Freitag, 3. Juni 2016

Lahore لاہور

Lahore war schon immer magisch für mich. "Jine Lahore nei dekhia o jumia nahin", sagt man auf Punjabi, was so viel heißt wie: wer Lahore noch nie gesehen hat, ist noch nicht geboren worden. Ich agreee. Die ganze Zeit habe ich an Lahore gedacht, wenn ich zuhause war. An die Altstadt, die Gerüche, die vielen Menschen, die bunten Kleider und alles, was da noch so ist.

Und jetzt? Jetzt trinke ich Chae mit Kardamom bei Mc Donalds. Stelle erstaunt fest, dass Frauen hier auch ohne Kopftuch rumlaufen können. Falle ich nicht mehr auf als Ausländerin, weil ich mich daran gewöhnt habe, wie alles funktioniert: entweder ich habe einen Mann dabei, der die Abläufe regelt, oder ich bin mit einer Frau (oder gar alleine) unterwegs, dann halten wir uns dezent zurück und kriegen meist trotzdem was wir wollen. "Our society is not made for women", sagt mir eine Freundin und ich denke sehnsüchtig an Deutschland.

Andererseits kommt mir auch viel Respekt entgegen. Werde ich nicht mehr einfach angesprochen wie in Indien. Wenn jemand das Gespraech eroeffnet, dann ich. Und vielleicht die Frauen im Bad, die neugierig sind, ob ich verheiratet bin, wieviele Brueder und Schwestern ich habe und ob mir Pakistan gefaellt. Ich sage immer ja. Ich bin hier gerne. So sehr ich damit kaempfe, so sehr geniesse ich meine merkwuerdige Rolle als alleinreisende Frau. Und die ungewohnten Eindruecke - Kulfi Eis, Geckos an der Wand, Froesche im Bad, Eselskarren und riesige mit Zuckerrohr beladene Wagen. Bald faengt der Ramadan an - was mache ich dann? Eine Option ist, nach Indien zu gehen, wo ich spaetestens am 12. Juni sein moechte. Eine andere, nochmal nach Islamabad zu gehen. Dieses Mal scheint sich mein Pakistan zwischen Lahore und Islamabad auszubreiten. Man muss auch nicht immer alles machen (auch wenn ich 1000 Ideen hab). Vor allem wegen der Gefaehrlichkeitssache. Ich schaeme mich, Fragen zu stellen, ueber was hier gefaehrlich ist und was nicht, wie sich das Leben anfuehlt, wenn man hier lebt usw usf. Alles ist ziemlich normal. Wie kann ich Leuten misstrauen, die mich zum Essen einladen und zu ihrer Familie? Wie koennen wir denken, ein ganzes Land (oder sogar: die Leute die dort leben) sei gefaehrlich, nur weil eine ganz bestimmte Randgruppe gefaehrlich ist? Das macht keinen Sinn. "Du musst dich nicht schaemen", sagt Zo, "Glaub mir, wir haben dieselben Gedanken, wenn wir in unser Land zurueckkommen." Diese Angst legt sich mit der Dauer des Aufenthaltes. Je mehr friedliche Tage man hier verbringt, desto mehr glaubt man auch wieder daran.

"Pakistan war noch nie so sicher", sagte ein Cafebesitzer, der mich in Berlin auf einen Chae einludt, kurz bevor ich gegangen bin. Ich sagte ihm, wo ich hingehe in Lahore und seine Augen leuchteten. "Jine Lahore nei dekhia o jumia nahin", sagte ich laechelnd und seine Augen leuchteten noch mehr. Ich solle in Lahore seine Frau besuchen, sagte er, und gab mir ihre Nummer. "Insha'Allah", sagte ich und fragte, was er an Pakistan vermissen wuerde, um das Gespraech weiterzufuehren. "Die Familie und natuerlich das Essen!". Ja, richtig, das Essen. Ich habe lang nicht mehr so viel gegessen wie hier. Irgendwann muss man aufhoeren, oder die Stadt verlassen. Lachend erinnern sich meine Freundinnen an gemeinsame Bekannte: "Kennst du den und den noch?" "Ja, aber der ist wirklich dick geworden, hihihi". Ich halte mich raus, es scheint ihnen ungesund, dass ich seit dem letztenmal nicht besonders zugenommen hab. Das kommt mit der Ehe, sagen sie und kichern. Ob die Ehe ueberhaupt kommt, frage ich mich. "Bei uns ist Hochzeit nicht das wichtigste", "bei uns schon". "Bei uns entscheidet jeder fuer sich", "bei uns entscheidet jeder fuer die Familie". Eine der Maedels soll gerade verheiratet werden und moechte noch nicht heiraten. "I can imagine", sage ich, "its tough". "No, you can actually not imagine. Its not tough, its impossible", sagt sie glucksend und ich weiss nicht, ob sie lachen oder weinen will. Manche Sachen kann man einfach nur ansehen. Ich entscheide mich dafuer, nicht zu emotional zu werden, wenn ich die Lebensgeschichten hoere, weil ich weiss, dass das Band breiter ist, dass mehr Faeden dazugehoeren und dass es eventuell genau richtig ist, dass das Maedchen jetzt heiratet, auch wenn es aus meiner Sicht anders ist. Wie wichtig der Segen der Familie hier ist, kann man sich gar nicht vorstellen.

Wir wissen so wenig und urteilen so viel. Wie froehlich und wie liebevoll die Menschen hier haeufig sind - wie isoliert und traurig manche an Berliner U-bahnhoefen. Wie koennen wir sagen, das eine oder das andere sei besser? Ich moechte nicht tauschen. Ich kann gar nicht tauschen, aber ich will verstehen, was eigentlich Glueck ist, woher es kommt und wie wir uns mit ihm arrangieren koennen, sodass es bleibt. Vielleicht kommt und geht es auch immer in Wellen - in allen Laendern, in allen Gesellschaften. No matter how and when we get married.

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