Pakistan, Indien, Bolivien, Kenia. Lahore, La Paz, Berlin. Hier sind Texte und Bilder von Reisen in wundervolle Länder, hohe Berge, alte Städte, viele Tassen Tee und große Gastfreundschaft. Viel Spaß beim Lesen!
Sonntag, 5. Juni 2016
Riksha
Man muss dazusagen, dass es nicht besonders angesehen ist, eine Riksha zu nehmen. Das machen nur Leute, die entweder keinen Fahrer haben oder keine Freunde, die sie abholen. Oder Reisende wie ich, die es aber kaum gibt. Gesagt getan. Ich rufe also den Rikshafahrer meines Vertrauens an (das ist schonmal besser, als ‘irgendjemand’ anzuquatschen), dass er mich abholen kommt. Meine Freundin malt mir eine Karte, damit ich auch weiss, wo ich bin – just in case. Der Fahrer kommt und wir brettern los. Wir quatschen ein bisschen auf Urdu, ich bin wieder Christ, weil er auch Christ ist und sich darueber freut und ich schweige wieder, um auch nicht zu nett zu sein. Er haelt seine Hand raus zum Abbiegen. Auf meiner Karte zeigen die Pfeile nach rechts. Wir biegen links ab. Ich warte. Versuche die Strassenschilder zu lesen, hoffe auf einen U-turn, warte. Vertrauen, Maria! ‘Also…’, denke ich und ueberlege, ob es sich lohnt, mit dem Rikshafahrer ueber den Weg zu diskutieren. Doch da biegt er auch schon wieder links ab - ein bisschen mehr in meine Richtung. ‘DHA’ Lese ich auf den Schildern und bin beruhigt. Kleine Muellfeuer brennen am Strassenrand, Kamele grasen zwischen Rikshas. Ich halte meinen Rucksack fest, dass er nicht rausfaellt und versuche gleichzeitig das Kopftuch (Dupatta) ueber den Haaren zu lassen waehrend der Wind es fortreisst. Heimlich mache ich Bilder von der Strassenszene. Heimlich, weil ich nicht auffallen will und weil ich, wenn ich schon auffalle, nicht die sein will, die einfach nur Fotos macht. Manchmal lohnt es sich nicht, an spaeter zu denken. Die Bilder verwackeln, wir sind fast da. Wo genau das ‘Gloria Jeans Coffee’ ist, weiss ich nicht. Wir fragen bei einem Kino nach. ‘Frag nicht die Leute am Eingang, die wissen nichts’, sagt der Fahrer. Ich frage die Leute am Eingang: ‘Assalamu'aleikum, …” – Schulterzucken. Und die uebliche Verwunderung darueber, dass seine Frau alleine irgendetwas fragt. Schuechterne Blicke, Laecheln, Blicke zum Boden (auch meine). Mein Fahrer taucht hinter mir auf und wir fragen an der Kasse. ‘Gloria Jeans? Da lang, da lang, da lang und da lang’, sagt er mit einer fliessenden Handbewegung. Wir fahren wieder los. Er ist sehr freundlich und geduldig, wie ich finde. Am Ende rufen wir eine der vier Nummern an, um nochmal genau zu erkunden, wo es ist. Es klappt, wir kommen an. Wie konnte ich auch denken, dass es nicht so waere? Ich bezahle, schreibe 3 sms und freue mich auf den ersten Kaffee in zweieinhalb Wochen.
Ich liebe Rikshafahren! Man fuehlt sich so selbststaendig. Man sieht so viel Stadt, ohne gesehen zu werden. Man kann dem Fahrer sagen, er solle kurz anhalten, um Wasser zu holen oder etwas Handyguthaben. Alles Sachen, die ich alleine nicht so einfach kriegen kann. Ich bin immer ein bisschen stolz, wenn ich angekommen bin - es ist wie Erwachsenwerden an einem Tag.
Freitag, 3. Juni 2016
Lahore لاہور
Und jetzt? Jetzt trinke ich Chae mit Kardamom bei Mc Donalds. Stelle erstaunt fest, dass Frauen hier auch ohne Kopftuch rumlaufen können. Falle ich nicht mehr auf als Ausländerin, weil ich mich daran gewöhnt habe, wie alles funktioniert: entweder ich habe einen Mann dabei, der die Abläufe regelt, oder ich bin mit einer Frau (oder gar alleine) unterwegs, dann halten wir uns dezent zurück und kriegen meist trotzdem was wir wollen. "Our society is not made for women", sagt mir eine Freundin und ich denke sehnsüchtig an Deutschland.
Andererseits kommt mir auch viel Respekt entgegen. Werde ich nicht mehr einfach angesprochen wie in Indien. Wenn jemand das Gespraech eroeffnet, dann ich. Und vielleicht die Frauen im Bad, die neugierig sind, ob ich verheiratet bin, wieviele Brueder und Schwestern ich habe und ob mir Pakistan gefaellt. Ich sage immer ja. Ich bin hier gerne. So sehr ich damit kaempfe, so sehr geniesse ich meine merkwuerdige Rolle als alleinreisende Frau. Und die ungewohnten Eindruecke - Kulfi Eis, Geckos an der Wand, Froesche im Bad, Eselskarren und riesige mit Zuckerrohr beladene Wagen. Bald faengt der Ramadan an - was mache ich dann? Eine Option ist, nach Indien zu gehen, wo ich spaetestens am 12. Juni sein moechte. Eine andere, nochmal nach Islamabad zu gehen. Dieses Mal scheint sich mein Pakistan zwischen Lahore und Islamabad auszubreiten. Man muss auch nicht immer alles machen (auch wenn ich 1000 Ideen hab). Vor allem wegen der Gefaehrlichkeitssache. Ich schaeme mich, Fragen zu stellen, ueber was hier gefaehrlich ist und was nicht, wie sich das Leben anfuehlt, wenn man hier lebt usw usf. Alles ist ziemlich normal. Wie kann ich Leuten misstrauen, die mich zum Essen einladen und zu ihrer Familie? Wie koennen wir denken, ein ganzes Land (oder sogar: die Leute die dort leben) sei gefaehrlich, nur weil eine ganz bestimmte Randgruppe gefaehrlich ist? Das macht keinen Sinn. "Du musst dich nicht schaemen", sagt Zo, "Glaub mir, wir haben dieselben Gedanken, wenn wir in unser Land zurueckkommen." Diese Angst legt sich mit der Dauer des Aufenthaltes. Je mehr friedliche Tage man hier verbringt, desto mehr glaubt man auch wieder daran.
"Pakistan war noch nie so sicher", sagte ein Cafebesitzer, der mich in Berlin auf einen Chae einludt, kurz bevor ich gegangen bin. Ich sagte ihm, wo ich hingehe in Lahore und seine Augen leuchteten. "Jine Lahore nei dekhia o jumia nahin", sagte ich laechelnd und seine Augen leuchteten noch mehr. Ich solle in Lahore seine Frau besuchen, sagte er, und gab mir ihre Nummer. "Insha'Allah", sagte ich und fragte, was er an Pakistan vermissen wuerde, um das Gespraech weiterzufuehren. "Die Familie und natuerlich das Essen!". Ja, richtig, das Essen. Ich habe lang nicht mehr so viel gegessen wie hier. Irgendwann muss man aufhoeren, oder die Stadt verlassen. Lachend erinnern sich meine Freundinnen an gemeinsame Bekannte: "Kennst du den und den noch?" "Ja, aber der ist wirklich dick geworden, hihihi". Ich halte mich raus, es scheint ihnen ungesund, dass ich seit dem letztenmal nicht besonders zugenommen hab. Das kommt mit der Ehe, sagen sie und kichern. Ob die Ehe ueberhaupt kommt, frage ich mich. "Bei uns ist Hochzeit nicht das wichtigste", "bei uns schon". "Bei uns entscheidet jeder fuer sich", "bei uns entscheidet jeder fuer die Familie". Eine der Maedels soll gerade verheiratet werden und moechte noch nicht heiraten. "I can imagine", sage ich, "its tough". "No, you can actually not imagine. Its not tough, its impossible", sagt sie glucksend und ich weiss nicht, ob sie lachen oder weinen will. Manche Sachen kann man einfach nur ansehen. Ich entscheide mich dafuer, nicht zu emotional zu werden, wenn ich die Lebensgeschichten hoere, weil ich weiss, dass das Band breiter ist, dass mehr Faeden dazugehoeren und dass es eventuell genau richtig ist, dass das Maedchen jetzt heiratet, auch wenn es aus meiner Sicht anders ist. Wie wichtig der Segen der Familie hier ist, kann man sich gar nicht vorstellen.
Wir wissen so wenig und urteilen so viel. Wie froehlich und wie liebevoll die Menschen hier haeufig sind - wie isoliert und traurig manche an Berliner U-bahnhoefen. Wie koennen wir sagen, das eine oder das andere sei besser? Ich moechte nicht tauschen. Ich kann gar nicht tauschen, aber ich will verstehen, was eigentlich Glueck ist, woher es kommt und wie wir uns mit ihm arrangieren koennen, sodass es bleibt. Vielleicht kommt und geht es auch immer in Wellen - in allen Laendern, in allen Gesellschaften. No matter how and when we get married.
Dienstag, 24. Mai 2016
Islamabad اسلام آباد
In Lahore wechsel ich Geld, zusammen mit Farhan aus Nepal, der mit mir ueber die Grenze gegangen ist. Den Bucheintraegen zufolge waren es nur eine Handvoll Leute an dem Tag, die die Grenze passiert haben. Ich glaube es immer wieder nicht: die einzige Grenze zwischen diesen beiden Laendern wird von den insgesamt 1400 mio Einwohnern beider Laender kaum genutzt. Nur nachmittag um fuenf, wenn die beruehmte Borderclosing Ceremony ist, wo die Soldaten auf und ab gehen in ihren Uniformen und zeigen, wer staerker ist. Von Indischer Seite her besteht grosse Skepsis (Its too dangerous!) und von Pakistanischer Seite kaum die Moeglichkeit, ein Visum zu bekommen - selbst wenn man wollte. Ich halte mich dezent zurueck bei solchen Gespraechen, weil ich nicht genau weiss, wie es sich anfuehlt, Teil dieser Geschichte zu sein. Aber wenn mir gesagt wird, dass es ist wie mit unserer Grenze damals in Deutschland, dann gebe ich die Hoffnung auch nicht auf, dass die Wagah Border irgendwann nicht mehr da sein muss. Und auch nicht der Zaun.
Ich wechsel also Geld und bin froh, einen Mann an meiner Seite zu haben, weil dann weniger Fragen, oder nur Fragen an ihn gestellt werden. Er regelt die Geschaefte, ich gehe. Meine Riksha bringt mich an den Stadtrand nach Roshni, wo ich empfangen werde, Tee bekomme und etwas zu essen. Es ist schoen, diesen Ort immer wieder zu sehen, wie er sich veraendert, wie die Leute sich veraendern und wie manches auch gleichbleibt. So wie ich. Vor allem mein Urdu ist besser geworden (glaube ich).
Jetzt bin ich in Islamabad, weil es meine einzige Moeglichkeit war, Zo zu sehen, mit dem ich hier viel Zeit verbringe. Er erklaert mir viel ueber die Gesellschaft, wo ich was machen und sagen kann und wo ich lieber mal still bin bzw. abwarte, was die anderen tun. Wie immer reg ich mich auf, wenn ich nicht frei sein kann, aber das ist ja genau, was ich auch liebe: Eine Kultur, die so anders ist als alles, was ich kenne, dass mir mein eigener Hintergrund erst richtig bewusst wird. Mit Zo kann ich viel ueber diese Dinge reden, das hilft. Die Welt waechst zusammen, wenn man so viele verschiedene Perspektiven auf einmal sieht. Ich freue mich auf die weitere Zeit mit Zo, auf ein paar Tage in Roshni und, ach, eigentlich will ich schon gar nicht mehr nach Indien zurueck. Pakistan ist so besonders geworden fuer mich.
Freitag, 20. Mai 2016
'Call any other Country'
Ich schlafe in Amritsar im Golden Temple - nach Tipp eines uralten Lonely Planets, wo es andere Reisende, viele Schlafplaetze und Essen fuer alle gibt. Es ist eine riesige friedliche Angelegenheit. Tausende von Menschen essen hier jeden Tag und besuchen den Tempel, der mitten im Wasser steht. Keiner darf etwas bezahlen, viele arbeiten dafuer freiwillig. An der Strasse kaufe ich Litschis und freue mich darueber, dass ich das Essen so gut vertragen habe bisher. Meine Zimmernachbarin hatte 40 Grad Fieber und ich habe ihr plain rice gebracht. Mit einem anderen Zimmernachbar gehe ich Abendessen. Er ist Australier und sagt mir: Beim Reisen ist jeder Tag wie eine ganze Woche. Ich denke spaeter: wenn man reist merkt man erst die Bedeutung der Worte die man sagt, weil es vielleicht das Einzige ist, was zwischen dem Menschen und mir je gesagt sein wird. Und es stimmt: Es ist schon so viel passiert, dass es sich anfuehlt wie zwei Wochen - obwohl ich erst 2 Tage hier bin. Nachdem mir Delhi zu heiss und zu hektisch war, habe ich gleich den Zug nach Amritsar genommen. Vielleicht war es gut, den ersten Tag in einer 40 Grad Landschaft mit etwas Zugluft zu verbringen. Die etwas erfahreneren Leute haben Wasser in Thermosflaschen gekuehlt. Mit meinem Plastikflaschenwasser haeette man gut warm duschen koennen. Ich habe beschlossen, sobald es geht, in Indien in die Berge zu gehen, wo es kuehler ist. Aber erstmal will ich nach Lahore. "Don't you want to call any other country?" Fragt mich der Ladenbesitzer noch einmal etwas irritiert. Nein, sage ich bestimmt, ich will doch nach Pakistan gehen. Morgen.
Sonnenuntergang (Nachtrag)
Noch 30 Minuten bis zur Ankunft. Verschlafen schaue ich auf den Bildschirm vor mir, tippe auf "Deutsch" und auf "Mein Flug". Auf der Karte erscheinen die Namen Islamabad, Lahore, Amritsar und Delhi - alles Orte, wo ich sein werde. Unser Flugzeut befindet sich direkt ueber Lahore. Schnell schaue ich nach unten und erhasche noch einen Zipfel der grossen Stadt. Dann kommt ein komisch gezacktes Band - die Grenze. Lichter an der Wagah Border, Amritsar. Hier werde ich rueberlaufen (heute/ morgen/ uebermorgen?). Amritsar sieht wunderschoen aus von oben - wie ein grosser gezackter Stern.
Donnerstag, 21. April 2016
Café St. Oberholz, Berlin.
Donnerstag, 21. Januar 2016
Alles gut.
Montag, 7. Dezember 2015
This is Kenia.
Ich lerne viel. Wenn man im Stau steht, werden die Türen abgeschlossen. "It's our survival technique", sagt der Cab-driver. "Because its Nairobi?!", sage ich, sehr sicher, dass ich schon etwas dazugelernt habe. "This is Kenya, anything can happen!", sagt er. So viele haben gesagt: "pass auf dich auf", bevor ich gegangen bin. Mehr als in Pakistan. Aber meine Freundinnen wohnen hier schon so lange - was muss ich also tun? Immer ein bisschen aufpassen, dass ich nicht zu frei bin - aber auch nicht zu vorsichtig. Ballance ist nichts statisches, ist das hilfreichste, was mir dazu einfällt. Ich nehme den Bus. Ich bin irgendwo. Ich tanze viel. "Es sieht nicht so aus, als ob du erst seit acht Tagen hier wärst", sagen die Leute. Ich freu mich. Ja, ich will Kenia gar nicht verlassen. "Schau doch, was es kostet, den Flug zu verlängern. Ich zahl dir was dazu", sagt meine Freundin. So verrückt bin ich nicht. Ich habe einen guten Plan: Uni, Berlin, Uni. Wir tanzen weiter. Ich muss mich abgrenzen. Wie dankbar ich bin, dass ich in diesem Land sein kann, dass ich Freunde habe und dass ich reisen darf.
Ich habe viele tolle Musiker gesehen und bin mit verschiedenen Fahrzeugen gefahren. "You bring her home safely", sagt meine Freundin zum Boda-Boda guy, drückt ihm 200 Schilling in die Hand und lässt mich gehen. "Ya" sagt er, "ou" denke ich, setzte den zu großen Helm auf und versuche ihn unterm Kinn zuzumachen, während wir losfahren.
Freitag, 27. November 2015
Schon gezahlt?
Die Hauptsache ist, dass die Gitarre nicht im Bauch des Flugzeugs landet, wo sie kaputtgeht. Es ist wie bei Meinfernbus: man muss Glück haben oder im richtigen Moment zur Seite schauen. Bei Eurolines zahlt man 10,- – und dann wird sie trotzdem irgendwohin gepackt, wo man nicht weiß, was passiert. Für Bolivien habe ich damals die Gitarre zuhause gelassen und schon nach einer Woche wieder eine neue gekauft.
Es ist immerhin nicht das erste Mal, dass ich mit Gitarre fliege. Es gibt keine Regel, aber es geht meistens so: Erst kommt der Check-in, wo man am besten ohne Fragenstellen (und gestellt bekommen) durchgeht. Falls doch Fragen kommen, kann man sagen: das geht normalerweise immer so. Dann kommt die Passkontrolle – kein Problem. Dann die Handgepäckskontrolle. Hier ist nur wichtig, dass die Gitarre auch eine Gitarre ist. Mit einem merkwürdigen Papierchen wird Sprengstoff an meinem Körper gesucht. Die letzte Hürde ist dann direkt beim Gate. Hier könnte die Besatzung noch sagen: Gitarre hier hin, Gitarre dort hin oder: Gitarre ganz weg. Aber das passiert nicht, wenn man sie an die Seite klemmt und so tut, als wäre sie ein Kleidungsstück. Das einzige Problem ist, dass man keine zwei Handgepäckstücke mitnehmen darf und ein rotes Band hat meine Gitarre schon gar nicht. Ich habe auch schon gehört: "You have to clear that with the person at the Ticket-counter". Ich nickte grinsend und ging weiter. Es wird einfach solange jemand anders zuständig gemacht, bis keiner mehr zuständig ist. Sobald man die Flugzeugtür betritt, muss man nur noch freundlich lächeln (die anderen haben mich ja schon durchgelassen) und die Gitarre schnell in den Fächern über den Sitzen verstauen (wenn da nicht schon die anderen riesigen Koffer der Sitznachbarn wären). Schuhe aus, auf den Sitz klettern, Rucksack rein, Gitarren drüber, fertig.
Während der Sicherheitsansagen höre ich den Rich Folks Hoax vom wunderbaren Rodriguez und rolle langsam raus aus Berlin. 15 Minuten sind es mit dem Bus von der Stockholmerstraße, ein paar Stunden nach Istanbul und dann ein Nachtflug nach Kenia. Im Morgengrauen bin ich da.
Schon gezahlt? Was denn?
Donnerstag, 26. November 2015
Zwischen Chiasamen und Chirimoya
Was ist das alles? Was ist das, was ich esse, das, was ich sage? Früher war alles Neue spannend, enthielt Farben und Wunder. Jetzt ist es anders. Ich bin zaghafter geworden, mehr mit Vorurteilen und so. Hier gibt es unglaublich viele tolle Früchte, die ich gerne esse und ich liebe es, Unterhaltungen in Spanisch zu verstehen. Aber es ist nicht mehr wie damals mit Urdu, dass ich so neugierig bin, was das alles ist und heißt. Ich bin voll von meinem Leben in Berlin, habe mein Studium, meinen Praktikumsbericht, soo viele Länder, die ich gesehen habe, es ist, als wäre meine Festplatte voll.
Dabei gibt es hier so viel verschiedenes, so viel Neues, so viel entdecken - allein die Früchte. Ich habe gedacht, dass ich die meisten Früchte dieser Welt schon kenne. Es stellt sich heraus, dass ich die meisten Früchte der Welt noch nicht kenne. Ich probiere also alles, was meine Schwester zuhause hat und was wir auf dem Markt kaufen. Rafael liebt z.B. Chrimoya und ganz große Schoten, in denen Kerne sind, die wie von Zuckerwatte umhüllt werden. Es gibt Chiasamen in großen Mengen und gar nicht so teuer. Komisch ist nur, dass meine Schülerinnen und Schüler am Colegio Aleman kein Interesse daran haben, als ich beim Abschiedsfrühstück Chirimoya mitbringe. "Iiiih, das ist doch vom Markt". Wir essen also wieder Weißbrot mit Nutella. Vielleicht wegen der vollen Festplatten.
Freitag, 21. August 2015
Es kommt nicht auf die Höhe an
Also, hab ich mir gedacht, also kommt es ja gar nicht darauf an, wie hoch man ist, oder wieviel man kann, sondern wieviel man sich angestrengt hat - auch in Mathe :). So war ich also bei meinen Schülerinnen und Schülern und habe versucht zu sagen, dass es wunderbar ist, wenn sich jeder bis zum Abi um zwei drei Notenpunkte verbessert und dass es nicht darauf ankommt, überall eine Eins zu haben - sondern auf die eigenen Ziele. Selbst Studieren wäre nicht das allerwichtigste - es gibt sooo viele verschiedene Wege und Möglichkeiten. Kann man das hier sagen? Wo doch überall Bildung der Schlüssel zur Welt ist - aber welche Bildung?
Nach Knowmads, nach der Waldorfschule und nach allen Tagungen, die ich besucht habe, glaube ich immer mehr, ich müsste eine eigene Schule gründen, bevor ich Lehrerin werde. In dieser Schule würde man Tee trinken und über die eigenen Ziele und Erfahrungen sprechen. Man würde träumen und wünschen und am nächsten Tag schauen, wie man diese schöne Welt, die jeder innerlich hat, in die Realität umsetzen kann, wo die eigenen Fähigkeiten liegen und was der konkrete nächste Schritt ist. Weil jede Mühe sich lohnt.
Montag, 10. August 2015
La Paz
Im Landeflug auf La Paz zeichneten sich plötzlich riesige schwarze Berge gegen einen rotgestreiften Himmel ab. Ich wollte ein Photo machen, hatte aber kein Smartphone. Unter mir die Lichter. 'Egal wie kalt es dort unten ist, ich liebe diese Stadt jetzt schon', schoss es mir durch den Kopf.
La Paz ist ein Häusermeer - umsäumt von Bergen. Mein Schulweg beginnt morgens mit einstündiger Seilbahnfahrt durch die Stadt. Man sieht von oben auf die Häuser, die Gärten, Wellblechdächer dicht gebaut an Glas und Stacheldraht, Swimmingpools direkt neben steilen Abhängen in denen die Hunde nach Abfällen wühlen. Viele Hunde - auch nachts. Ansonsten ist die Stadt eher ruhig. Ich fühle mich sicherer als in Berlin. Wann immer die Leute 'buenas dias' oder 'buenas tardes' sagen, grüße ich herzlich zurück. Die Sprache will ich lernen, bis ich zurück bin! Alles geht etwas langsamer, ich atme öfter, mein Körper gewöhnt sich an die 4000 Meter Höhe. Mit der Sonne um die Wette bringt mich der Teleferico ins Tal. Wie bei allen Änderungen in Bolivien gab es auch hier große Proteste, als das neue Beförderungssystem eingeführt werden sollte. Ich weiß nicht, warum hier so wenig Touristen sind - so entspannt und freundlich wie die Leute sind - und so engagiert! 'Wenn ihnen etwas nicht passt, gibt es eine Straßenblokade, bis sie kriegen, was sie wollen', erklärt mir meine Schwester, die schon länger hier wohnt. Ist es, weil Peru und Chile das Meer bekommen (geholt) haben? Weil Argentinien und Brasilien größer sind? Weil es hier politisch eher ruhig ist? Ich weiß es nicht. Gerne würde ich länger bleiben und alles kennenlernen - es gibt ach gute Unis...
Aber erstmal ankommen und die leicht süßliche Luft atmen, die mich an Indien erinnert. Die Fahnen wehen sehen und den Hunden beim Bellen zuhören, den Sonnen Auf- und Untergang von La Paz bestaunen und rechtzeitig (um 7:50h) zur Schule kommen. Mit dem Teleferico von Doppelmayr und den vielen verschiedenen Menschen von La Paz, wo ich mich ungewöhnlich groß fühle.
Man sagt nach dem Zusammensitzen einfach 'danke'.
Mittwoch, 14. Januar 2015
Berlin Reinickendorf
Mittwoch, 10. September 2014
Ayran ist das neue Lassi
Donnerstag, 12. April 2012
Meine letzten 10 Rupees
Dienstag, 3. April 2012
Dilli
Ersteinmal werden wie auf dem Flughafen alle Leute abgetastet und die Handtaschen durchleuchtet. Dann gelangt man mit einem coolen Kartensystem auf den Bahnsteig, wo die Leute schon in kleinen Schlangen anstehen, fuer die naechste Bahn. Völlig ordentlich, könnte man meinen. Doch kaum dass der Zug hält, löst sich die ganze Ordnung auf und man muss seine Ellebogen einsetzen, um einen Weg in die Bahn zu finden. Dort sind dann im Handumdrehen alle Plätze besetzt. Wenn jemand aufsteht, sitzt im selben Moment schon jemand anderes da, der anscheinend auf genau diesen Platz gewartet hat. Doch weil ich Frau bin und oft die einzige Bleiche im Zug, werden mir staendig die sonst so begehrten Plaetze angeboten. Ich stehe aber gerne. Dann muss ich nur aufpassen, dass mir die Maenner nicht zu sehr auf die Pelle ruecken, was in Indien öfter mal passiert. Deshalb geh ich lieber ins Frauen Abteil. Dort sind die Sitze ausdrücklich fuer Alte, Frauen und Behinderte reserviert. Eine nette Gruppe. Schilder und Lautsprecheransagen weisen darauf hin, nicht auf dem Boden zu sitzen, nicht zu spucken und verdaechtige Gegenstaende wie Brieftaschen, Thermoskannen und Spielsachen nicht anzufassen, weil es Bomben sein koennten. Beim Aussteigen stehen dann rechts und links zwei Officer, die Acht geben, dass die einsteigenden Maenner den Frauen genug Platz zum Aussteigen lassen, bevor das Gedränge und Platzgesuche wieder von vorne losgeht.
Ich bin also wieder in Delhi, rechtzeitig einen Tag vor meinem Abflug. Da ist wieder der Balkon, da ist die suesse Luft und da sind wieder die lauten Fahrradverkaufer. Ein Franzose hat mich von der Grenze bis hierher mitgenommen und mein Sprachenhirn hat sich gewunden vor Qual, als ich vergeblich versucht habe, französisch zu sprechen. Gerade war ich in Urdu so weit, dass ich auch Randunterhaltungen mitbekommen konnte, aber wielange hält das an? Kann man immer nur zwei Sprachen auf einmal, oder drei? Ich will auf jedenfall weiterlernen! Nach einem etwas sang- und klanglosen Geburtstag in Pakistan bin ich ploetzlich 25 geworden. Da macht sich ein Maedchen Gedanken, wuerde Helly sagen. In meinen Emails habe ich dafür ganz brauchbare Wünsche gefunden, darunter: "tütenweise frische Neugier", "intensive Begegnungen" und "das kleine Glueck am Strassenrand". Ich freu mich auf Zuhause, auf Obst und Gemuese, unfrittiertes Essen, Sommeranfang und darauf, mit Männern wieder sprechen zu können, ohne darueber nachdenken zu müssen, ob wir nicht vielleicht bald heiraten sollten.
Sonntag, 1. April 2012
Shopping-wopping
Donnerstag, 29. März 2012
Rueckfahrt
Es gibt naemlich (ausser der versprochenen U-Bahnfahrt in Delhi) noch eine Sache, die ich aufgeschoben hatte, weil das Thema so schwierig ist. Die Lehrerinnen und Sarwar haben ihr Visum nicht bekommen. Es ist deswegen schwierig, weil keiner hier ein Visum bekommt. Auch nicht mit Invitation und Insurance und care of all costs. Beinahe jeder hat so eine Geschichte zu erzaehlen. Ich moechte mich irgendwie fuer Deutschland entschuldigen. Selbst wenn ich mir vorstelle, dass jemand ein Visum bekaeme, habe ich kein gutes Gefuehl im Bauch, weil ich weiss, dass er dort nicht so sehr als Gast empfangen sein wird, wie ich es hier bin. Ich habe dieser Tage so viele Tees getrunken, dass ich schon eine kleine Unvertraeglichkeit habe im Magen. Ich wurde so oft zum Essen eingeladen und zu Rikschafahrten, zu Familien und zu Hochzeiten, dass ich gar nicht mehr weiss wohin mit meiner Freude. Fuer mich ist auch Deutschland wunderbar, und ich weiss, dass alle Menschen, die ich dort kenne nicht so komisch und unfreundlich sind. Und doch... Und doch habe ich dieses Bild im Kopf, dass jemand aus Pakistan ankommt und keiner ihm weiterhelfen, geschweigedenn zu irgendetwas einladen wird (ohne ihn zu kennen). Das ist also, wie ich meine Faeden spinne, ich denke zurueck, ich vergleiche, versuche Sachen zu verstehen und freue mich dabei schon sehr auf Zuhause - Wenn ich nur ersteinmal aus diesen verrueckten Bergen herausgekommen bin...
Montag, 26. März 2012
Als das Wasser kam
Weit hinter Gilgit, hinter dem Killing und den Kirschblueten, hinter dem friedlichen Karimabad, von dort ca. zwei Stunden weiter richtung China, fuehrt der Karakoam Highway ins Wasser. Dort liegt der 21 km lange Attabad-See. Still und bergblau, als waere nichts gewesen. Aber dieser See ist eine Katastrophe. Er hat sich infolge eines grossen Erdrutsches aufgestaut und versperrt das Tal seit nunmehr zwei Jahren. Der ganze Ueberlandverkehr zwischen China und Pakistan muss das Wasser ueberwinden, d.h. von den Trucks auf Schiffe und von Schiffen wieder auf Trucks verladen werden. Fuer Hunza ist deshalb eine Teilreisewarnung ausgesprochen, weil der Damm jederzeit brechen und der See sich ins Tal ergiessen kann. Reisewarnung heisst, dass meine Versicherung nicht mehr gilt. Bin ich bei einer Teilreisewarnung halb-versichert? Doch als ich den See sehe, denke ich nicht mehr daran. “Mashallah!” (Wunder Gottes!), entfaehrt es mir und ich beiss mir zugleich auf die Zunge. “Mashallah is not quite the right word, Maria, in diesem See liegen Doerfer begraben – die Menschen hier haben alles verloren!”, murmelt Zo. Ich weiss. Das ist keine Touristenbootsfahrt fuer kleine Maedchen, das ist das harte taegliche Brot der Menschen, die auf der anderen Seite des Sees leben und auf Gueter von China (dessen Grenze Winterbedingt gesperrt ist) und Gilgit angewiesen sind. Der KKH, der von hier an unter Wasser verlauft, hat alles so einfach gemacht. Natuerlich sind Pakistanis den Chinesen, den Erbauern, dankbar. Und natuerlich versuchen letztere alles, um die Strasse wieder in Gang zu bringen. Denn das ist zugleich der Zugang zum Indichen Ozean. Aber die Sprengungen hatten bisher nur geringen Erfolg, das Wasser ist 3 Meter gesunken, einige zerstoerte Haeuser sind wieder zum Vorschein gekommen – unbewohnbar. Ich staune also etwas leiser, als wir uns und die Waren ins Schiff verfrachten. Nach knapp zwei Stunden windiger Felsfahrt steigen wir in Gulmit aus. Hier ist es noch stiller als in lower-Hunza. Die Jumma Khana (Versammlungsort der Ismaelis) kennt keine Lautsprecher. Allein, neben mir hoere ich das wohlbakannte schuechterne “How ar ju” eines kleinen Maedchens. Ich antworte wie ueblich mit Englisch und Urdu, um zu sehen, auf welcher Sprache wir uns unterhalten. Urdu. Als wir das Dorf durchqueren und hinunter zum See kommen, versinken meine Schritte langsam im Schlamm. “Hier stand unser Haus”, Sagt Hina, mein Maedchen, und deutet auf einen leeren Platz in der grauen Landschaft. “Als das Wasser kam, mussten wir alles nehmen und gehen. Jetzt haben wir ein neues Haus, weiter oben.”. Wir drehen uns um. Ich gehe zurueck in mein leeres Hotel, sie weiter zu ihrer Tante.
Kurze Zeit spaeter hoere ich von draussen ein Stimmchen: “Maria!”, Maria? Ich unterbreche mein Kerzenscheingeschreibe. “Eik Minute!”, schnell schluepfe ich in meine Schuhe und folge Hina, die am Tor auf mich wartet, den Hang hinauf. Folgen ist, was ich auf Reisen gelernt habe. Gefuehlen, Intuitionen, kleinen Maedchen. Aber was ist das? Sie nimmt mich mit zur Jammad Khanaa. “Nein, nein, das geht nicht”, sage ich, und lasse ihre Hand los. Zo hatte mir eingeschaerft, dass dieser Ort wirklich nur fuer Ismaelis ist, wegen der vielen religioesen Konflikte im Land. “Warum nicht?” “Ich... Ich bin nicht allowed, verstehst Du?” “Doch doch, komm mit!”, “Das ist nur fuer euch, fuer Ismaelis.” Eine Cousine nickt wie zur Bestaetigung und will die kleine Hina mitnehmen. Aber sie will mich nicht gehen lassen. “Bitte komm!” “Nein nein, ich kann nicht. Mach Dir keine Sorgen. Na los, geh schon, geh!” Traurig dreht sie sich um, winkt mir noch einmal good bye und folgt dann den anderen Frauen zum Gebet. “Gott ist eins”, sagt mir ein alter Mann, als ich ihn auf dem Heimweg nach den Regeln der Jammad Khanaa frage. “Wenn wir vorher zum Immam gehen, darfst Du sicher hinein.” Aber ich will das Dorf auch nicht durcheinanderbringen. Fuer die Erwachsenen sind die Gesetze wichtiger als fuer Kinder, sie wissen besser als Hina, warum wir nicht zusammen beten koennen. Der Alte erzaehlt derweil von seinem Leben in Holland und wir haben wunderbare fuenf Minuten ueber die ganze Welt zu sprechen. Dann schultert er wieder seine Schaufel und macht sich auf den Weg nachhause – auch er hat ein neues Haus weiter oben. 30 Minuten von hier, jeden Tag. Aber dann faellt sein faltiges Gesicht in ein verschmitztes Lachen: “Das ist gesund, das haelt mich fit!” und erklaert mir mit dieser Einstellung ein altes Raetsel, wie in aller Welt diese Menschen mit ihren Schicksalen doch so aufgeweckt-froehliche Gesichter haben koennen.
Donnerstag, 22. März 2012
Fruehlingsanfang
Hatte Zo nicht gesagt, er wolle hier den Fruehling kommen sehen? Am Abend des 20. Maerz kommen wir in Hunza an. Die Fahrt war nicht leicht und vielleicht hatte Zo Recht: Hunza is not for everyone – you have to achieve it. Selbst das letzte Stueck, von Gilgit nach Karimabad, war von zwei Steinlawinen unterbrochen, sodass wir streckenweise laufen mussten um dann einen neuen Bus zu nehmen. Aber die Leute hier werden spuerbar freundlicher und lockerer. Bis 2001 war das Hunzatal ein von Touristen gepraegter Ort. Ettliche Guesthouseschilder, Laeden mit Bergsteigerausruestung, ein franzoesisches Cafe und englischsprechende Einheimische weisen darauf hin. Wieauchimmer, jetzt bin ich der einzige Gast im Old Hunza Inn. Wir treffen noch zwei Japaner auf dem Weg, das wars. Die Laeden sind geschlossen, die Zimmer leer. Dabei ist dieser Ort mit das Schoenste, was ich bisher gesehen habe in meinem Leben.
Wenn ich aufwache, sehe ich den tuerkisgrauen Hunzariver (der spaeter in den Indus muendet), das Dorf, buntgekleidete Frauen, Kinder, die wie wild ueberall herumrennen und ueber allem die grossen Berge. Am bekanntesten ist hier der Rakaposhi mit seinen 7788 Metern, der wie zum greifen nah scheint. Die drei gewaltigen Gebirgszuege Himalaya, Karakoam und Hindukush treffen aufeinander. Ich fuehle mich wie im Herzen von allem und der KKH hat sich seinen Weg dorthin als eine Ader gebahnt. Bis auf den Fluss, die Kinder und fuenfmal am Tag den Gebetsruf ist alles still. Hunza ist fuer seinen Frieden bekannt. Jetzt kann der Fruehling beginnen. Die ersten Mandelbaeume bluehen schon bei den vielen Steinmaeuerchen, Blaumeisen und andere Voegel, die ich nicht kenne, piepsen darin und die Sonne laesst alles um mich herum in hellem Weiss erstrahlen.