Freitag, 23. November 2007

im Blaubeerwald

Mein Unterricht geht in die sechste Woche. Mein Aufenthalt hier in die achte. Ein Tag vergeht nach dem andern ohne dass ich ihn daran hintern könnte (was ich auch nicht wollte). Morgens liegen die Winternebel jetzt so dicht, dass ich aus dem Fensterraus nichts mehr sehe (das Haus bekommt gerade ein Dach). Wenn wir dann in die Schule fahren und der Dunst sich lichtet, erkenne ich zumindest einige Kinder, die mit Blumen auf mich zulaufen. Teacher Maria, teacher Maaria! Du musst gar nichts tun und sie mögen dich einfach. Warum ist das so bei Kindern? Und weil ich jedes einzelne nach und nach so lieb gewinn (nach und nach, weil ich es nicht schaffe, 18 Kinder gleichzeitig zu beachten – und kenn nichtmal alle Namen), fehlt mir oft die notwendige Strenge. Dann fühl ich mich wie Hänschen im Blaubeerwald – mit meinem Korb voll Kreide die an die Tafel gemalt werden will und einem Stimmengewirr von mir unverständlichen Worten, die an meine Ohren wollen. Wenn ich aufhör zu lächeln, verheißungsvoll Stift und Papier nehme um einzelne Namen aufzuschreiben, wird es mucksmäuschenstill. Leider passiert mir das zu selten. Kann ich denn bösen sein, wenn ein Mädchen mich mitten im Unterricht umarmt und tanzen will? Staubtrocken „ber jao!“ sagen und weitermalen?

Einem Jungen hätt ich auch gern mal mehr Aufmerksamkeit gegeben und das ist Basheer (Photo rechts). Er wohnt inzwischen wieder bei seiner Familie, auf der Straße sozusagen. Weil er lange mit den Hannesens zusammengewohnt hat, spricht er Deutsch. Die Sprachbarriere zwischen uns existiert also nicht – welche dann? Es gab bisher erst einen Abend, an dem ich mich ihm widmen konnte (oder er sich mir), da saßen wir in seiner Höhle aus Tüchern und Decken und ich hab ihn Portraitiert. Das war wie eine Fraundschaft. Jetzt sagen wir uns nur in der Schule kurz hallo und er fragt mich immer, wann ich ihm Fotos von ihm in Roshni geben kann. Aber ich komme nicht dazu, sie zu drucken und komme nicht dazu, mit ihm auf Bäume zu klettern - oder es kommt nicht dazu. Und in seinem Grinsen ist immer auch was trauriges.

Die Tage sind also bis zum Rand gefüllt, es wird früh dunkel und nach dem Abendessen gehe ich in die Bäckerei um Server bei den Broten zu helfen (neue Bestellung von der Metro). Wenn ich da bis halb zwölf stehe und mich noch ärger, weil ich die letzte Nacht wieder um vier wachgebetet wurde, und mich ärger, dass ich kaum richtige Zeit für mich habe oder nehme und mich ärger, dass man seinen Ärger hier verbirgt, muss ich mich fragen, wann ich halt sagen würde. Einfach schlafengehen. Ohne die Brote. Aber Server steht dann da bis eins. Ist ja auch nur ein Angestellter. Fast so wie der Nachtwächter, der alle zehn Minuten in die Pfeife pfeifen muss, damit wir wissen, dass er nicht schläft. Und der immer wartende Fahrer (der zudem allerhöchstens mal 60 km/h fahren kann wegs der Straßenbeschaffenheit). Aber vielleicht ist es ganz falsch, Mitleid zu haben – für die ist das alles so normal und wenn man darin aufwächst fragt man sich wahrscheinlich nicht, weshalb der Gärtner das Haus nicht betreten darf. Und wieso wir eigentlich nicht mit ihm reden sollen. Der ewige Gärtner…

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