Donnerstag, 22. Dezember 2022

Life is simple

Es gibt von Pakistan keinen direkten Flug nach Indien. Due to the political situation, erklärt man mir. Es gäbe wahrscheinlich auch nicht genug Fluggäste, weil es zu schwierig ist, ein Visum zu bekommen für das von vielen so geliebte Nachbarland. In Sharjah werde ich nach meinem Visum für Bahrain gefragt - ich sage, ich steige nur um - falls ich eins brauche, ist es on arrival. nach langem Warten kommt jemand, der sagt, dass das stimmt. ich darf weitergehen und atme auf. Es ist doch alles so verrückt. Aber DHL leuchtet freundlich nach der Landung und ich frage mich, ob ich nach Transit oder Arrivals gehen soll. Das Personal sagt mir Transit.

Ich sitze wieder im Flugzeug, fühle mich etwas schlecht wegen der vielen Flüge, die ich nehme und genieße die leichte Nähe der Frau neben mir, die ihren Arm an meinem hat ohne dass es jemanden von uns stört. So sehr man auf nicht-Nähe zu Männern achten muss, so wenig muss man sich Gedanken machen, wenn eine Frau einen länger als gewohnt berührt - wie etwa gestern beim Fest, als eine mir völlig unbekannte Dame gefühlt ewig die Hand um meine Hüfte gelegt hatte. Ich schaue von oben auf die weichen Wolken. Der Abendhimmel liegt pastellfarben wie ein Rothko vor mir. Meine Sitznachbarin bietet mir ihr Essen an. „Danke, ich hab“, sage ich lächelnd und hole mein Flghafenessen raus, das ich von meinen letzten pakistanischen Rupees gekauft habe. Ich hatte 40 Rupees zu wenig (ca 20 Cent) und der Verkäufer winkte ab. Take it, you are our guest. Ein anderer Mensch im Café bemühte sich, für mich zu zahlen, ich sagte ich nehme etwas anderes, er sagte: in Pakistan wirst du immer eingeladen. Ich sagte: ich weiß, deswegen muss ich jetzt extra ablehnen, damit ich nicht alles geschenkt kriege. Wir lachen beide.


Als ich in Mumbai aus dem Flughafen komme, finde ich hinter einem großen Parkhaus einen Bus der zu einer Zugstation fährt. Über Google Maps schau ich, ob ich einigermaßen richtig liege. Für 60 Rupies (jetzt indische, ca 70 Cent) komme ich mit dem Zug in die Stadt - und sehe aus der Zugtür die sich wandelnde Stadt, die ich nur aus „Shantaram“ kenne. Kleider liegen zum trocknen auf den Gleisen. Chaetassen werden aus dem Fenster geschmissen und zerbrechen klickernd auf dem roten Boden. Hochhäuser neben Wellblechhäuschen. Mumbai erscheint mir riesig und hässlich und schön zugleich. In den zwei Stunden, die ich hier bin, wurde ich noch keinmal angesprochen. So anders als in Delhi. Ist es, weil ich mit dem public transport in die Stadt bin?! Oder ist es hier einfach anders als im Norden? Ich weiß es (noch) nicht. Ich weiß nur, dass ich hier gerne bin, fühle Freiheit und komme mit meinem Hindi-Urdu gut zurecht - obwohl ich so viel südlicher bin.


Die Abendluft von Goa ist warm. Ich handele, als ich ankomme, zum erstenmal und versuche herauszufinden, was angemessene Preise sind ohne geizig zu wirken. Vieles ist teurer als in Pakistan aber auch teurer als in Nordindien. Wegen den Touristen, erklärt man mir später. Und weil während Corona wenige da waren und Mohdi mehr auf lokalen Tourismus setzt.


Am nächsten Morgen laufe ich durch Vasco Da Gama (was für ein Name!) und hole mir einen Chae. Hier sind tatsächlich keine Touristen - an den Stränden wahrscheinlich eher. Meine Lippen bleiben an der kleinen heißen Tasse kleben. „You can throw it later ma’am“, sagt mir der Verkäufer grinsend und ich schaue die hübsche Tontasse wehmütig an. Als ich sie später auf den Boden schmeiße, zerbricht sie auch mit einem leichten „Klack“. Ich sehe dem zerbrochenen Ton auf dem Lehmboden nach und denke: das war wahrscheinlich der nachhaltigste To-Go Becher, den ich je hatte. Neugierig schauen die Leute mit dabei zu. Jeder sieht, was ich mache - ich bin eindeutig ein Fremdkörper hier.


Es folgen 3 Stunden Busfahrt. Ich packe brav meinen Müll in den Rucksack. Die Frau neben mir wiegt bestätigend den Kopf und lächelt dabei. Ich erreiche Arambol Nachmittags und treffe auf eine wunderbare Community, an die mich eine Freundin weitergeleitet hat. Jetzt bin ich nicht mehr so fremd. Nachts gehe ich zum erstenmal ins Meer. Mein geliebtes Meer. Ein großes schwarzes Nass vor mir, über mir leichte Blitze - hoffentlich nur Wetterleuchten - und unter mir Undercurrent. „Ich geh auch nicht weit rein, versprochen“ sage ich und überlege, ob es gefährlich ist. Unter mir zieht es angenehm, nicht zu stark, aber die Wellen schubsen mich gleichzeitig auch zum Strand zurück. Ich kenne das Meer, denke ich - oder möchte ich gerne denken. Die Natur ist immer stärker und auch über das Meer weiß ich nicht alles. Hinter mir klingen beruhigend die zarten Beats des Freedom Cafés. Kleine Krebse verschwinden überall im Sand. Das Meer ist so sanft. So warm und so schön und so wild zugleich. Ich verstehe, dass man in Goa einfach bleiben kann. Manchen sieht man gar nicht an, ob sie hier vier Tage oder vier Jahre sind. Ich singe Mantras, mache Chae und quatsche viel mit Leuten. Soll ich Weihnachten verpassen? Und den Winter? Vermisse ich Berlin?


Mein Husten wird aber auch nicht besser. Immerhin gewöhnt sich der Körper nicht ganz ans Klima und zeigt, dass es nicht nur einfach ist, hier zu sein. Ich besuche noch eine Freundin in Canacona und freue mich über die elbischen Namen der Strände: Patnem, Palolem, Talpona...


Als ich vier Tage vor Weihnachten schließliche zurück nach Vasco gehe, wird mein Flug gecancelt. In einem undurchschauberen Dickicht von Männern erkämpfe ich mir eine neues Ticket über Hyderabad statt Ahmedabad. Ich bin jetzt schon vier Stunden am Flughafen und gönne mir meinen ersten Kaffee seit drei Wochen. Chae und Kaffee kosten drinnen 300 Rupies - draußen ist ein Chae 20 Rupies. Ist es zuhause auch so ein riesen Unterschied?! Ich glaube nicht - höchstens das Doppelte. Vielleicht ist es hier so, weil Menschen, die sich Flüge leisten können und so unfassbar viel mehr Geld haben, als die meisten anderen. Riesengroße Ventilatoren fächeln von oben Luft zu und sehen dabei aus wie große Spinnen. Mir ist kalt. Aber den Husten habe ich inzwischen fast wegmeditiert. Laura hat mir noch Ayurvedische Medizin gegeben und den Tipp, wirklich täglich zu meditieren. „Ich glaube, das täte dir gut!“. Das glaube ich auch. Seit ich damals mit 16 im Bus zu einer Demo nach Florenz Kamal zum erstemal meditieren sah und es komisch fand, weil ich nicht wusste, wo er ist innerlich, ist es für mich über die Jahre so normal geworden - zum Glück. Vielleicht ist es mein Beten. Wahrscheinlich ist es am Ende dasselbe. „Die Welt ist rund“, sagt Manu, als ich ihm in Arambol tschüss sage, und: „We will see each other“. „I hope so“, sage ich und wünschte, ich hätte auch nur 20% der Gewissheit, die er zu haben scheint, als er mich strahlend anschaut und sagt: „Life is simple, Maria, it’s really simple!“.


Samstag, 10. Dezember 2022

Zurück in Lahore

Es ist glaube ich das erste mal, dass ich von Karachi nach Lahore fliege. Mit Periode und leichtem Durchfall durch alle Kontrollen. Immer genug Toilettenpapier in der Tasche, meinen langen Schal irgendwie um mich wickelnd hocke ich umständlich auf den tiefen Toiletten und überlege, wie andere Frauen das machen. Festivalstyle. Es stimmt, wir müssen mehr über solche Themen reden. Es ist schön hier. Die Domestic flights area erinnert mich an Tegel! Ein rundes Ding, in dem ich in der Stunde, die ich habe, einen Laden nach dem andern immer wieder ablaufen kann. Ich hole zweimal Kardamom Chae, der richtig lecker ist, setze mich nur zu Frauen oder auf freie Plätze, esse Lemon Pie, mache Witze mit den Verkäufern, versuche, nicht zu überdreht zu wirken. Es ist so viel Platz hier. Das meinte Zohebs Cousine wahrscheinlich mit „Mumbai will be ten times Karachi“, es sind zwar ähnlich viele Einwohner, aber ich werde um mich rum nicht die gewohnten angenehmen zwei Meter Platz haben, die hier alle ganz anständig einhalten.

Wir fliegen über die Thar-Wüste. Am Horizont zeichnen sich die Berge Afghanistans ab. Über Pakistan fliegen war schon immer wunderschön. Oben im Himalaya sieht man dabei den Nanga Parbat, den ich jetzt sehnsüchtig vermisse. Eine Stunde und sehr gutes Essen später landen wir in Lahore. Domestic flights ist hier viel kleiner. Logisch irgendwie. Ich habe drei Tage Zeit, gehe nach Roshni, wo ich super herzlich empfangen werde und mich gleich zuhause fühle. Manchmal ist es, als wäre keine Zeit vergangen. Drei von den LehrerInnen, mit denen ich vor 15 Jahren unterrichtet habe, sind noch da - eine ist inzwischen Schulleiterin und führt mich durch alle Klassen. Ich quatsche mit den Kids, tausche Lieblingsfarben aus und gehe in die nächste Klasse. Dann noch ein Chae. Am Abend treffen wir Freunde - auch bei Tee. Ich rede lange mit Farah, die ein Buch über Menstruation in Südasien geschrieben hat. Wir reden auch über was man machen kann als Frau in Pakistan. "Natürlich kannst du eine Rikscha nehmen!", sagt sie und ich kann mir vorstellen, dass sie ein relativ selbstständiges Leben führt. Es kommt eben auch genauso auf die innere Einstellung an.

Dass es doch nicht nur so einfach ist, erfahre ich gleich am nächsten morgen in der Altstadt von Lahore, als mir jemand die Hand geben will und wütend wird, dass ich sie nicht gebe (normalerweise nickt man höflich - wenn überhaupt, dass er mich einfach so anquatscht ist eigentlich schon komisch). Erst als mein Fahrer, ein großer Pathans, sagt: "Sie ist mit mir" rauscht er murrend ab. Es ist eben doch so: mit einem Mann dabei wird man in Ruhe gelassen, alleine nicht. Aber das ist auch anderswo auf der Welt der Fall. Leider. "Koi baat nahi", "macht nichts", sage ich zum Fahrer und wir essen weiter unser Frühstück: Naan Channa, mit Chae, das ich so liebe. Auch die Altstadt liebe ich sehr. Hier hat mein Blog damals angefangen zu leben, und das Buch: jede Ecke riecht anders, jede Straße klingt anders... Ein Wirrwar vieler Straßen in dem sich nur die zurechtfinden können, die hier leben. Ich besuche die wunderschöne Wazir Khan Moschee, in der ich damals mit Philipp zum erstenmal war, gebe meine Schuhe für 10 Rupies ab und genieße die Stille.

Irgendetwas verbindet mich mit Lahore - ich bin hier immer gerne. Nach drei Tagen habe ich aber auch schon viel gesehen. Für mehr müsste ich einen wirklichen Plan haben, arbeiten oder so. Allein für Ferien ist diese Stadt nicht. Ich bin wieder bei den Domestic Flights. Hole mir Kardamom Chae, der mir dieses flaue Gefühl im Magen macht aber so gut schmeckt. Lahore verlassen tut weh - vor allem nach so kurzer Zeit. Ich wüsste aber eben auch nicht, ob ich hier länger bleiben könnte. Egal wo ich wohnen würde, man ist immer abhängig vom Umfeld. Oder man hat kein Umfeld, das ist dann auch langweilig bis schwierig, weil im Zweifel keiner aufsteht und sagt: sie ist mit mir.

Montag, 5. Dezember 2022

Habichte über Karachi

10 Tage Karachi. Ich habe einen Schnupfen bei 28 Grad. Zoheb sagt, das kommt vom Staub der Ventilatoren, die hier immer laufen. Die Luft, der Tee, die Musik. Ich bin zurück - nach fast vier Jahren. Ich liebe Pakistan so sehr und gleichzeitig hab ich tausend Fragen, wenn ich um mich schaue und fast nur Männer auf der Straße sehe - zumindest nachts, Tags ist es besser. Wann und wie verändert sich eine Gesellschaft? Wie fühlt es sich für die Frauen an, so viel drinnen zu sein? Ich bleibe auch zuhause - außer wir gehen zusammen weg. Könnte ich spazierengehen? Wir wissen es nicht. „Normally you go somewhere when you have a purpose“, sagt Zoheb, „not just for fun“.

Ich weiß gar nicht, wie ich über meine Erlebnisse hier schreiben kann, ohne dass es sich aus einer privilegierten, weißen Sicht heraus komisch anhört. Vor 15 Jahren war es noch einfacher, so loszuschreiben. Jetzt habe ich die 10 Jahre Humboldt-Uni, mein kritisches Berlin und die ganze Perspektiven-Problematik im Hinterkopf. Allein dass ich hier sein kann, ist mir unangenehm. Flüge buchen, Reisen planen, während vor mir die Haushälterin den Boden wischt. Es ist alles so paradox. Ich weiß, dass es das auch in Berlin ist, aber dort sehe ich es nicht immer. Später mache ich ihr einen Tee. Wir haben gute Gespräche und mein etwas eingerostetes Urdu kommt wieder hoch. Für 2,5 Euro kriegt man in Berlin ein Naan, hier bekommt man dafür fast 30 Naan. Jeder Euro, den ich zuhause zuviel ausgegeben habe, macht mich nachdenklich. Es ist gleichzeitig aber eine herrliche Fröhlichkeit, mit der mir die Menschen hier begegnen. Voller Interesse und Fragen. Manchmal sind mir die Blicke zu lang oder zu viel, aber dann sag ich mir, dass ich wirklich sehr anders aussehen muss in meiner Umgebung. Schon im Flug war ich fast die einzige weiße. Ich beantworte die Fragen gerne. Und stelle selber welche, von denen ich weiß, dass sie funktioniert haben: wieviele Geschwister hast du? Wo bist du aufgewachsen? Bist du verheiratet? Kinder?! Ich nehme es nicht mehr so schwer wie früher - es ist einfach eine Art, sich auszutauschen.

Zum Sonnenuntergang gehe ich hoch aufs Dach, wo es ganz still ist bis auf die Geräusche der Straße und der Vögel. Das leichte Licht, die Habichte, die Gebete.

Hier oben ist es so ruhig. Als wär die Welt im Frieden. Mein tägliches kleines Stück Himmel. Es geht ja auch nicht darum, viel zu erleben momentan, sondern die Familie zu sehen. Und da erlebt man oft noch viel mehr. Morgen fliege ich nach Lahore und hoffentlich auch nach Roshni. Am Samstag geht es zurück nach Karachi und von dort aus nach Goa. Wie anders es Indien sein wird, als alles, was ich hier erlebe. Irgendwie wünsche ich für Pakistan mehr Reisende und irgendwie auch gleich wieder nicht. In 10 Tagen habe ich keinen Touristen gesehen. Aber das ist auch Karachi.

Sonntag, 27. November 2022

For the Farmers

Obwohl es ein trauriger Anlass ist, bin ich froh, dass ich fliege. Wir besuchen Zohebs Familie in Pakistan, weil es seiner Mutter nicht so gut geht. „Nimm vielleicht auch was weißes mit“, sagt Zoheb. Ich bewundere seine Ruhe und Ausstrahlung dabei. Er ist gestern schon geflogen, ich packe alleine. Suche “Wetter Karachi" und finde nur Sonne. Karachi kennt keinen Regen. “Nimm aber einen gemütlichen Pulli mit”, sagt Zoheb beim ersten Anruf, als er schon gelandet ist. Ich nicke und weiß auch schon welchen…

Ich freu mich richtig, wegzufahren - und dass wir endlich seine Familie wiedersehen. Und ja, ich freue mich auch auf Pakistan, Urdu zu sprechen, bei Kolachi zu essen, vielleicht sogar wieder in die Berge zu gehen, wenn es geht! Aber noch bin ich in Deutschland. Vom tieferem Lebenssinn ergriffen wippe ich fröhlich richtung Gesundbrunnen und suche Augenkontakt zu den Menschen. Wen kann ich hier grüßen? In meinem eigenen Land fühle ich mich oft fremder, als auf Reisen. Die morgendlichen Straßen Berlins sind fast leer - und trotzdem schauen Menschen, denen ich zunicke (wir sind immerhin zur selben Zeit hier) leise weg. Wer weiß, was ich tun könnte. Schade. Ich hätte ein „Guten Morgen“ auf den Lippen gehabt. Guten Morgen und noch so vieles mehr…


Am Flughafen geht das lustige Sprachspiel dann endlich los (ich sollte doch Barkeeperin werden!). Sobald die Leute merken, dass ich gerne Unsinn rede, sagen sie auch so lustige Sachen: bei der Security, während ich meinen sorgsam zuhause abgefüllten O-Saft leere: „ist da noch was anderes drin?!“, will die Frau am Rollband wissen. "Bisschen Vodka, gegen die Aufregung!“ sage ich augenzwinkernd. Sie lacht schallend los. „Das war aber eine dreckige Lache!“, sage ich, nachdem ich kurz abgewogen habe, ob wir schon auf der Ebene sind. Keiner sagt was, sie grinst verlegen. War die Ebene doch noch nicht da, denk ich mir, aber der nächste Versuch kommt drei Schritte weiter. Ich werde freundlich abgetastet. „For the farmers?!“, liest die nette Dame rätselnd von meinem Pulli ab. „Ja“, sage ich und überlege, welche Form der Erläuterung keine Überlänge für sie bedeutet. „Ich bin immer für die Bauern, die machen ja alles…“, fange ich an, mir im Klaren darüber, dass ich die konventionelle Landwirtschaft gerade miteinbeziehe - aber für einen Gesprächsanfang vielleicht ganz gut. „Alles..., ja…“, sagt sie, weitertastend und vielleicht darüber sinnierend, ob Bauern wirklich alles machen oder ob ich irgendwas Verbotenes bei mir habe - ich werde es nie wissen. „Und die speichern durch ihre Arbeit auch ganz schön viel Carbon im Boden, das ist dann gut gegen den Klimawandel.“ Ich beeile mich beim Sprechen wie eine Verkaufsmaschine. Vielleicht waren das jetzt zu viele Worte. „Nicht erschrecken, ich geh kurz an Ihre Hose“, sagt sie freundlich und bestimmt und ich denke, das könnte auch ein guter Satz für eine Party sein: „Nicht erschrecken…“ ich finds lustig. Aber sie hat abgelenkt. „Das ist so eine Organisation,“ versuche ich noch hinzuzufügen, „…“. Sie winkt ab. „Solange die sich nirgendwo festketten, diese Klimaaktivisten - das ist dann nämlich wirklich zu viel!“ „Ja das ist echt zu viel“, wiederhole ich halb in Gedanken halb ironisch und versuche sie auf diese Weise wieder für mich zu gewinnen. „Aber die hier sind ganz legal“, füge ich schnell hinzu und zeige auf mein Climatefarmers-Logo, wissend, dass unser kurzes Gespräch sich jetzt dem Ende neigt. „Ich wünsche ihnen noch viel Erfolg“, sagt sie knapp und kurz fühlt es sich an, als würde mir eine große Firma gehören. Dann besinne ich mich, dass mir nur der Pulli gehört - und nicht mal der. Alle Securities wünschen mir einen schönen Sonntag, als ich gehe. So unterschiedlich können die Ebenen nicht gewesen sein. Mich erinnert die Unterhaltung an meinen Biologiekollegen, der eine Stunde zu Konventionellen Landwirtschaft geben wollte und die erste Meldung, die er hatte war: "Was bedeutet Landwirtschaft?". Wir müssen noch viel mehr tun.



Beim Weitergehen kommen mir viele vertraute und auch unbekannte Gerüche entgegen. Der Duty free Shop, die Parfüme, anderes Essen. Ich freue mich plötzlich auch auf die Gerüche Pakistans! Ich höre neue Umgangstöne. „Yes, my Darling!“, tönt es hinter mir, „Please, Sweetheart.“, sagt eine fesche Dame in einem für Deutschland völlig übertriebenen Ton. Ich ahne schon, dass sie diese zuckersüßen Bezeichnungen einer ihr fremden Person zuwirft. Als ich zum dritten mal „My Darling“ höre, drehe ich mich kurz um, nur um mich zu vergewissern. Eigentlich warte ich noch auf „my Love“ und möchte das entweder irritierte oder fröhlich-überraschte Gesicht des mitte-fünfzigjährigen Security Mannes sehen, der in ihrem Rucksack wühlt für einen random Check. Strahlend frage ich sie, ob sie aus den USA käme, dort würde ich das kennen. „No, I’m from the UK“, sagt sie und zeigt mir dieselbe liebevolle Zuwendung wie eben dem Beamten. „But I know - we’re terrible like that“, sie macht dabei eine leichte Handbewegung nach unten. “No, but I really like it!”, sage ich und zwinge mich zu gehen - ich wollte sie ja nicht überfallen und muss auch noch einen Flug kriegen - nicht, dass es wieder so wie in Thessaloniki wird. „Have a wonderful time!“, sagt sie überschwänglich. Ich grinse. Ich gehe. Endlich grinsen mich auch alle anderen, Entgegenkommenden an. Meine grinse-Aura ist aktiviert. Ich tanze noch ein bisschen - aber nicht zu viel. Es ist ein feines Hin und her zwischen Interesse und Ablehnung, das ich in meiner Umgebung hervorrufe. Ich tu mein bestes, um auf der Interesse-Seite zu bleiben. Und dann tanz ich einfach für mich selber. Soviel Platz, der muss doch betanzt werden, denke ich mir, und schaue nur im Augenwinkel, ob ich die Wartenden auf den Istanbul-Flug dabei störe. Ich möchte mich so bewegen als Frau, wie ich will. Immer so - in den Platz hinein. Ich merke, wie Erinnerungen wach werden. Wie Männer sagten: Du hast dich ja auch so viel bewegt, da musst du doch damit rechnen, dass er dich angequatscht - als ich BEIM TANZEN, in einem von sich im höchsten Consent denkenden Tango-Ort, so belästigt wurde - mit meine Hand zu sich ziehen nach 5 Mal “Nein” sagen und allem. Es klingt mir nach. Du hast dich doch so viel bewegt. Klar bewege ich mich. Weil ich lebe. Ich bin gespannt, ob und wie meine Bewegung auf der Reise eingeschränkt wird. Ich erinnere mich, dass es oft stufenweise kam. Erst Istanbul, dann Pakistan. Aber innen kann man immer tanzen.


Nach dem Boarding tritt endlich die von mir heißgeliebte Ruhe des Abflugs ein: Philipp Poisel auf den Ohren, Morgensonne auf Berlin, alte Szenen im Rückblick, Leben, Gefühle, Augen zu,  Flugmodus an.

Donnerstag, 10. November 2022

Die Insel ohne Zeit

Du weißt, dass etwas nicht ganz richtig gelaufen ist, wenn du versucht, rückwärts aus dem Flughafen rauszukommen. Zurück durch die Passkontrolle, den Duty Free, beim Check-In an der Seite vorbei, komische Blicke der Security ernten und erklären, dass du irgendwie rauswillst aus dem Flughafen auf einem Weg, den keiner sonst geht. Meine ID hat nicht gereicht, um über London Luton zu fliegen - den Brexit habe ich beim Packen nicht ernst genug genommen. London Heathrow wäre vielleicht noch gegangen - oder Stansted. "It's a Point to Point Airport", erklärt mir die Dame vor dem Flugzeug, in das ich nicht einsteigen kann, "You need your passport". Ich erkenne keine Spur Mitleid in ihren Augen, nur Verwunderung. Eine kurze Stunde sitze ich noch verloren rum und suche Flüge, beschließe dann aber, dass der Flughafen kein Ort ist um zu bleiben und buche ein Hostel im Zentrum von Thessaloniki. Immerhin fährt der Bus noch dorthin, es regnet zum erstenmal seit Wochen und er kostet nur 90 Cent für 45 Minuten Fahrzeit. Es ist dunkel geworden. Jetzt kann ich endlich über Ikaria schreiben.

Die Menschen sprechen das Wort „Ikaria“ wie ein Gut bewahrtes Geheimnis aus und öffnen dabei lächelnd ihre Augen ein bisschen weiter. Es sei eine gute Idee, dorthin zu gehen - in Ikaria gibt es keine Zeit, sagen sie. Was?! Ich wundere mich und bin gleichzeitig voller Vorfreude. Als wir in Ikaria ankommen, wissen wir, was gemeint ist.


Godiwa holt uns mit Freunden von der Fähre ab. Wir fahren zum Meer, setzen uns in eine geschlossene Taverne, werden vom Eigentümer zu Essen und Wein eingeladen und baden in heißen Quellen. Wir machen keine Pläne, nur das, was gerade dran ist. Morgens schon trinken die Leute Wein und abends Kaffee. Sonja und ich machen mit - ich konnte mich eh nie daran gewöhnen bis um vier zu warten. Mit Godiwa besuchen wir lauter Menschen, die sie kennt, weil sie seit einem Jahr hier wohnt. Alle freuen sich, wenn sie kommt. „Die Menschen auf der Insel wissen irgendwie immer, wo der rote Bus steht“, sagt sie lachend. „Und dann muss ich natürlich auch hallo sagen“. Sie hat Griechisch gelernt, was auf eine Art wie Dothraki klingt, und sieht dabei auch ein bisschen aus wie Kaleesi. Ich bewundere sie. Einfach weg von Berlin, einfach im Bus leben, einfach Griechisch lernen und die Menschen hier kennen (wenn auch sicher nicht alles so einfach ist - manchmal stellt man es sich gerne so vor). „Ich kann auch nicht mehr zurück zum Alten. Wenn ich mir aussuchen kann, wie ich lebe, dann werde ich es tun“, sagt Godiwa und zieht ihr blaues Kleid an. Sonja und ich haben viel zu warm gepackt. Hier ist es für unsere Verhältnisse Sommer. In Sandalen und Badetuch gehen wir runter zum Ikarus, dem Stein, auf dem Ikarus, Sohn des Daedalus, abgestürzt ist, als er mit seinen selbstgebastelten Flügeln zu nah an die Sonne kam. Wunderschön und rot geht die Sonne auf und Sonja und ich spielen unser Lied: "Der Weg nach vorn ist immer schwerer, der Weg zurück ist immer leicht...". Ich denke an Berlin und frage mich, was mein Weg nach vorne ist.



Jeden Tag schwimme ich im Meer, jeden Tag machen wir Musik und jeden Tag essen wir wunderbare sachen: Oliven, Feta, Tomaten, Kiwi, Granatäpfel, Khakifrucht, Kaktusfrucht, Mandeln vom Baum, frittierte Auberginen, Pistazieneis. So vieles wächst hier, Farben über Farben, Blüten über Blüten - und das mitten im November. Die Insel ist voller Geheimnisse und magischer Orte. Ich kletter zu einer Frau aus Stein, die da sitzt und die Insel bewacht. Sie kommt mir unendlich weise vor. In ihrer Nähe gibt es unsterbliches Wasser, das Nierensteine rausspülen kann. Hier gibt es so vieles, was ich nicht weiß. Das Meer lehrt mich viel: Wie sich alles immer verändert. Wie die Wellen rauschen. Die Gitarre, der Wein, die Wellen, die Gastfreundschaft. All das wird vom Meer gewusst, aufgenommen und widergespiegelt. Oft ist es ruhig, aber immer hört man den leichten Rhythmus der Wellen, als wollte es sagen: schau, es geht immer weiter. Es ist gut.


Zum Abschied schenkt Godiwa uns Kühlschrankaufkleber mit internationalen Zeiten und unter „Ikaria“ eine leere Uhr. Wir vergessen, sie mitzunehmen und auf wundersame Weise bleibt sogar die Erinnerung an die Zeitlosigkeit auf diesem wunderschönen und gut bewahrten Geheimnis, Ikaria.


Drei volle Tage verbringe ich noch in Thessaloniki nach meiner Passgeschichte, treffe Hostel-Menschen, rauche meinen Tabak auf und beschließe (wie schon so oft), nicht mehr zu rauchen. Ich gehe wieder runter zum Hafen und aufs Filmfestival-Gelände, denke an die vergangenen Tage und an kommende. „Hier ist überall Musik“, sagt mir Amir vom Crossroads Hostel, mit dem ich morgens immer Kaffee getrunken und abends Gitarre gespielt habe, lächelnd. Ich nicke: es stimmt. Die Stadt ist ganz anders, als Ich dachte. Viel lebendiger, viel freundlicher und leichter. Hier kann man gut sein, denk ich mir. Die Birkenstocksandalen, die Magie, der Sommer. So sitze ich in Thessaloniki am Hafen, sehe noch mehr Boote vorbeifahren und genieße mein Leben zwischen Einsamkeit und Freiheit.

 

Durch freundlich beleuchtete Treppen-Straßen gehe ich am Mittwoch schließlich runter zum Bus. Zwei Katzen streiten sich. Es ist 4h morgens. Noch keiner ist wach außer der Bäckerei. Ein leiser Brötchenduft erreicht mich und ein Hund gähnt weit. Zum vierten Mal zahle ich 90 Cent für den Flughafenbus und steige ein. Ich gehe den richtigen Weg durch den Check-in, vorbei am Duty Free und erfolgreich durch die Passkontrollen. Als ich ins Flugzeug steige, überkommt mich das leichte, gute Gefühl des Unterwegsseins: Ich bin froh, meinen Pass vergessen zu haben, froh über die Tage, die ich verbringen durfte und die Menschen, die ich traf, dankbar für die vielen Eindrücke und alles, was die Wellen und Steine mir zugeflüstert haben.

Mittwoch, 20. Juli 2022

Huayna II - Uyuni - La Paz

Ich bin zum dritten mal in Südamerika - drei Jahre später, zum dritten Mal in La Paz. Als ich ankomme ist es, wie damals, noch dunkel. Diesmal ist Johanna nicht da, um mich abzuholen, weil sie in Deutschland ist. Ich warte, bis der Teleferico anfängt zu fahren. Durch Wolken kommt das erste Licht - in mir kommen Erinnerungen: hier war ich. Im Teleferico gondel ich hinunter von El Alto Richtung Rosario und habe den bekannten, wunderschönen Blick über die Stadt mit ihren Morgenlichtern. Ich grinse. "Sind Sie zum ersten Mal hier?" fragt nicht ein Mann auf Spanisch, der mit gegenüber sitzt. Wir sind allein und dennoch fühl ich mich sehr wohl. Diese Unaufdringlichkeit. "Nein", sage ich freundlich in meinem noch etwas brüchigen Spanisch. "Ich habe eine Schwester, die hat hier sieben Jahre gewohnt, die habe ich vor drei und vor fünf Jahren schonmal besucht". Eine Geschichte, die ich noch öfter erzählen werde und die mir offenes Willkommen einbringt, als hätte ich selbst hier gewohnt. "Ah", sagt der Mann lächelnd und mit hochgezogenen Augenbrauen, "dann kennst du dich ja aus..." und nach einer Pause: "Magst du es hier?". "Ich liebe La Paz", antworte ich grinsend, selber überrascht von meiner euphorischen Antwort. Aber so fühlt es sich an. Der Teleferico schaukelt sanft.

Zusammen mit Sonja breche ich zwei Tage später auf nach Uyuni, zu der Salzwüste, in der ich 2015 schonmal war. Diesmal sind wir gleich Teil der Gruppe (drei lustige verkaterte Engländer und ein Franzose) und ich habe keinen Hass mehr auf Touristen. Im Gegenteil, ich merke, wie mir die Leute mit Interesse entgegenkommen und wie sie selber so viele Geschichten haben. Ein Mädchen aus Schweden hebt bewundernd-strahlend ihre Augenbrauen, als ich ihr sage, dass ich Mathematik und Philosophie kombiniere. Ich denke an meine Oma, die das auch ein paar Tage vor ihrem Tod mit demselben Strahlen zu mir gesagt hat. Wir streifen durch die Wüste. Diese unwirkliche Landschaft. Kakteen gibt es keine mehr, dafür aber Wasser, ganz viel Wasser, soweit das Auge reicht. Das Salz wird davon nur etwa zehn Zentimeter bedeckt aber das reicht für einen endlosen Spiegel. Im Salz bilden sich Kristalle, die mich an meine Masterarbeit (Ebene kristallgraphische Gruppen) erinnern. "Es gibt nur 230  Raumgruppen und 17 in der Ebene", sage ich nerdig zu Sonja, die dafür seltsamerweise Interesse findet.

Wieder zwei Tage nach der Wüste beginnt das eigentliche Abenteuer, für das ich seit 2019 nochmal herkommen wollte: der Huayna Potosi. "Wenn wir das schaffen, mach ich noch ein Tattooo!", sage ich zu Sonja und denke zweifelnd an die ganzen Leute, denen ich schon gesagt habe, dass ich es versuche. "Natürlich schaffen wir das!", sagt Sonja ohne den geringsten Zweifel. Manchmal braucht man Leute, die nicht zweifeln.

Wir beginnen mit dem Aufstieg, wie damals, morgens um halb eins - nach einer Nacht mit nur wenig Schlaf aufgrund der Höhe und trotz Cocatee. Ich bin froh, dass ich kein Kopfweh habe und mich überhaupt gut anpassen konnte innerhalb der letzten Woche. Wir stiefeln los. Mit Steigeisen im Rucksack, mit Schneejacke und -Hose, mit Schokolade und Tee. Schon nach 20 Minuten möchte ich umdrehen und denke: warum mache ich das Ganze überhaupt?! Vielleicht schaffe ich es eh wieder nicht bis ganz oben. Die ganzen Zweifel kommen auf einmal. Ich bin nicht gut genug, schnell genug, stark genug. Dann denke ich aber: momentan bin ich weiter als die, die es gar nicht versucht haben. Meine Schwester sagte: Am Berg nur positive Gedanken, Maria. Ich denke an meine Oma mütterlicherseits, die mir mit windzerzausten Haaren entgegengrinst wie damals in Griechenland. Ich grinse zurück und denke an die vielen Urlaube mit ihr und die ständige Abenteuerlust in ihren Augen. Schon sind wir 200 Meter weiter gegangen. Inzwischen haben wir die Steigeisen an, die dafür sorgen, dass wir in Schnee und Eis Halt finden. Zum Glück gibt es einen Trampelpfad im tiefen Schnee. Ich hole meinen Pickel raus und trage ihn zur Bergseite damit ich alles richtig mache - so wie wir es geübt haben. Gedanken ans Nichtschaffen verdränge ich.

Eine Stunde später kommt eine Eiswand, die wirklich schwer zu besteigen ist. Als ich bei der Wand oben angelangt bin, muss ich weinen, weil ich enttäuscht von mir selber bin. "Ich bin eben nicht so stark wie andere", sage ich zu Sonja, die mich kurz tröstend in den Arm nimmt. Unser Guide gibt mir ein Taschentuch, "damit die Tränen nicht anfrieren", sagt er verlegen grinsend. Eine weitere Stunde später sage ich zu ihm: "hier bin ich letztesmal umgekehrt", was aber nicht stimmt, wie ich zwei Stunden später merke, als wir wirklich an der Stelle sind. Wir gehen stetig und trinken Tee zwischendurch. Ich mache mir gute Gedanken. Jeder schlechte Gedanke verlangsamt mich. Vor allem der, dass ich es nicht schaffen könnte, nimmt mir alle Kraft auf einmal. Ein Stückweit hinter dem Punkt, wo ich damals umgekehrt bin merke ich, dass ich es diesmal wirklich schaffen könnte. Lachend und weinend drehe ich mich zu Sonja um. "Natürlich schaffst du das!" ist ihre unbeeindruckte Antwort und ich merke, dass sie in keinem Moment daran gezweifelt hat. Sie kennt ja meine Gefühle vom ersten Aufstieg nicht, das Aufgeben, die einmalige Chance, der Schnee, wieder in Deutschland sein, an den Berg denken, mein sechs Monate blauer Zehennagel. Und jetzt bin ich hier. Jetzt ist dieser Morgen, an den ich so oft gedacht habe. An dem ich versuchen, nach oben zu kommen.

Jede Etappe und jeder Schritt zählt. Nicht nach oben schauen, nicht die anderen Gruppen in der Ferne sehen, nicht sich fragen, wie das gehen soll. Die Stirnlampen schimmern leise, langsam kommt der Morgen. Und da ist der Gipfel in Sicht, vor mir noch etwa 500 Meter. Die langsamsten 500 Meter meines Lebens. Alle paar Schritte setze ich mich hin. Die anderen zwei warten. Nur kurz können wir auf dem Gipfel sein, feiern, lachen, Fotografieren, dann müssen wir wieder runter, weil die Sonne aufgeht und der Schnee unsicher wird. 6088 Meter! Über dem Land seh ich den riesigen Schatten des Huayna Potosi. Ein großes gleichmäßiges Dreieck, das fast bis zum Horizont reicht. Neben mir die Cordillera Real. Man sieht La Paz, man sieht tausend kleine Wolken, den Regenwald in der Ferne und eine Morgenstimmung, die man sonst nur aus dem Flugzeug kennt (oder aus dem ersten Besteigungsversuch). Jeder Blick ist wunderbar und voll. Ich bin dankbar und glücklich. Der glücklichste Moment aber war kurz unterm Gipfel, als ich realisiert habe, dass ich es diesmal wirklich schaffen kann.