Montag, 26. März 2012

Als das Wasser kam

Weit hinter Gilgit, hinter dem Killing und den Kirschblueten, hinter dem friedlichen Karimabad, von dort ca. zwei Stunden weiter richtung China, fuehrt der Karakoam Highway ins Wasser. Dort liegt der 21 km lange Attabad-See. Still und bergblau, als waere nichts gewesen. Aber dieser See ist eine Katastrophe. Er hat sich infolge eines grossen Erdrutsches aufgestaut und versperrt das Tal seit nunmehr zwei Jahren. Der ganze Ueberlandverkehr zwischen China und Pakistan muss das Wasser ueberwinden, d.h. von den Trucks auf Schiffe und von Schiffen wieder auf Trucks verladen werden. Fuer Hunza ist deshalb eine Teilreisewarnung ausgesprochen, weil der Damm jederzeit brechen und der See sich ins Tal ergiessen kann. Reisewarnung heisst, dass meine Versicherung nicht mehr gilt. Bin ich bei einer Teilreisewarnung halb-versichert? Doch als ich den See sehe, denke ich nicht mehr daran. “Mashallah!” (Wunder Gottes!), entfaehrt es mir und ich beiss mir zugleich auf die Zunge. “Mashallah is not quite the right word, Maria, in diesem See liegen Doerfer begraben – die Menschen hier haben alles verloren!”, murmelt Zo. Ich weiss. Das ist keine Touristenbootsfahrt fuer kleine Maedchen, das ist das harte taegliche Brot der Menschen, die auf der anderen Seite des Sees leben und auf Gueter von China (dessen Grenze Winterbedingt gesperrt ist) und Gilgit angewiesen sind. Der KKH, der von hier an unter Wasser verlauft, hat alles so einfach gemacht. Natuerlich sind Pakistanis den Chinesen, den Erbauern, dankbar. Und natuerlich versuchen letztere alles, um die Strasse wieder in Gang zu bringen. Denn das ist zugleich der Zugang zum Indichen Ozean. Aber die Sprengungen hatten bisher nur geringen Erfolg, das Wasser ist 3 Meter gesunken, einige zerstoerte Haeuser sind wieder zum Vorschein gekommen – unbewohnbar. Ich staune also etwas leiser, als wir uns und die Waren ins Schiff verfrachten. Nach knapp zwei Stunden windiger Felsfahrt steigen wir in Gulmit aus. Hier ist es noch stiller als in lower-Hunza. Die Jumma Khana (Versammlungsort der Ismaelis) kennt keine Lautsprecher. Allein, neben mir hoere ich das wohlbakannte schuechterne “How ar ju” eines kleinen Maedchens. Ich antworte wie ueblich mit Englisch und Urdu, um zu sehen, auf welcher Sprache wir uns unterhalten. Urdu. Als wir das Dorf durchqueren und hinunter zum See kommen, versinken meine Schritte langsam im Schlamm. “Hier stand unser Haus”, Sagt Hina, mein Maedchen, und deutet auf einen leeren Platz in der grauen Landschaft. “Als das Wasser kam, mussten wir alles nehmen und gehen. Jetzt haben wir ein neues Haus, weiter oben.”. Wir drehen uns um. Ich gehe zurueck in mein leeres Hotel, sie weiter zu ihrer Tante.

Kurze Zeit spaeter hoere ich von draussen ein Stimmchen: “Maria!”, Maria? Ich unterbreche mein Kerzenscheingeschreibe. “Eik Minute!”, schnell schluepfe ich in meine Schuhe und folge Hina, die am Tor auf mich wartet, den Hang hinauf. Folgen ist, was ich auf Reisen gelernt habe. Gefuehlen, Intuitionen, kleinen Maedchen. Aber was ist das? Sie nimmt mich mit zur Jammad Khanaa. “Nein, nein, das geht nicht”, sage ich, und lasse ihre Hand los. Zo hatte mir eingeschaerft, dass dieser Ort wirklich nur fuer Ismaelis ist, wegen der vielen religioesen Konflikte im Land. “Warum nicht?” “Ich... Ich bin nicht allowed, verstehst Du?” “Doch doch, komm mit!”, “Das ist nur fuer euch, fuer Ismaelis.” Eine Cousine nickt wie zur Bestaetigung und will die kleine Hina mitnehmen. Aber sie will mich nicht gehen lassen. “Bitte komm!” “Nein nein, ich kann nicht. Mach Dir keine Sorgen. Na los, geh schon, geh!” Traurig dreht sie sich um, winkt mir noch einmal good bye und folgt dann den anderen Frauen zum Gebet. “Gott ist eins”, sagt mir ein alter Mann, als ich ihn auf dem Heimweg nach den Regeln der Jammad Khanaa frage. “Wenn wir vorher zum Immam gehen, darfst Du sicher hinein.” Aber ich will das Dorf auch nicht durcheinanderbringen. Fuer die Erwachsenen sind die Gesetze wichtiger als fuer Kinder, sie wissen besser als Hina, warum wir nicht zusammen beten koennen. Der Alte erzaehlt derweil von seinem Leben in Holland und wir haben wunderbare fuenf Minuten ueber die ganze Welt zu sprechen. Dann schultert er wieder seine Schaufel und macht sich auf den Weg nachhause – auch er hat ein neues Haus weiter oben. 30 Minuten von hier, jeden Tag. Aber dann faellt sein faltiges Gesicht in ein verschmitztes Lachen: “Das ist gesund, das haelt mich fit!” und erklaert mir mit dieser Einstellung ein altes Raetsel, wie in aller Welt diese Menschen mit ihren Schicksalen doch so aufgeweckt-froehliche Gesichter haben koennen.

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