Freitag, 2. März 2012

Naan-Chenna

Wie ich Lahore liebe! Das ist mir wieder eingefallen, als ich eingeklemmt in meiner Rikscha zwischen Eisenplatten und Metallstangen, die über eine Kreuzung gefahren werden sollten, nicht vorwaerts und nicht rueckwaerts kam. Dabei war das Tor zur Altstadt gar nicht mehr weit. Aber mein Rikshafahrer war klug und wollte mich vor allem nicht laufen lassen. Geschickt befreite er uns von Pferdemäulern, Heuballen und weiteren gefaehrlich Eisentransportern und sagte am Ende strahlend: Ap hamare meheman hae! (ihr seid doch unsere Gaeste!), waehrend er uns am Delhi Gate absetzte.
Als ich durch das grosse Tor in die Altstadt komme, bin ich ueberwaeltigt wie am ersten Tag: 1000 Gerueche fliegen mir da entgegen, Stimmengewirr und Farben, die ich schon fast vergessen hatte. Es gibt auf einmal kein Reisen mehr, kein Roshni, kein Berlin, nicht mal mehr eine Maria, die mit diesem Maerchenort gleichzeitig existieren koennte. Hinter den Mauern der Altstadt bin ich wie ein leerer Krug, der mit all diesen Eindruecken gefuellt werden will. Da haengen Huehner von oben herab, die bald in kleine Teile gehackt werden - die Fuesse werden in Buendeln verkauft. Dazu gibt es frischen Koriander, den der Gemuesemann vor sich herschiebt wie einen Garten auf Raedern. Dann kommen Tomaten, Möhren, Rettiche - bergeweise! Und schliesslich das Obst. Hier halten wir an, ein Eis zu essen und gleichzeitig all die gestapelten Sachen zu bewundern: Erdbeeren, Datteln, Nuesse noch und noecher, dazwischen Glitzerzeug, dass es noch schoener aussieht. In der Eisnische mit unseren Tuechern fallen wir hier kaum auf. Keiner rechnet mit Auslaendern. Alles ist, wie es jeden Tag ist, nichts insziniert. Spuelbuersten werden verkauft und Toepfe, Farben, Gewuerze, Armreifen und nicht zuletzt all die bunten schillernden Stoffe dieser Stadt. Auch hier lassen wir uns mehr Zeit, setzen uns zu den waehlerischen Frauen und probieren die unterschiedlichsten Tuecher aus. Jetzt sind die Fragen wieder gross: Christian? Germany? Das ist kein Problem, sagt der Verkaeufer lachend, Jesus war auch ein guter Mann. Dann drueckt er mir ein Paeckchen Nimko in die Hand, fuer das ich gerade 20 Rs zahlen wollte, und gibt mir seinen Segen. Wir lassen uns wieder vom Strudel der Strassen mitreißen, probieren hier Golgapey und dort suessen Moehrenpudding und merken schliesslich, dass wir Hunger kriegen.
So machen wir uns auf die Suche nach Naan-Chenna. Das ist fluffiges Fladenbrot mit scharf-oeliger Kichererbsensoße. „Da entlang“, sagt uns ein alter Mann, und zeigt auf eine schmale Gasse. Gesagt getan. Am Ende der Gasse finden wir: Rootis und Dal. Nein, das kennen wir doch schon. Mit haengenden Koepfen kommen wir zurueck. „Nichts gefunden?“, fragt uns der Alte und steht von seiner Bank auf. „Setzt euch, setzt euch!“ dann verschwindet er und wir tun, wie uns geheißen. Was wohl passiert? Jemand im Rollstuhl quatscht mich von der Seite an: „Shadi nei hogya?“ (nicht verheiratet?) „Nein, noch nicht.“ Ups, das war ein Fehler! „Ich habe einen Sohn!“ „Aha.“ „Willst Du den?“ „Nein.“ „Soll ich ihn rufen?“ „Nein, nein, danke.“ Da kommt auch schon der Alte zurueck mit frisch-dampfendem Naan in der rechten und einer Schale Chenna in der linken Hand. Hab ichs mir doch gedacht! Als wir anfangen zu essen, werden wir vom Mann im Rollstuhl unterbrochen: Bismillah karo! Was? Bismillah karo – ihr muesst erst beten. Ach so, stimmt. Bismillah e Rahman e Rahim. Thik hae? Thik hae. Naan-Chenna ist noch besser, als wirs uns vorgestellt hatten. Vielleicht wegen dieser verrueckten Situation. „Ich ruf jetzt meinen Sohn!“ „Nein!“. Waehrend wir essen, werden uns noch Wasser, Salat und schliesslich 2 Chae gebracht. „Duerfen wir euch kein Geld dafuer geben?“ „Bilkul nahin“ (bloß nicht), sagt der Alte, „Ap hamara meheman hae!“. Der Andere versucht es noch einmal: „Mein Sohn…“ „Nein!“ „Er mag Dich sicher gerne.“ „Ich kann jetzt nicht heiraten“ „Warum?“ „Ich... meine Eltern wollen das nicht.“ „Ich ruf ihn mal“ (usw). Dann werden wir von unserem Gastgeber gerettet: „Lass die Maedchen in Ruhe, das sind unsere Gaeste!“. Er bedeutet uns freundlich zu gehen. Wir bedanken uns schnell und stuerzen uns wieder ins rauschende Getummel. In einer schummrig-engen Gasse werden Schmuckstuecke gefertigt und kleine Edelsteinchen polliert. Hier gibt es gar keine Frauen mehr und ein paar zwielicht dreinschauende Maenner raunen uns zu: „Geht zurueck zur grossen Strasse, hier findet ihr nichts!“ Also zurueck. Zurueck zur grossen Strasse mit den aufgetuermten bunten Dingen und zu den darinsitzenden Verkaeufern, die uns anlaecheln und herwinken. Langsam muessen wir auch an den Heimweg denken, an diese andere Welt, die es sicher noch gibt. Die Altstadt ist ein Labyrinth, aber heraus findet man immer: Bahir kitter? (wo gehts nach draussen?), das weiss jeder: Da entlang, dort, wo die ganzen Karren herkommen. Dort, wo die vielen Leute sind. Gut. Nach einer noch mehr Staunen ueber Gemueseberge, komische Tiere und Saecke voll Gewuerzen spuckt uns das Shah Alami Gate aus dem ganzen Gedraenge und Gerufe wieder aus. Wo sind wir? Hier gibt es Autos und Rikshas und Strassen, die in eine bestimmte Richtung fuehren. Zum R.A. Bazar? 200 Rs! Thik hae, der Preis muesste stimmen. Miri und ich wickeln uns in unsere Tuecher und grinsen uns an: die Wirklichkeit hat uns wieder.

1 Kommentar:

WINTERS hat gesagt…

I saw an Amsel yesterday and I thought of you Maria. It looked like this one - http://www.natur-server.com/Bilder/HWG/001/HWG000715-Amsel.jpg