Dienstag, 6. November 2007

Lahore

So, wieder im Netz. Das wurde noch nicht gekappt. Diverse Fernsehsender können nicht mehr empfangen werden, unserer englischen Mitarbeiterin wurde von der Botschaft empfohlen, nicht aus dem Haus zu gehen - vorgestern (vorvorgestern?) wurde der Notstand ausgerufen. Was das bedeutet, wissen wir auch nicht. Es kümmert wieder niemanden besonders. Das Leben geht weiter. Keiner fragt, was oben beschlossen wird und warum, keiner macht sich Sorgen oder recherchiert. Also machen wir hier auch weiter. Es heißt in Lahore gibt’s Krawalle – heißt vielleicht Demonstrationen, Streiks. Wir bekommen nichts davon mit. Was wirklich vor sich geht, kann man ja kaum wissen, aber zumindest beobachten, was offiziell in der Politik, im Volk geschieht, das sollte doch selbstverständlich sein, finde ich! Man sagt mir, das gehört auch dazu, dass es eben nicht so ist.
Na gut. Ich dusche morgens kalt. Mit den Schülern komme ich zurecht. Ich kämpfe nicht mehr so sehr mit dem Zweifel, ob es Sinn macht, hier zu sein. Schon hatte ich mir ausgemalt, nach Indien zu juckeln, in die Berge und in die Städte, dann nach Caspar (wo isn das?) – und heute denke ich wieder, wie dumm ich währe, von hier wegzugehen – wie viel ich hier lernen kann, erfahren kann, und in die Tiefe gehen (wie tief sind eigentlich … Tiefen?). Manchmal ist es auch ganz umwerfend schön, wenn die Kinder wieder etwas gelernt haben. Ich weiß wahrscheinlich auch gar nicht, was für ein Wunder es ist, dass ich wirklich hier unterrichten kann, Lehrerin bin. Mir mehr und mehr vorstellen kann, was dieser Beruf bedeutet, der gemäß Marichens-Freunden-und-Bekannten ja zu mir passen würde. Ich glaub das im Moment nicht. So viel Verantwortung…

Aber ich wollte von Lahore schreiben – das ist ja jetzt auch schon wieder her… Lahore ist ein einziges Märchen. Nicht immer und nicht überall, aber in der Altstadt kann man einfach nur staunen und sich darin verlieren, seine Sinne zu benutzen. Jede Ecke riecht anders, jede Straße klingt anders. Hier findet das ganze Leben statt. In den Geschäften, davor und dahinter oder auch darüber in den Moscheen. Die Menschen drängen sich durch enge Straßen, Männer versuchen, mich ja nicht zu berühren, Frauen sagen hingegen hello und how are you und you look so beautifull!! Danke, Du Du bist aber auch sehr schön! Hier herrscht ein anderes Kaufsystem, erklärt mir Philipp, der Märchenerzähler. Eine Straße ist voller Töpfe (auch ganz große, falls ich dann meine zehn Kinder habe), eine andere voller Spielsachen – alles Plastik. Dann kommt die Stoffstraße, in welche sich auch die bunten Armreifen schummeln. Hier klingelt der Eisverkäufer, da der Popcornmann. Ein anderer ruft, dass wir seine Früchte kaufen sollen, die ich doch noch nie in meinem Leben gesehen habe. Man sagt, sie wachsen im Wasser. Ziegeköpfe hängen von oben herunter, hier wird vom Tier alles verwertet, alles gegessen. Es riecht nach Verwesung, aber nicht wegen der Ziegen. Vielleicht eine tote Ratte im Staub. Oder ein Hai. „Frischer Fisch, Frischer Fisch!!“ Dann werden alle Gerüche, auch die, die aus den vollen Gewürzsäcken kommen, übertüncht von den Ölen. Kleine und große Flaschen, kostbare und billige stapeln sich und verstreuen alle möglichen Düfte. Sie erinnern mich an „Das Parfüm“. Ich merke plötzlich, dass ich eine Nase hab. Und Ohren. Und Augen natürlich, aber wenn ich mit denen zu viel um mich guck, verrate ich mich. Dann merken alle, dass ich nicht von hier bin und tuscheln und lächeln mich an und halten mich an. Es ist besser, so zu gehen, also wüsste man wohin, sagt Philipp, dann kann man unsichtbar werden. Und dann einen Sack voll Linsen, Frittiertes Gemüse, einen Kinderblick, ein Streitgespräch, ein Gebet aus dem Lautsprecher einfangen und mit sich nehmen. Alles kann man eh nicht mitkriegen – auch wenn man das manchmal so gerne wollte: alles auf einmal und davon ganz viel. Aber für das neu-gierige Mädchen aus dem Westen ist in diesem Moment alles da in der Altstadt von Lahore.

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