Sonntag, 27. November 2022

For the Farmers

Obwohl es ein trauriger Anlass ist, bin ich froh, dass ich fliege. Wir besuchen Zohebs Familie in Pakistan, weil es seiner Mutter nicht so gut geht. „Nimm vielleicht auch was weißes mit“, sagt Zoheb. Ich bewundere seine Ruhe und Ausstrahlung dabei. Er ist gestern schon geflogen, ich packe alleine. Suche “Wetter Karachi" und finde nur Sonne. Karachi kennt keinen Regen. “Nimm aber einen gemütlichen Pulli mit”, sagt Zoheb beim ersten Anruf, als er schon gelandet ist. Ich nicke und weiß auch schon welchen…

Ich freu mich richtig, wegzufahren - und dass wir endlich seine Familie wiedersehen. Und ja, ich freue mich auch auf Pakistan, Urdu zu sprechen, bei Kolachi zu essen, vielleicht sogar wieder in die Berge zu gehen, wenn es geht! Aber noch bin ich in Deutschland. Vom tieferem Lebenssinn ergriffen wippe ich fröhlich richtung Gesundbrunnen und suche Augenkontakt zu den Menschen. Wen kann ich hier grüßen? In meinem eigenen Land fühle ich mich oft fremder, als auf Reisen. Die morgendlichen Straßen Berlins sind fast leer - und trotzdem schauen Menschen, denen ich zunicke (wir sind immerhin zur selben Zeit hier) leise weg. Wer weiß, was ich tun könnte. Schade. Ich hätte ein „Guten Morgen“ auf den Lippen gehabt. Guten Morgen und noch so vieles mehr…


Am Flughafen geht das lustige Sprachspiel dann endlich los (ich sollte doch Barkeeperin werden!). Sobald die Leute merken, dass ich gerne Unsinn rede, sagen sie auch so lustige Sachen: bei der Security, während ich meinen sorgsam zuhause abgefüllten O-Saft leere: „ist da noch was anderes drin?!“, will die Frau am Rollband wissen. "Bisschen Vodka, gegen die Aufregung!“ sage ich augenzwinkernd. Sie lacht schallend los. „Das war aber eine dreckige Lache!“, sage ich, nachdem ich kurz abgewogen habe, ob wir schon auf der Ebene sind. Keiner sagt was, sie grinst verlegen. War die Ebene doch noch nicht da, denk ich mir, aber der nächste Versuch kommt drei Schritte weiter. Ich werde freundlich abgetastet. „For the farmers?!“, liest die nette Dame rätselnd von meinem Pulli ab. „Ja“, sage ich und überlege, welche Form der Erläuterung keine Überlänge für sie bedeutet. „Ich bin immer für die Bauern, die machen ja alles…“, fange ich an, mir im Klaren darüber, dass ich die konventionelle Landwirtschaft gerade miteinbeziehe - aber für einen Gesprächsanfang vielleicht ganz gut. „Alles..., ja…“, sagt sie, weitertastend und vielleicht darüber sinnierend, ob Bauern wirklich alles machen oder ob ich irgendwas Verbotenes bei mir habe - ich werde es nie wissen. „Und die speichern durch ihre Arbeit auch ganz schön viel Carbon im Boden, das ist dann gut gegen den Klimawandel.“ Ich beeile mich beim Sprechen wie eine Verkaufsmaschine. Vielleicht waren das jetzt zu viele Worte. „Nicht erschrecken, ich geh kurz an Ihre Hose“, sagt sie freundlich und bestimmt und ich denke, das könnte auch ein guter Satz für eine Party sein: „Nicht erschrecken…“ ich finds lustig. Aber sie hat abgelenkt. „Das ist so eine Organisation,“ versuche ich noch hinzuzufügen, „…“. Sie winkt ab. „Solange die sich nirgendwo festketten, diese Klimaaktivisten - das ist dann nämlich wirklich zu viel!“ „Ja das ist echt zu viel“, wiederhole ich halb in Gedanken halb ironisch und versuche sie auf diese Weise wieder für mich zu gewinnen. „Aber die hier sind ganz legal“, füge ich schnell hinzu und zeige auf mein Climatefarmers-Logo, wissend, dass unser kurzes Gespräch sich jetzt dem Ende neigt. „Ich wünsche ihnen noch viel Erfolg“, sagt sie knapp und kurz fühlt es sich an, als würde mir eine große Firma gehören. Dann besinne ich mich, dass mir nur der Pulli gehört - und nicht mal der. Alle Securities wünschen mir einen schönen Sonntag, als ich gehe. So unterschiedlich können die Ebenen nicht gewesen sein. Mich erinnert die Unterhaltung an meinen Biologiekollegen, der eine Stunde zu Konventionellen Landwirtschaft geben wollte und die erste Meldung, die er hatte war: "Was bedeutet Landwirtschaft?". Wir müssen noch viel mehr tun.



Beim Weitergehen kommen mir viele vertraute und auch unbekannte Gerüche entgegen. Der Duty free Shop, die Parfüme, anderes Essen. Ich freue mich plötzlich auch auf die Gerüche Pakistans! Ich höre neue Umgangstöne. „Yes, my Darling!“, tönt es hinter mir, „Please, Sweetheart.“, sagt eine fesche Dame in einem für Deutschland völlig übertriebenen Ton. Ich ahne schon, dass sie diese zuckersüßen Bezeichnungen einer ihr fremden Person zuwirft. Als ich zum dritten mal „My Darling“ höre, drehe ich mich kurz um, nur um mich zu vergewissern. Eigentlich warte ich noch auf „my Love“ und möchte das entweder irritierte oder fröhlich-überraschte Gesicht des mitte-fünfzigjährigen Security Mannes sehen, der in ihrem Rucksack wühlt für einen random Check. Strahlend frage ich sie, ob sie aus den USA käme, dort würde ich das kennen. „No, I’m from the UK“, sagt sie und zeigt mir dieselbe liebevolle Zuwendung wie eben dem Beamten. „But I know - we’re terrible like that“, sie macht dabei eine leichte Handbewegung nach unten. “No, but I really like it!”, sage ich und zwinge mich zu gehen - ich wollte sie ja nicht überfallen und muss auch noch einen Flug kriegen - nicht, dass es wieder so wie in Thessaloniki wird. „Have a wonderful time!“, sagt sie überschwänglich. Ich grinse. Ich gehe. Endlich grinsen mich auch alle anderen, Entgegenkommenden an. Meine grinse-Aura ist aktiviert. Ich tanze noch ein bisschen - aber nicht zu viel. Es ist ein feines Hin und her zwischen Interesse und Ablehnung, das ich in meiner Umgebung hervorrufe. Ich tu mein bestes, um auf der Interesse-Seite zu bleiben. Und dann tanz ich einfach für mich selber. Soviel Platz, der muss doch betanzt werden, denke ich mir, und schaue nur im Augenwinkel, ob ich die Wartenden auf den Istanbul-Flug dabei störe. Ich möchte mich so bewegen als Frau, wie ich will. Immer so - in den Platz hinein. Ich merke, wie Erinnerungen wach werden. Wie Männer sagten: Du hast dich ja auch so viel bewegt, da musst du doch damit rechnen, dass er dich angequatscht - als ich BEIM TANZEN, in einem von sich im höchsten Consent denkenden Tango-Ort, so belästigt wurde - mit meine Hand zu sich ziehen nach 5 Mal “Nein” sagen und allem. Es klingt mir nach. Du hast dich doch so viel bewegt. Klar bewege ich mich. Weil ich lebe. Ich bin gespannt, ob und wie meine Bewegung auf der Reise eingeschränkt wird. Ich erinnere mich, dass es oft stufenweise kam. Erst Istanbul, dann Pakistan. Aber innen kann man immer tanzen.


Nach dem Boarding tritt endlich die von mir heißgeliebte Ruhe des Abflugs ein: Philipp Poisel auf den Ohren, Morgensonne auf Berlin, alte Szenen im Rückblick, Leben, Gefühle, Augen zu,  Flugmodus an.

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