Donnerstag, 20. Dezember 2007

am Kaminfeuer zu lesen

Einmal mehr in einen Traum gefallen. Schnell schreiben, bevor mir alles abhanden kommt.

Ich hatte doch von den Gärtnern erzählt, von den Ungebildeten, und von den Villagers. Nach dem Fußball also gehen Matze und ich wie gewohnt joggen. Ich brauche einfach dieses bisschen Bewegung am Tag. Und der Gärtner auch, deshalb joggt er jetzt immer mit.
Meri ghar jãnã? (to my house?), ich mag eigentlich nicht, bloß weil ich eine alleine Frau und er ein mir im Prinzip unbekannter Mann ist, denken müssen, dass er mir doof kommen könnte (obwohl das hier so ist, wie man mir sagt), aber wir haben auch Farooq den Betreuten bei mir und ich bin nicht sicher, ob das ok ist. Ich sagte kal (morgen). Heute ist also besagtes Morgen und wir (jetzt Matthias, Manner – so heißt der jüngste Gärtner – und ich) befinden uns wieder am Dorfeingang. Meri ghar? Acca (gut), calo ji. Und schon sind wir durch einen Torbogen, über Lehmboden, Mäuerchen und wieder Tobögen in eines der niedrigen Zimmer gelangt, die man sonst nur durch einen Türspalt von der Straße her sehen kann. Wir sollen uns setzen (bait jao!), von einem der umherstehenden Betten (chapoi) werden die Kinder verscheucht, welche nun Alarm schlagen sodass die Nachbarskinder gelaufen kommen um einen Blick auf die Fremden zu erhaschen, einmal schüchtern meine Hand zu schütteln. Der Cãe wird vorbereitet. Ich frage, ob diese Kinder Manners Geschwister sind. Nein, lacht er, bacche chachi haen. Acca, wir sind also erst im Haus seiner Tante. Der Cãe ist fertig, ob wir denn auch etwas essen wollen? Nein, bohot shukryia, wir essen in Roshni. Einer der Jungs kann etwas Englisch und übersetzt ein paar Worte. Durch eine kleine Tür kommen wir in die nächste Wohnung.

Wo soll ich stehen im Raum? Nein danke, kein Tee, wir hatten gerade! Wie begrüße ich die Menschen, wie zeige ich Respekt vor dem Alten an dem wir uns vorbeiquetschen müssen, bevor wir uns setzten? Ich senke meinen Kopf. Er legt mir die Hand auf die Stirn. Das habe ich hier schon öfters gesehen. Die alten Frauen geben mir beide Hände, ich ihnen die Rechte. Den Männern eine zum Herz geführte Geste mit der Hand, der Blick wird gesenkt, wir sind schließlich auf dem Dorf! Die Frauen sind etwas stürmisch und wollen mich gar nicht mehr gehen lassen, Fragen über Fragen. Nein, ich habe noch keine Kinder! Erst jetzt erkenne ich Adnan, einen meiner Drittklässler, der ganz still auf dem anderen Bett sitzt. Ich lach ihn an und sage der Familie, dass er schon tori tori (wenig wenig) Englisch spricht (was er am nächsten Tag stolz in der Schule erzählt).

Im nächsten Haus wird Matthias eine Wasserpfeife angeboten, an der auch ich ziehe. Das ist hier eigentlich Sache der alten Männer, die mit ihren hennagefärbten Bärten und elegant gewickelten Tüchern um den Kopf tagein tagaus auf ihrem Chapoi sitzen. Ich möchte wissen, wie das schmeckt und was da drinn ist, das hier ist meine einige Chance vielleicht. Lachen. Wasser, sagen sie mir (pani). Es kratzt im Hals. Was ist oben drinn, frage ich. Agh (Feuer). Ich habe das Gefühl, eine Shisha ohne Geschmack zu rauchen. Was ist dazwischen? Chini (Zucker). Kya? Ja, Zucker, das was wir auch in den Cãe tun. Was noch? Tabak. Acca ji. Die Kinder kichern. Or (mehr)? Bas, das ist alles. Manner ist schon wieder aufgestanden, es geht weiter. Ich merke wieder einmal, wie tolerant die Menschen uns gegenüber sind, all meine Unpässlichkeiten werden mit einem Grinsen verziehen.

Draußen unter der Treppe brennt ein Feuer, eine Frau macht darauf Rooties und will mit gleich einen geben. Nein danke, ich esse in Roshni. Cãe? Auch nicht, ich muss weiter. Bleib! schau Dir doch unsere Ziegenbabys an! Acca ji. Eins liegt in der Ecke neben dem Feuer, eins unter dem Bett. Aber in der Nacht darf es nach oben zu den Kindern und der Chachi. Hier brauche ich eine Weile, bis ich verstehe, was die Frau mir sagen will. Die Ziege heißt Lelli. Lelli kann eigentlich froh sein, denk ich mir, die wenigsten Tiere im Dorf haben einen Namen.

Manner ruft, ich springe übers Mäuerchen,ernte verwunderte Blicke und bin in seinem Haus. Hier ist es sauberer als in den anderen Zimmern dieses Dorfes, wo ja ein Haus ins andere übergeht. Man munkelt, dass Manner Land besitzt und das bedeutet hier sehr viel. Hinter dem Türbogen steht sein Bruder Ehsan - einer meiner frechsten Schüler. In letzter Zeit habe ich ihn aber sehr lieb gewonnen. Ob das daran liegt, dass er Manners Bruder ist und dieser schnell rennen und mir Bambus schneiden kann, oder weil der Junge als einziger in der Klasse die Uhrzeit wusste, als ich die Zeiger auf viertel vor drei gestellt hatte (no, it’s not quarter past three!).

Wir sind wieder draußen, auch diesmal kein Cãe – wo kämmen wir denn da hin? Außerdem ist gerade Stromausfall und Manner muss das Notlicht holen. Wir wechseln die Straßenseite. 20 Kinder wechseln die Straßenseite. Pferdekutschen halten an, „angrezi angrezi“ hör ich jemanden rufen. Aber wir sind doch keine Engländer! Maria, ither ao! Oh, noch mehr Besuche. Kopf einziehen. Ich finde mich vor einer müden Frau wieder, die - ein Kind im arm - auf ihrem Bett liegt. Ist es ein paar Wochen (hafta) alt? Monate? Nei, hafta nahin, tin din! Was? Drei Tage? Ich senke die Stimme und komm mir plötzlich dumm vor, dass dem Kleinen das Neonlicht ins Gesicht scheinen muss wegen uns. Wir gehen wieder. Im Hof stehen Kühe und Manner zeigt uns das Futter, was sie brauchen um Milch zu geben. Ja, das kenn ich, Kühe gibt es in Jermani auch. Aber das hier ist die Milch, die wir in Roshni immer trinken. Acca, das wusst ich nicht. Und wusste auch nicht, dass ich mit meinem bisschen Urdu soweit kommen kann wie heute. Mit Händen, Füßen, mit Lächeln und Kopf senken, mit jungen und alten Leuten – nur mit den Männern nicht (Wie war noch mal der Name deiner Frau? Und sie unterrichtet Englisch?) Während die Frauen mir so viel sagen wollen, dass meine Sprach- und Mimikkapazitäten völlig überfordert sind. Wir sind wieder am Dorfausgang. Über uns hängt ein Banner, das ich genäht habe, auf dem die Eröffnung des Roshni-Shops angekündigt wird (zum Verkauf der in den Workshops produzierten Spielsachen und dass einige Betreute dort arbeiten und Kontakt mit den Villagers aufnehmen können). Was für ein Bild haben die Leute hier von Roshni? Wahrscheinlich wissen sie davon ebenso wenig wie ich vom Alltag meiner Schüler. Roshni, ein Ort wo wohlhabende Fremde ein und ausgehen, sich um „spezial people“ kümmern und in der Schule arbeiten. Die Schule kennen natürlich manche der Dorfkinder. Deren Mütter sehe ich heute jedoch zum ersten Mal. Und sie mich: Eine kleine weiße Frau, die in ihr Haus reinspaziert, rausspaziert und versucht recht höflich und herzlich zu sein. Außerdem hat sie heute, weil sie ja gejoggt ist, keinen Schal an (der doch zur sittlichen Kleidung gehört). Koi bath nahin (doesn’t matter) sagt Manner und lacht, schließlich bin ich ja ein foreigner.

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