Donnerstag, 22. Dezember 2022

Life is simple

Es gibt von Pakistan keinen direkten Flug nach Indien. Due to the political situation, erklärt man mir. Es gäbe wahrscheinlich auch nicht genug Fluggäste, weil es zu schwierig ist, ein Visum zu bekommen für das von vielen so geliebte Nachbarland. In Sharjah werde ich nach meinem Visum für Bahrain gefragt - ich sage, ich steige nur um - falls ich eins brauche, ist es on arrival. nach langem Warten kommt jemand, der sagt, dass das stimmt. ich darf weitergehen und atme auf. Es ist doch alles so verrückt. Aber DHL leuchtet freundlich nach der Landung und ich frage mich, ob ich nach Transit oder Arrivals gehen soll. Das Personal sagt mir Transit.

Ich sitze wieder im Flugzeug, fühle mich etwas schlecht wegen der vielen Flüge, die ich nehme und genieße die leichte Nähe der Frau neben mir, die ihren Arm an meinem hat ohne dass es jemanden von uns stört. So sehr man auf nicht-Nähe zu Männern achten muss, so wenig muss man sich Gedanken machen, wenn eine Frau einen länger als gewohnt berührt - wie etwa gestern beim Fest, als eine mir völlig unbekannte Dame gefühlt ewig die Hand um meine Hüfte gelegt hatte. Ich schaue von oben auf die weichen Wolken. Der Abendhimmel liegt pastellfarben wie ein Rothko vor mir. Meine Sitznachbarin bietet mir ihr Essen an. „Danke, ich hab“, sage ich lächelnd und hole mein Flghafenessen raus, das ich von meinen letzten pakistanischen Rupees gekauft habe. Ich hatte 40 Rupees zu wenig (ca 20 Cent) und der Verkäufer winkte ab. Take it, you are our guest. Ein anderer Mensch im Café bemühte sich, für mich zu zahlen, ich sagte ich nehme etwas anderes, er sagte: in Pakistan wirst du immer eingeladen. Ich sagte: ich weiß, deswegen muss ich jetzt extra ablehnen, damit ich nicht alles geschenkt kriege. Wir lachen beide.


Als ich in Mumbai aus dem Flughafen komme, finde ich hinter einem großen Parkhaus einen Bus der zu einer Zugstation fährt. Über Google Maps schau ich, ob ich einigermaßen richtig liege. Für 60 Rupies (jetzt indische, ca 70 Cent) komme ich mit dem Zug in die Stadt - und sehe aus der Zugtür die sich wandelnde Stadt, die ich nur aus „Shantaram“ kenne. Kleider liegen zum trocknen auf den Gleisen. Chaetassen werden aus dem Fenster geschmissen und zerbrechen klickernd auf dem roten Boden. Hochhäuser neben Wellblechhäuschen. Mumbai erscheint mir riesig und hässlich und schön zugleich. In den zwei Stunden, die ich hier bin, wurde ich noch keinmal angesprochen. So anders als in Delhi. Ist es, weil ich mit dem public transport in die Stadt bin?! Oder ist es hier einfach anders als im Norden? Ich weiß es (noch) nicht. Ich weiß nur, dass ich hier gerne bin, fühle Freiheit und komme mit meinem Hindi-Urdu gut zurecht - obwohl ich so viel südlicher bin.


Die Abendluft von Goa ist warm. Ich handele, als ich ankomme, zum erstenmal und versuche herauszufinden, was angemessene Preise sind ohne geizig zu wirken. Vieles ist teurer als in Pakistan aber auch teurer als in Nordindien. Wegen den Touristen, erklärt man mir später. Und weil während Corona wenige da waren und Mohdi mehr auf lokalen Tourismus setzt.


Am nächsten Morgen laufe ich durch Vasco Da Gama (was für ein Name!) und hole mir einen Chae. Hier sind tatsächlich keine Touristen - an den Stränden wahrscheinlich eher. Meine Lippen bleiben an der kleinen heißen Tasse kleben. „You can throw it later ma’am“, sagt mir der Verkäufer grinsend und ich schaue die hübsche Tontasse wehmütig an. Als ich sie später auf den Boden schmeiße, zerbricht sie auch mit einem leichten „Klack“. Ich sehe dem zerbrochenen Ton auf dem Lehmboden nach und denke: das war wahrscheinlich der nachhaltigste To-Go Becher, den ich je hatte. Neugierig schauen die Leute mit dabei zu. Jeder sieht, was ich mache - ich bin eindeutig ein Fremdkörper hier.


Es folgen 3 Stunden Busfahrt. Ich packe brav meinen Müll in den Rucksack. Die Frau neben mir wiegt bestätigend den Kopf und lächelt dabei. Ich erreiche Arambol Nachmittags und treffe auf eine wunderbare Community, an die mich eine Freundin weitergeleitet hat. Jetzt bin ich nicht mehr so fremd. Nachts gehe ich zum erstenmal ins Meer. Mein geliebtes Meer. Ein großes schwarzes Nass vor mir, über mir leichte Blitze - hoffentlich nur Wetterleuchten - und unter mir Undercurrent. „Ich geh auch nicht weit rein, versprochen“ sage ich und überlege, ob es gefährlich ist. Unter mir zieht es angenehm, nicht zu stark, aber die Wellen schubsen mich gleichzeitig auch zum Strand zurück. Ich kenne das Meer, denke ich - oder möchte ich gerne denken. Die Natur ist immer stärker und auch über das Meer weiß ich nicht alles. Hinter mir klingen beruhigend die zarten Beats des Freedom Cafés. Kleine Krebse verschwinden überall im Sand. Das Meer ist so sanft. So warm und so schön und so wild zugleich. Ich verstehe, dass man in Goa einfach bleiben kann. Manchen sieht man gar nicht an, ob sie hier vier Tage oder vier Jahre sind. Ich singe Mantras, mache Chae und quatsche viel mit Leuten. Soll ich Weihnachten verpassen? Und den Winter? Vermisse ich Berlin?


Mein Husten wird aber auch nicht besser. Immerhin gewöhnt sich der Körper nicht ganz ans Klima und zeigt, dass es nicht nur einfach ist, hier zu sein. Ich besuche noch eine Freundin in Canacona und freue mich über die elbischen Namen der Strände: Patnem, Palolem, Talpona...


Als ich vier Tage vor Weihnachten schließliche zurück nach Vasco gehe, wird mein Flug gecancelt. In einem undurchschauberen Dickicht von Männern erkämpfe ich mir eine neues Ticket über Hyderabad statt Ahmedabad. Ich bin jetzt schon vier Stunden am Flughafen und gönne mir meinen ersten Kaffee seit drei Wochen. Chae und Kaffee kosten drinnen 300 Rupies - draußen ist ein Chae 20 Rupies. Ist es zuhause auch so ein riesen Unterschied?! Ich glaube nicht - höchstens das Doppelte. Vielleicht ist es hier so, weil Menschen, die sich Flüge leisten können und so unfassbar viel mehr Geld haben, als die meisten anderen. Riesengroße Ventilatoren fächeln von oben Luft zu und sehen dabei aus wie große Spinnen. Mir ist kalt. Aber den Husten habe ich inzwischen fast wegmeditiert. Laura hat mir noch Ayurvedische Medizin gegeben und den Tipp, wirklich täglich zu meditieren. „Ich glaube, das täte dir gut!“. Das glaube ich auch. Seit ich damals mit 16 im Bus zu einer Demo nach Florenz Kamal zum erstemal meditieren sah und es komisch fand, weil ich nicht wusste, wo er ist innerlich, ist es für mich über die Jahre so normal geworden - zum Glück. Vielleicht ist es mein Beten. Wahrscheinlich ist es am Ende dasselbe. „Die Welt ist rund“, sagt Manu, als ich ihm in Arambol tschüss sage, und: „We will see each other“. „I hope so“, sage ich und wünschte, ich hätte auch nur 20% der Gewissheit, die er zu haben scheint, als er mich strahlend anschaut und sagt: „Life is simple, Maria, it’s really simple!“.


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