Sonntag, 18. November 2007

Wenn einer auf seinen Auftritt wartet

Mein Herz ist so voll. Wie wenn man einen Strauch Rosen vor sich hat und daran riechen kann. Wie eine Schulter zum anlehnen. Und dann ein Kopf, der sich dagegen lehnt. Zurücklehnt sozusagen. Das war mit Anum auf dem Rückweg vom Ladenopening. Heute war ein Abend ganz für mich. Es kam so, dass Roshni in der Stadt einen Laden für die Produkte aus den Werkstätten eröffnet hat. Das war auch schon sehr bewegend und gab mir wieder einen Haufen Denkstoff und geredet wurde viel und sich bedankt, dass die Deutschen hier sind als Gäste, trotz der vielen Warnungen und dass es doch friedlich sei hier – ja, ist es und die Menschen sind freundlich und froh, aber solltet ihr euch nicht lieber bei denen, die das Brot mit den Behinderten backen bedanken und bei denen, die sie täglich waschen? Dann kamen auch schon unsere Blumen vom Minister der Industrie-und Handelskammer. Schuckria. Viele Reden also, anschließend Chai und dann das, weshalb ich heute überhaupt schreibe: Neben dem Laden wohnt eine Zauberhafte Familie. Zauberhaft auch im Sinne von mysteriös, neblig und fast düster. Die Geschwister tragen schwarz, das eine Kapuzenpulli und Jeans, das dritte wiederum ganz konventionell bunt im Chewarcamis. Beim ersten Sehen des zweiten wusste ich nicht, ob es Mann oder Frau ist. Dafür ist das Verhalten von allen aber auch sehr offen und echt. Und es sind Künstler! An der Wand hängen Bilder, die mich an Margritte erinnern, weil sie von Schatten erzählen, die man nicht sehen kann (seit wann können Bilder eigentlich erzählen?). Sie sind von der ältesten Schwester. Die singt und tanzt (und möchte alles über Eurythmie wissen), die andern beiden filmen und lachen – während sie abwechselnd Kinder auf dem Arm haben, von denen ich nicht weiß wer wessen ist. Und der jüngere Bruder spielt Gitarre. Das kann ich aber erst hören, wenn ich wiederkomme, sagt er mir, weil er nicht gern unter so vielen Gästen ist. Versteh ich. Ich zähl die Leute im Raum und komm auf knapp dreißig. Die Mutter aller Kinder, eine Dame gehobenen Alters mit langen grauen Haaren, hat einen Kulturaustauschenen Abend vorgeschlagen. Ein Lied aus Pakistan, eins aus Deutschland. Ein Tanz, ein Film, ein Gespräch über den Inhalt all dieser Dinge und schließlich auch über den Inhalt unseres Lebens und dessen Nichtigkeit angesichts dessen, was danach kommt. Wie wenn einer auf den Bus wartet und denkt, das warten ist schon alles. Dass aber nach dem Tod die Reise erst losgehen soll wollt ich nicht denken und Du wärst ja auch nicht einverstanden gewesen! So hat also an diesem Abend jeder seins gesagt und aufgeführt und Matze und ich (mit guter Dreaghtnutgitarre) haben noch ein kräftiges „we schuv ne ze“ gesungen und alle zusammen haben wir ein Liebeslied in Urdu gesungen und und und. Und das ist, warum ich schreibe, dass es mein Abend war. Wenn jemand einfach nur mit seiner Stimme aus dem Herz raus singt. Oder redet oder wasauchimmer, dann kann es mich fast weinen machen. Wenn sich jemand so richtig mit dem verbinden kann, was er tut. Es hat z.B. auch einer Kalkatta oder wie das heißt getanzt und alles perfekt gekonnt, hat mich aber kaum berührt. Und heute kam eins nach dem andern direkt von den Menschen, die da saßen und sich angeguckt und angelächelt haben und intensivste Kulturtauscher waren. Ich will wieder zu dieser mysteriösen Familie – auch ohne Ladenopening und Gäste – ich will doch noch den Bruder mit der Gitarre hören.

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