Sonntag, 11. März 2012

Männerchae (beim Dhaaba)

Wie schon in Lahore und wie in Delhi habe ich auch in Islamabad meinen Ort gefunden, wo ich jeden Morgen sitze, meinen Chae trinke und über die Leute staune. Auch hier wurde ich schon vom zweiten Tag an nicht mehr mit verwunderten Blicken, sondern mit einem freundlichem Assalamu aleikum begrüßt. Jetzt habe ich Zo bei mir, der mir diese seine Welt erklären kann. Wir scherzen viel und drehen gerne die Rollen um: Heute bestellst Du mal den Chae, ich sag nichts. Nicht nur, dass ich an diesem Ort die einzige Frau bin, ich regel auch die Geschäftssachen für den Mann an meiner Seite, was für ein Bild ist das? Aber auch hier zählt die kleine Narrenfreiheit, die man mir als Ausländerin gibt. Wahrscheinlich, sagt Zo, machst Du in Pakistan Sachen, die viele Frauen selber nie gemacht haben. Chae beim Dhaaba trinken zum Beispiel - das sind diese etwas lumpigen Teestuben, wo Männer auf Charpois (einfache Betten) sitzen, über Politik und die Leute reden und ihre gemütliche Zeit verstreichen lassen. Da ist alles etwas rustikal, auch der Chae schmeckt herber als sonst und vielleicht ist es den Frauen einfach zu dreckig. Es schickt sich nicht, hier hinzugehen. Aber es ist wunderschön. Die erdfarbenen Chalwarkammez der Männer mischen sich mit dem Staub vom plattgetretenen Boden, auf den immer noch etwas Wasser gekippt wird. Es gibt hier sich verschiedene Bärte und ebensoviel zahnlose bis gesunde Grinsen. Ja, diese Männer scheinen aus ganzem Herzen zu lächeln und wenn sie sich begrüßen, führen sie die linke Hand zum rechten Arm, dann zum Herz, als ob sie sagen wollten: Ich fühle mich geehrt, Dich zu sehen. Mich begrüßen sie natuerlich nicht so (d.h. gar nicht), aber wenn wir gehen, habe ich immer das Gefühl, jedem einzelnen von ihnen tschüss sagen zu wollen, weil wir uns ja doch begegnet sind. Was auch immer ich sage, esse oder Trinke, muss ein kleines Theaterstück im Dhaaba sein. Und das ist ok. Ich staune über sie, sie staunen über mich. Das ist eine win-win-Situation und es ist mir in Pakistan bisher noch nie passiert, dass ich daraufhin angesprochen wurde oder dass auch nur jemand in meine Nähe käme, den ich nicht ausdrücklich dazu eingeladen hätte. Einladen heisst, dass ich hallo sage, oder etwas frage, das ist die Eröffnung. Vor allem aber, wenn ich das Kopftuch trage, kommt mir ein grosser Respekt entgegen und manche sagen dann zu Zo, dass sie sich freuen, dass ich ihre Kultur ehre. So funktioniert das und ich lerne jedesmal etwas neues, wenn wir zum Dhaaba gehen. Vor allem, wie Zo mit den Leuten spricht, die ihn um Geld fragen, und die sonst immer nur von rauen Worten verscheucht werden. Er hört zu, sagt mal dies, mal jenes, fragt nach, Aha, Dein Mann hat sich scheiden lassen und jetzt bist Du mit 2 Kindern alleine? Oh, ihr habt gar kein Zuhause? Wo schlaft ihr. Mal gibt er Geld, mal gibt er nichts und ich bin immer still und ein bisschen erleichtert, wenn ich in dieser Kommunikation nicht der Chef gewesen bin. Wessen Geschichte soll man glauben, wieviel geben und ob überhaupt? Aber das ist eine gute Herausforderung und ich habe es heute genauso wie Zo gemacht und es war gar nicht so schwer. Als ich Zo von alledem erzählt habe, hat er lachend gesagt: Chae pine nikele (wir sind rausgegangen, um Chae zu trinken) aur sare dunia dekh kar agaia (und haben dabei die ganze Welt gesehen).

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