Montag, 18. Februar 2008

wieder die Altstadt

Freitags sind wir wie üblich beim Filmabend des Punjabclub mit anschließender Übernachtung bei Lukas (dem österreichischen Volu beim Kulturveranstalter Dankar). Das war nun zwar erst das 3. Mal, aber dafür auch in Folge und so darf ich schon von einer Regelmäßigkeit sprechen – vor allem wenn man bedenkt, dass wir in Pakistan sind. Das geht dann so, dass wir uns zu viert in Assalams klappriges Auto drücken, in Defence aussteigen um uns eine Rickscha anzuhalten, die erstmal auf 120 Rupies (etwa 1,3 euro) runtergehandelt wird (Do sao! Eek sao, bas! Eek sao paccas Usw usf) und dann wird losgerattert. Am Burkatmarket wird ausgestiegen, Samir hat die Tür in der Hand und gibt sie dem Fahrer. Ein anderer zahlt. 100 Rupies sind inzwischen richtig viel Geld! Wir holen uns eben noch ein viel zu süßes Fruitshake und einige geröstete Kichererbsen oder Maiskörner, um diese während dem Film zu knuspern. Mit dem Aschegeschmack vom Warmmachen und den Pakistanischen Gewürzen ist das mehr als eine Alternative zum Popcorn der Kinos daheim. Die Filme sind gut, das merke ich daran, dass ich richtig drinn bin und würde nicht draußen die Moschee beten oder vor dem Fenster eine Ansammlung von Menschen sein, die für die Fahrradpartei (Musharraf) demonstrieren und unter „Insh Allah“ Rufen ein Feuerwerk veranstalten als gäbe es eine Hochzeit, dann hätte ich fast vergessen, dass ich in Pakistan bin. Es folgt ein Gespräch mit dem Filmvorführer (der das ehrenamtlich macht) über Kultur in Pakistan, über den Lehrberuf und schließlich wieder über Politik, was mir ganz gelegen kommt. Ein paar Dinge habe ich nun schon verstanden: Trotzdem kaum einer wählen geht, bleibt es spannend. Wenn nämlich die Fahrradanhänger die Wahlen gewinnen, so müsste es Aufstände im ganzen Land geben, weil hinter Musharraf nicht mehr als 20 % der Leute steht. Benazirs Partei (mit dem Tieger) hat dafür 60 oder manche sagen auch 80% hinter sich und so wäre alles andere Manipulation der Wahlen, was zu erwarten ist. Am ärgsten ist aber noch die Propaganda: riesige ernste Männergesichter mittleren Alters schauen von den vielen grünen Plakaten zu einem her, dass man den Blicken gar nicht mehr ausweichen und sich höchstens noch an den lustigen weißen Zeichen der Parteien freuen kann. Wenn das Geld mal in die Bildung fließen würde… Da bin ich schon wieder beim Lehrersein und erzähle dem Filmzeiger von denen, die während dem Unterricht ihr Motorrad putzen. Yeah, thats pretty often the case, meint er und Anum sagt später noch: being a teacher is for most of them only a matter of killing time in Pakistan and für some women it’s the only possibility to be outside the house. Das erklärt mir einiges.

Der Besuch beim Chan-bhai wird heute ausgelassen, da es schon spat ist und wir morgen früh in die Altstadt wollen. Im Motorrad-Rickscha Corso geht es quer durchs nächtliche Lahore. Ich wunder mich, wie Lukas sich hier zurrecht findet und wickel den Schal enger, sodass ich nur an roten Ampeln von einzelnen als Ausländer registriert werden kann. Den Dumatta (Kopftuch) mag ich inzwischen wirklich – wie so viele Dinge, die ich Anfangs für nichts als unpraktisch hielt.
Um halb sieben machen Helen und ich Cae um die Jungs zum Aufstehen zu bewegen. Die Sonne ist schon aufgeganngen, sagt mir eine Frau vor unserem Haus, zeigt dabei aber irgendwie nach Westen. Die Straßen füllen sich schon von Eselskarren mit Krotten und Limonen und viel zu vollgeladenen Trucks, die Zement oder Steine bringen. Vereinzelt sieht man einen Achsenbruch und die Ladung verteilt sich schön auf der Straße, dass das Rickscha-Fußgänger Chaos sich steigern kann. Da musst Du eben früher aufstehen, Maria, denk ich mir auf dem Weg in die Altstadt – immerhin ist es noch etwas neblig und die Sonnenstrahlen fallen ganz lang auf die staubige Straße. In der großen Moschee ist der Morgen am schönsten zu spüren. Hier finden wir völlige Ruhe zwischen den riesig wirkenden Kuppeln und dem kalten Steinboden (Die Schuhe werden natürlich vorher ausgezogen). Außerdem sind die Gebetsteppiche leer, sodass ich mich hinknien und 2 rakaat beten kann, wie ich es in Roshni gelernt habe. Sub han Allah, Ala hu akbar, Alham dulila. Und fühle mich fast religiös, weil ich nur gute Gedanken dabei habe. Aber was man Religös nennt ist eine andere Geschichte. Außerdem haben wir Hunger. Vor der Moschee treffen wir den Touristenführer Assif, einer von Lukas zahlreichen Freunden in der Stadt. Er bringt uns zu dem leckersten Naan ever eaten mit knochenlosem Fleisch und würzigem Dal. Dann kommt Frittiertes mit süßem Halva. Den zweiten Cae haben wir auch schon hinter uns. Pappsatt und mit vielen neuen Geschichten von Assif, der etwa 22 Sprachen kann (gelernt von Touristen, die es hier vor 9/11 noch gegeben haben soll), wie er sagt, gehen Matze, Helen, Samir und ich nun auf eigene Faust in die Altstadt.

Wiedereinmal bin ich von den Sinneseindrücken völlig weg (will eigentlich sagen geflasht). Außerdem muss ich fast nicht mehr unsicher sein, wo und wie ich gehen kann. Ich verstehe nun, was die Leute hinter mir sagen und wunder mich nicht mehr über ihre Reaktionen. Ich erschrecke nicht, wenn die Vorbeigeher von „welcome in Pakistan“ bis „I love u“ alles rüberwerfen, was sie an Englisch gelernt haben. Vorbei an den vielen How are you’s geht es in die Papierstraße, wo ich hinter den Eisentüren kleine Kinder sitzen sehe, die unsere Schulhefte falten und nähen. Ich habe noch den Maschienenölgeschmack vom Zuckerrohrsaft im Hals, den ich voher so unvorsichtig genossen habe. Kinderarbeit, oder? Die einen stellen sie her, die andern benutzen sie. Matze und ich gucken uns an. In der nächsten Stoffstraße geht unser Einkauf los. Was ich Euch alles gerne mitbringen würde! Dann sind wir auch schon wieder in einer der breiteren Essenstraßen (breit heißt, dass zwei Rickschen aneinander vorbeikönnen), in der es wieder überall nach runterhängendem Fleisch riecht. Wir fragen uns durch zum Anarkali Bazar (einer der ältesten Märkte Lahores) und ich bin schon wieder stolz auf mein Urdu (und gleichzeitig unstolz, weil ich denken muss, wie ich sprechen könnte, wenn ich mich mal regelmäßig drangesetzt hätte). Hier finde ich ein echtes Schreibwahrengeschäft, mit Dingen, die man auch im Alltag verwenden kann. Aber eigentlich habe ich den ganzen Kitsch, die Armreifen (Bangels), die gllitterstickereien und Plastikkörbe inzwischen richtig lieb gewonnen. Das ist eben auch Teil der Kultur.
Dann ein schönes Umtauscherlebnis: Ich finde denselben Schal wie eben gekauft, nur an den Enden versorgt. Samir nimmt mich zum alten Geschäft zurück, spricht mit ihnen und ich habe meine 200 Rupies wieder in der Hand. Als ich mit I’m sorry und so anfangen will, winken sie ab und sagen, ist doch selbstverständlich. Samir und ich spielen einen Rücktausch in Deutschland durch (Nein, Frau Tacker, da muss ich erstmal meinen Abteilungsleiter suchen – wieso wollen sie diesen Artickel denn zurückgeben?). Das ist lustig. Wieviel Zeit vergangen sein mag, seit wir in das Altstadtmärchen mit seinen vielen Händlern und Farben, Gewürzen und Rufen, Gerüchen und fremden Blicken eingetaucht sind? Als wir mit Assalam-bhai, einem Auto voller Sachen und einer Maria voller Bilder wieder nach Roshni kommen, denk ich mir schon extrem lange nicht mehr hier gewesen zu sein.

Außerdem wird es hier schon Sommer und ich gehe wieder Barfuß!

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