nei jane“ (geh nicht, geh nicht!). Und nun fragen sie mich jeden Tag, wann ich denn gehe und warum ich denn gehe. Was soll man denn da sagen? Noch besser ist es bei den Erwachsenen, die mit vorwurfsvoller Miene fragen, ob ich ihr Land denn nicht mag und wenn ich ihnen dann mit tiefer Verbeugung sage Pakistan sei wunderbar, dann sagen sie gut, wieso bleibst Du nicht hier, heiratest, kaufst Dir ein paar Büffel und lebst mit uns? Und das meinen sie auch so. Ich sage, ich muss erst noch studieren und viel lernen. Aber dann kommst Du doch wieder, oder? Ja, vielleicht, es ist halt auch ein bisschen weit von Deutschland nach hier! Ja? Wie weit denn? So weit eben, dass man nicht wissen kann, ob man diese Reise noch einmal macht. Dass ich auch gerne noch andere Länder dieser Erde sehen würde, wenn es mir möglich ist zu reisen, sage ich in dieser Unterhaltung besser nicht, denn mir geht es ja gut in Pakistan, wieso sollte ich woanders leben wollen?

Ich habe gehört, dass eure Schlagzeilen sich gerade ausgeschlagen haben, über dieses Land. Ich weiß auch nicht, ob es in der Politik oder bei den Leuten zur Zeit viel Veränderung gibt. Am Montag und Dienstag ist chuti wegen Wahlen aber ich habe noch niemanden getroffen, der hingeht - und ich frage beinahe jeden!

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