Montag, 5. Dezember 2022

Habichte über Karachi

10 Tage Karachi. Ich habe einen Schnupfen bei 28 Grad. Zoheb sagt, das kommt vom Staub der Ventilatoren, die hier immer laufen. Die Luft, der Tee, die Musik. Ich bin zurück - nach fast vier Jahren. Ich liebe Pakistan so sehr und gleichzeitig hab ich tausend Fragen, wenn ich um mich schaue und fast nur Männer auf der Straße sehe - zumindest nachts, Tags ist es besser. Wann und wie verändert sich eine Gesellschaft? Wie fühlt es sich für die Frauen an, so viel drinnen zu sein? Ich bleibe auch zuhause - außer wir gehen zusammen weg. Könnte ich spazierengehen? Wir wissen es nicht. „Normally you go somewhere when you have a purpose“, sagt Zoheb, „not just for fun“.

Ich weiß gar nicht, wie ich über meine Erlebnisse hier schreiben kann, ohne dass es sich aus einer privilegierten, weißen Sicht heraus komisch anhört. Vor 15 Jahren war es noch einfacher, so loszuschreiben. Jetzt habe ich die 10 Jahre Humboldt-Uni, mein kritisches Berlin und die ganze Perspektiven-Problematik im Hinterkopf. Allein dass ich hier sein kann, ist mir unangenehm. Flüge buchen, Reisen planen, während vor mir die Haushälterin den Boden wischt. Es ist alles so paradox. Ich weiß, dass es das auch in Berlin ist, aber dort sehe ich es nicht immer. Später mache ich ihr einen Tee. Wir haben gute Gespräche und mein etwas eingerostetes Urdu kommt wieder hoch. Für 2,5 Euro kriegt man in Berlin ein Naan, hier bekommt man dafür fast 30 Naan. Jeder Euro, den ich zuhause zuviel ausgegeben habe, macht mich nachdenklich. Es ist gleichzeitig aber eine herrliche Fröhlichkeit, mit der mir die Menschen hier begegnen. Voller Interesse und Fragen. Manchmal sind mir die Blicke zu lang oder zu viel, aber dann sag ich mir, dass ich wirklich sehr anders aussehen muss in meiner Umgebung. Schon im Flug war ich fast die einzige weiße. Ich beantworte die Fragen gerne. Und stelle selber welche, von denen ich weiß, dass sie funktioniert haben: wieviele Geschwister hast du? Wo bist du aufgewachsen? Bist du verheiratet? Kinder?! Ich nehme es nicht mehr so schwer wie früher - es ist einfach eine Art, sich auszutauschen.

Zum Sonnenuntergang gehe ich hoch aufs Dach, wo es ganz still ist bis auf die Geräusche der Straße und der Vögel. Das leichte Licht, die Habichte, die Gebete.

Hier oben ist es so ruhig. Als wär die Welt im Frieden. Mein tägliches kleines Stück Himmel. Es geht ja auch nicht darum, viel zu erleben momentan, sondern die Familie zu sehen. Und da erlebt man oft noch viel mehr. Morgen fliege ich nach Lahore und hoffentlich auch nach Roshni. Am Samstag geht es zurück nach Karachi und von dort aus nach Goa. Wie anders es Indien sein wird, als alles, was ich hier erlebe. Irgendwie wünsche ich für Pakistan mehr Reisende und irgendwie auch gleich wieder nicht. In 10 Tagen habe ich keinen Touristen gesehen. Aber das ist auch Karachi.

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